Auf Hela
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Hauptmann Seyfarth war ein schmächtiger Mann mit einem kleinen, schmallippigen Mund, der niemals lächelte, aber wie geschaffen dafür schien, Verachtung zu zeigen. Tatsächlich hatte Quaiche noch nie erlebt, dass der Hauptmann der Kathedralengarde andere Emotionen außer gelassener Gleichgültigkeit zur Schau getragen hätte. Selbst seine Verachtung setzte er nur sparsam ein wie ein kostspieliges und schwer zu beschaffendes Artilleriegeschütz. Gewöhnlich geschah es in Zusammenhang mit seiner Meinung zu den Sicherheitsvorkehrungen, die jemand anderer angeordnet hatte. Er war ein Mensch, der seine Arbeit sehr und sonst nur sehr wenig liebte. In Quaiches Augen war er die Idealbesetzung für diesen Posten.
Nun stand er in blitzender Garderüstung, den Paradehelm mit dem rosa Federbusch unter einem Arm, im Turmzimmer. Die aufwändig gewölbte und verschnörkelte Rüstung war scharlachrot wie arterielles Blut. Der Brustharnisch war mit vielen Medaillen und Bändern bemalt, Andenken an die Kämpfe, die Seyfarth für die Belange der Morwenna geführt hatte. Nach außen hin war es dabei stets offen und ehrlich zugegangen, und er hatte nie gegen die geltenden Regeln für das Verhalten am Weg verstoßen. Er hatte Überfälle von verärgerten Dorfbewohnern abgewehrt oder Angriffe von kriminellen Händler, darunter auch kleineren Ultra-Gruppen, zurückgeschlagen. Aber er hatte auch Geheimoperationen durchgeführt, die zu heikel waren, um ihrer zu gedenken: präventive Sabotageaktionen gegen den Ewigen Weg wie gegen andere Kathedralen oder die diskrete Beseitigung progressiver Elemente in der Kirchenhierarchie, die gegen Quaiche agitierten. Meuchelmord wäre ein zu starkes Wort gewesen, aber auch das gehörte zu Seyfarths Repertoire. Seine Vergangenheit war von der Art, die man besser unberührt ließ. Kriege und Kriegsverbrechen spielten darin eine zentrale Rolle.
Quaiche gegenüber war er jedoch unerschütterlich loyal. Seyfarth hätte in fünfunddreißig Dienstjahren oft genug Gelegenheit gehabt, seinen Herrn zu verraten, um sich damit persönliche Vorteile zu verschaffen. Er hatte es nie getan; er strebte nur danach, seine Aufgaben als Quaiches Beschützer aufs Beste zu erfüllen.
Dennoch war Quaiche ein Risiko eingegangen, als er ihn in seine Pläne einweihte. Bei allen anderen Beteiligten – sogar beim Meister der Haltebucht – genügte es, wenn sie einzelne Teile kannten. Grelier war völlig ahnungslos. Aber Seyfarth brauchte den Überblick über den Gesamtplan. Immerhin war er derjenige, der das Schiff einnehmen musste.
»Es ist also so weit«, sagte Seyfarth. »Sonst hätte man mich nicht gerufen.«
»Ich habe einen willigen Kandidaten gefunden«, sagte Quaiche. »Und was noch wichtiger ist, er entspricht auch meinen Vorstellungen.« Er reichte Seyfarth ein Bild des Raumschiffs, das von Spionagesatelliten aufgenommen worden war. »Was meinen Sie? Ist das zu schaffen?«
Seyfarth ließ sich viel Zeit und sah sich das Bild genau an. »Es ist mir auf den ersten Blick zuwider«, sagte er. »Alle diese gotischen Verzierungen… fast als flöge ein Stück der Morwenna durchs Weltall.«
»Gerade dann ist es doch sehr passend.«
»Mein Einwand bleibt bestehen.«
»Sie werden damit leben müssen. Es gibt keine zwei Ultraschiffe, die genau gleich aussehen, und uns sind schon ausgefallenere Formen begegnet. Die Haltebucht kann schließlich in vernünftigen Grenzen jedes Rumpfprofil aufnehmen. Das stellt keine Schwierigkeit dar. Außerdem kommt es mehr auf das Innere an.«
»Konnten Sie einen Spion an Bord schleusen?«
»Nein«, sagte Quaiche. »Dafür reichte die Zeit nicht aus. Aber das macht nichts. Der Kandidat hat sich mehr oder weniger bereiter klärt, eine Abordnung von adventistischen Beobachtern an Bord zu lassen. Das sollte genügen.«
»Und der Zustand der Triebwerke?«
»Kein Grund zur Beunruhigung. Wir haben das Schiff im Anflug beobachtet: sah alles sauber und stabil aus.«
Seyfarth studierte das Bild noch immer. Seine Lippen kräuselten sich in wohl bekannter Verachtung. »Wo kommt sie her?«
»Keine Ahnung. Wir haben sie erst gesehen, als sie schon ganz nahe war. Wieso?«
»Irgendetwas an diesem Schiff ist mir nicht geheuer.«
»Das würden Sie immer sagen, was ich Ihnen auch anbiete.
Sie sind der geborene Pessimist, Seyfarth: Deshalb sind Sie genau der richtige Mann für diesen Posten. Aber die Entscheidung ist gefallen. Ich habe dieses Schiff ausgewählt.«
»Den Ultras ist nicht zu trauen«, sagte der Hauptmann. »Jetzt weniger denn je. Sie haben ebenso viel Angst wie alle anderen.« Er wedelte mit dem Bild hin und her, dass es schnalzte. »Was verspricht sich denn Ihr Kandidat von dem Geschäft, Quaiche? Haben Sie sich das gefragt?«
»Das, was ich ihm gebe.«
»Und das wäre?«
»Handelsprivilegien, erste Wahl bei den Flitzerfunden und dergleichen. Und…« Er vollendete den Satz nicht.
»Und was?«
»Die Leute sind vor allem an Haldora interessiert«, sagte Quaiche. »Sie möchten einige Untersuchungen durchführen.«
Seyfarth sah ihn ausdruckslos an; Quaiche kam sich vor, als würde er geschält wie eine Frucht. »Bisher haben Sie derartige Gesuche immer abgelehnt«, sagte er. »Woher der plötzliche Sinneswandel?«
»Weil«, sagte Quaiche, »es jetzt nicht mehr darauf ankommt. Die Auslöschungen steuern ohnehin auf einen krönenden Abschluss zu. Gottes Wort wird sich offenbaren, ob es uns gefällt oder nicht.«
»Das ist es nicht allein.« Seyfarth fuhr mit seinem roten Handschuh durch den weichen rosa Federbusch. »Es kümmert Sie einfach nicht mehr, nicht wahr? Seit der Triumph zum Greifen nahe ist.«
»Sie irren sich«, sagte Quaiche. »Es ist mir wichtiger denn je. Aber vielleicht ist ja gerade dies Gottes Wille. Vielleicht führen die Ultras mit ihrem Eingreifen das Ende sogar schneller herbei.«
»Und Gottes Wort offenbart sich am Vorabend Ihres Sieges? Ist das Ihre Hoffnung?«
»Wenn es so vorherbestimmt ist«, sagte Quaiche mit einem fatalistischen Seufzer, »wie komme ich dazu, mich dem Schicksal in den Weg zu stellen?«
Seyfarth gab ihm die Aufnahme zurück und ging im Turmzimmer auf und ab. Die Spiegel zerschnitten sein Bild und mischten die Teile neu. Seine Rüstung knarrte mit jedem Schritt, die behandschuhte Faust öffnete und schloss sich nervös.
»Das Vorauskommando: wie viele Delegierte?«
»Sie waren mit zwanzig einverstanden. Ich hielt es nicht für ratsam, sie weiter zu bedrängen. Sie kommen doch mit zwanzig Mann zurecht?«
»Dreißig wären besser.«
»Dreißig sieht bereits nach einer Armee aus. Außerdem sollen die zwanzig nur feststellen, ob es sich überhaupt lohnt, das Schiff zu übernehmen. Sobald die Fronten aufgeweicht sind, können Sie so viele Gardisten nachschicken, wie Sie entbehren können.«
»Ich brauche die Erlaubnis, alle Waffen einzusetzen, die ich für erforderlich halte.«
»Sie sollen die Leute nicht sinnlos abschlachten, Hauptmann«, mahnte Quaiche mit erhobenem Zeigefinger. »Widerstand darf in vernünftigem Rahmen gebrochen werden, gewiss, aber das heißt nicht, dass Sie ein Blutbad anrichten sollen. Setzen Sie auf jeden Fall die Sicherheitselemente außer Gefecht, aber betonen Sie, dass wir uns das Schiff nur ausleihen wollen: Wir haben nicht vor, es zu stehlen. Sobald die Arbeit getan ist, bekommen sie es mit Dank zurück. Ich brauche wohl nicht eigens zu erwähnen, dass Sie mir das Schiff tunlichst in einem Stück zu übergeben haben.«
»Ich habe nur um die Erlaubnis zum Waffengebrauch gebeten.«
»Setzen Sie ein, was Sie für richtig halten, Hauptmann, vorausgesetzt, Sie können es an den Ultras vorbeischmuggeln. Die Ultras werden das Übliche erwarten: Bomben, Messer und Handfeuerwaffen. Selbst wenn wir Antimaterie hätten, würde es uns schwer fallen, sie aufs Schiff zu bringen.«
»Ich habe bereits alle erforderlichen Vorkehrungen getroffen«, sagte Seyfarth.
»Natürlich. Aber – ich bitte Sie – legen sie ein gewisses Maß an Zurückhaltung an den Tag!«
»Was hatte eigentlich Ihre Hausmagierin zu der Sache zu sagen?«
»Sie kam zu dem Schluss, es gäbe keinen Anlass zur Beunruhigung.«
Seyfarth drehte sich um und setzte seinen Helm auf. Der rosa Federbusch fiel ihm über das schwarze Visier. Er sah zugleich komisch und Furcht einflößend aus, und genau das war seine Absicht.
»Dann werde ich mich an die Arbeit machen.«