30. Hayden
Hayden Upchurch kann nicht umgewandelt werden. Zumindest nicht heute. Wer weiß schon, was morgen ist?
»Warum bin ich in einem Ernte-Camp? Ich bin doch schon zu alt dafür«, fragte er, als er mit den anderen, die sich auf dem Friedhof mit ihm im ComBom verbarrikadiert hatten, ins Camp gebracht wurde.
»Wärst du lieber im Gefängnis?«, entgegnete der Leiter des Camps, Direktor Menard. Aber dann konnte er die Wahrheit doch nicht für sich behalten, weil sie eben so wunderbar süß war.
»Etwa die Hälfte aller Bundesstaaten wird noch in diesem Jahr ein Gesetz zur Abstimmung bringen, das die Umwandlung von Gewaltverbrechern erlaubt«, erklärte er Hayden mit einem süffisanten gelbzähnigen Lächeln. »Du bist hier im Ernte-Camp eines Bundesstaats, in dem das Gesetz bald verabschiedet und dann gleich umgesetzt wird, also am Tag nach dem Erlass.« Und er informierte Hayden darüber, dass er am 6. November um 00:01 Uhr umgewandelt werden würde. »Stell dir schon mal den Wecker.«
»Werde ich tun«, antwortete ihm Hayden fröhlich. »Und ich werde beantragen, dass Sie meine Zähne bekommen. Jetzt, wo man mir freundlicherweise die Zahnspange entfernt hat, sind meine Zähne wie für Sie gemacht. Aber natürlich würde mein Kieferorthopäde empfehlen, dass auch Sie noch zwei Jahre lang eine Spange tragen.«
Menard drehte sich nur grummelnd um und ging.
Es ärgert Hayden, dass er als Gewaltverbrecher bezeichnet wird. Er wollte doch nur sein Leben und das anderer Jugendlicher retten. Aber wenn die Jugendbehörde jemanden erst einmal im Visier hat, dreht sie so lange an der Wahrheit, bis alles passt.
Vor eineinhalb Jahren, als Connor im Happy Jack Ernte-Camp ankam, führte man ihn den Wandlern als gedemütigten, gebrochenen Gefangenen vor. Dieser Trick sollte die anderen Kids demoralisieren, machte Connor aber praktisch zu einem Gott. Gefallener Wandler im Aufwind.
Die Jugendbehörde hat offenbar aus diesem Fehler gelernt und geht bei Hayden anders vor. Da Haydens Wandler-Manifest im Internet immer noch mehr Klicks hat als jedes nackte Starlet, galt es, seine Glaubwürdigkeit zu untergraben.
Wie Connor wurde er sofort von den anderen getrennt, doch statt ein Exempel an ihm zu statuieren, servierte ihm Direktor Menard Steak am Mitarbeitertisch und brachte ihn in einer Dreizimmersuite in der Gästevilla unter. Zuerst fürchtete Hayden, der Mann wolle ihm an die Wäsche, doch der hatte einen völlig anderen Plan. Menard streute das Gerücht, dass Hayden mit der Jugendbehörde kooperiere und ihr helfe, die Kids einzufangen, die vom Friedhof geflohen seien. Obwohl der einzige »Beweis« Haydens außergewöhnlich gute Behandlung war, glaubten es die Wandler im Ernte-Camp. Die Einzigen, die nicht darauf hereinfielen, waren Nasim und Lizbeth, die Hayden von früher kennen.
Wenn seine Bewacher ihn jetzt durch den Speisesaal führen, wird er von den Jugendlichen ausgebuht und ausgepfiffen. Die Wachleute, die ihn eigentlich daran hindern sollen, zu fliehen oder jemandem die Wahrheit zu sagen, müssen ihn mittlerweile vor den wütenden Wandlern schützen. Es ist eine meisterhafte Manipulation, deren Gewieftheit Hayden zu schätzen wüsste, wäre sie nicht gegen ihn gerichtet. Gibt es schlimmeren Abschaum als den Spitzel der Machthaber? Nein. Dank Menard wird Hayden, wenn er diese Welt dann verlässt, in Schande gehen.
»Ich brauche deine Zähne nicht«, erklärte Menard bei ihrem nächsten Zusammentreffen. »Aber vielleicht hänge ich mir deinen Mittelfinger an den Schlüsselbund. Damit er mich daran erinnert, wie oft du ihn erhoben hast.«
»Den linken oder den rechten?«, fragte Hayden. »So etwas ist wichtig.«
Doch während der Sommer unerbittlich dem Herbst weicht und seine Umwandlung unmittelbar nach dem Erlass des neuen Gesetzes näher rückt, fällt es Hayden zunehmend schwerer, den drohenden Untergang herunterzuspielen. Und schließlich gelangt auch er zu der Überzeugung, dass sein Leben, so wie er es kennt, im Schlachthaus des Cold Springs Ernte-Camps enden wird.