Die Rheinschilds

Sie macht sich Sorgen um ihn. Er war schon immer von seiner Arbeit besessen gewesen, aber so hat sie ihn noch nie erlebt. Die vielen Stunden, die er in seinem Labor zubrachte, die dunklen Ringe unter seinen Augen, und im Schlaf murmelt er vor sich hin. Außerdem wird er immer dünner, kein Wunder, denn er scheint gar nichts mehr zu essen.

»Wie dieses Supergehirn ohne Körper«, sagt Austin, sein Forschungsassistent, der sich von einer ausgemergelten Bohnenstange zu einem gesunden Jungen entwickelt hat, seit Janson ihn vor sechs Monaten angestellt hat.

»Magst du mir sagen, woran er arbeitet?«, fragt Sonia.

»Er hat gesagt, dass Sie nichts damit zu tun haben wollen.«

»So ist es. Aber ich habe ein Recht zu wissen, was er tut, oder?« Es ist so typisch für Janson, dass er alles, was sie sagt, wörtlich nimmt. Er schließt sie aus, um sie zu ärgern – wie ein Kind.

»Er sagt, er erzählt es Ihnen, wenn er fertig ist.«

Es hat keinen Sinn, zu versuchen, etwas aus diesem Jungen herauszubekommen. Er ist loyal wie ein Deutscher Schäferhund.

Wahrscheinlich ist diese Besessenheit besser für Janson als die Verzweiflung, an der er zuvor gelitten hatte. Wenigstens hat er jetzt ein Ziel, das ihn von den sich überstürzenden Ereignissen ablenkt, die das Umwandlungsabkommen ausgelöst hat. Zu ihrer neuen Lebenswirklichkeit gehören Kliniken, die landesweit wie Pilze aus dem Boden schießen und alle junge, gesunde Körperteile anpreisen. »Einhundertzwanzig Jahre und älter werden!«, heißt es in den Anzeigen. »Raus mit dem Alten, rein mit dem Neuen!« Niemand fragt, woher die Teile kommen, aber jeder weiß es. Und inzwischen werden nicht nur Streuner umgewandelt. Die Jugendbehörde hat sogar ein Formular für Eltern entwickelt, die ihre »nichterziehbaren« Teenager umwandeln lassen wollen. Zuerst hatte sie bezweifelt, dass jemand das Formular benutzen würde. Sie war überzeugt, dass seine bloße Existenz endlich die Protestwelle auslösen würde, auf die sie schon lange wartete. Aber das geschah nicht. Stattdessen wurde schon nach einem Monat ein Jugendlicher aus ihrer eigenen Nachbarschaft zur Umwandlung weggebracht.

»Nun, ich finde, sie haben genau das Richtige getan«, vertraute ihr ein anderer Nachbar an. »Dieser Junge war ein Pulverfass.«

Sonia spricht nicht mehr mit ihm.

Sie muss zusehen, wie ihr Mann mit jedem Tag mehr verkümmert. Und ihre flehentlichen Bitten, sich zu schonen, dringen nicht zu ihm durch. Sie droht sogar, ihn zu verlassen, aber beide wissen, dass dies eine leere Drohung ist.

»Es ist fast geschafft«, sagt er eines Abends, während er mit der Gabel die Pasta auf seinen Teller herumschiebt und kaum etwas davon in den Mund steckt. »Das ist die Lösung, Sonia, das wird alles verändern.«

Aber er verrät ihr immer noch nicht, an was genau er arbeitet. Der einzige Hinweis kommt von seinem Assistenten. Gesagt hat der Junge zwar nichts, aber er hat seine Anstellung mit drei Fingern an der linken Hand angetreten. Und jetzt hat er fünf.