Eins
Ararat,
System p Eridani A
2675
Vasko schwamm ans Ufer. Scorpio ließ den jungen Mann nicht aus den Augen. Die ganze Fahrt über hatte er über den Tod durch Ertrinken nachgedacht und sich vorgestellt, wie es wäre, in den lichtlosen Tiefen zu versinken. Es hieß, wenn man schon sterben müsste, wäre Ertrinken nicht die schlimmste Todesart. Woher die Leute das wissen wollten, und ob es auch für Schweine galt, war allerdings fraglich.
Solchen Gedanken hing er immer noch nach, als das Boot allmählich zum Stehen kam. Der elektrische Außenbordmotor raste weiter, bis er ihn ausschaltete.
Scorpio stocherte mit einem Stock im Wasser herum. Nach seiner Schätzung war es höchstens einen halben Meter tief. Er hatte gehofft, durch eine der Fahrrinnen näher an die Insel heranzukommen, aber es musste auch so gehen. Selbst wenn er mit Vasko keinen Treffpunkt vereinbart hätte, die Zeit reichte nicht aus, um wieder aufs offene Meer hinauszufahren und sich auf die Suche zu machen. Fahrrinnen waren schon bei ruhiger See und völlig wolkenlosem Himmel nur mit Mühe zu finden.
Scorpio ging zum Bug, griff nach dem plastikummantelten Seil, das Vasko als Kopfkissen benutzt hatte, und wickelte sich ein Ende fest um das Handgelenk. Dann sprang er mit einer einzigen fließenden Bewegung über Bord und landete spritzend im flachen Wasser. Die flaschengrünen Fluten reichten ihm nur knapp über die Knie. Das Leder seiner Stiefel und seiner Gamaschen war so dick, dass er die Kälte kaum spürte. Das Boot war ein paar Grad abgetrieben, seit er ausgestiegen war, aber er straffte die Leine mit einem Ruck, und der Bug kam herum. Dann nahm er die Leine über die Schulter, watete los und zog das Boot hinter sich her. Die Steine unter seinen Füßen waren tückisch, doch hier leisteten ihm seine krummen Beine ausnahmsweise gute Dienste. Er schritt unbeirrt voran, bis ihm das Wasser nur noch bis zur Hälfte der Stiefelschäfte reichte. Als das Boot den Grund berührte, zerrte er es noch etwa zehn Schritte weiter, mehr wagte er nicht.
Auch Vasko war jetzt im Seichten angekommen. Der junge Mann stellte die Schwimmbewegungen ein und stand auf.
Scorpio zog das Boot am Dollbord zu sich heran und stieg ein. Der dicke Schorf aus korrodiertem Metall löste sich, dicke Brocken blieben ihm in der Hand. Das Boot hatte mehr als hundertundzwanzig Stunden im Wasser hinter sich, dies war vermutlich seine letzte Fahrt. Er beugte sich über die Seite und ließ den kleinen Anker fallen. Das hätte er auch früher schon tun können, aber Anker korrodierten ebenso leicht wie Bootsrümpfe. Man verließ sich besser nicht allzu fest auf sie.
Noch ein Blick zu Vasko. Der balancierte mit weit ausgebreiteten Armen auf das Boot zu.
Scorpio sammelte die Kleider seines Begleiters ein und stopfte sie in seinen Rucksack, der bereits Verpflegung, frisches Wasser und die Sanitätsausrüstung enthielt. Dann schwang er sich den Ranzen auf den Rücken und watete die letzten Schritte an Land, wobei er nicht versäumte, sich gelegentlich nach Vasko umzusehen. Scorpio wusste, dass er den Jungen hart angefasst hatte, aber der Jähzorn hatte ihn übermannt, und er war nicht mehr fähig gewesen, sich zu beherrschen. Diese Entwicklung beunruhigte ihn. Dreiundzwanzig Jahre war es her, seit er zum letzten Mal im Zorn und nicht in Ausübung seiner Pflicht die Hand gegen einen Menschen erhoben hatte. Aber jetzt sah er ein, dass man auch mit Worten Gewalt ausüben konnte. Früher hätte er darüber nur gelacht, doch inzwischen hatte er längst ein neues Leben begonnen. Er hatte geglaubt, gewisse Dinge überwunden zu haben.
Natürlich hatte die Aussicht auf ein Wiedersehen mit Clavain diese Wut geweckt. Ängste, Emotionen, die zurückreichten in die blutigen Sümpfe der Vergangenheit waren übermächtig geworden. Clavain wusste, was Scorpio gewesen war. Clavain wusste auch, wozu er fähig war.
Er blieb stehen und wartete, bis der junge Mann ihn eingeholt hatte.
»Sir…« Vasko war außer Atem und zitterte vor Kälte.
»Wie war es?«
»Sie hatten Recht, Sir. Es war kälter, als es den Anschein hatte.«
Scorpio nahm den Rucksack ab. »Das dachte ich mir, aber Sie haben sich gut gehalten. Ich habe Ihre Sachen hier. Damit werden Sie rasch wieder warm. Sie bedauern doch nicht, dass Sie mitgekommen sind?«
»Nein, Sir. Ich wollte schließlich ein Abenteuer.«
Scorpio reichte ihm seine Sachen. »Wenn Sie erst in meinem Alter sind, werden Sie darauf nicht mehr so scharf sein.«
Es war windstill wie so oft, wenn die Wolkendecke tief über Ararat hing. Die nähere Sonne – das Gestirn, um das Ararat kreiste – hing als verwaschener Fleck tief am westlichen Himmel. Ihre weiter entfernte binäre Schwester blitzte wie ein weißer Diamant am gegenüberliegenden Horizont durch eine Wolkenlücke. Offiziell hießen die beiden Sonnen P Eridani A und B, aber alle Welt sprach nur von der Hellen und der Matten Sonne.
Im silbrig grauen Tageslicht schwappte das Wasser wie eine schmutzige, graugrüne Suppe um Scorpios Stiefel. Doch obwohl man nicht bis auf den Grund sehen konnte, war die Dichte schwimmender Mikroorganismen für Ararat vergleichsweise gering. Vasko war beim Schwimmen dennoch ein gewisses Risiko eingegangen, aber es war richtig gewesen, denn auf diese Weise waren sie mit dem Boot viel näher ans Ufer gekommen. Scorpio verstand nicht viel von solchen Dingen, aber er wusste immerhin, dass wichtige Begegnungen zwischen Menschen und Schiebern zumeist in Bereichen des Ozeans stattfanden, wo das Wasser so mit Organismen übersättigt war, dass regelrechte Flöße aus organischer Materie entstanden. Hier war die Konzentration so niedrig, dass kaum Gefahr bestand, die Schieber könnten in ihrer Abwesenheit das Boot auffressen oder es mithilfe lokal begrenzter Gezeitenströmungen aufs offene Meer hinaustragen.
Sie hatten die sanft ansteigende Felsebene erreicht, die vom Meer aus nur als schwarzer Strich zu sehen gewesen war. Hier und dort stand das Wasser in flachen grauen Tümpeln, in denen sich der bedeckte Himmel spiegelte. Dahinter ragte in einiger Entfernung ein weißer Pickel auf. Den steuerten sie an.
»Sie haben mir noch immer nicht gesagt, was wir eigentlich hier wollen«, sagte Vasko.
»Das werden Sie noch früh genug erfahren. Zunächst werden Sie mal dem Alten begegnen. Finden Sie das nicht aufregend genug?«
»Es macht mir eher Angst.«
»Er kann einem auch Angst machen, aber lassen Sie sich nicht einschüchtern. Er hält nichts von Demutsgebärden.«
Das Boot zu ziehen, war anstrengend gewesen, aber nachdem sie zehn Minuten gegangen waren, hatte Scorpio sich wieder erholt. Der Pickel wurde zu einer Kuppel, die auf dem Boden stand, und entpuppte sich schließlich als aufblasbares Zelt, gehalten von Leinen und Heringen, die in den Fels geschlagen waren. Am unteren Rand wies das weiße Gewebe Salzwasserflecken in verschiedenen Grüntönen auf. An mehreren Stellen war es notdürftig geflickt. Ringsum lagen Muschelstücke auf dem Boden oder lehnten schräg an der Zeltwand. Jemand hatte sie wie Treibholz aus dem Meer geholt und bewusst künstlerisch arrangiert.
»Sie sagten doch vorhin, Clavain sei gar nicht am anderen Ende der Welt, Sir?«, fragte Vasko.
»Ja?«
»Warum konnte man uns nicht einfach mitteilen, dass er sich stattdessen hier aufhält?«
»Weil es für diesen Aufenthalt einen bestimmten Grund gibt«, antwortete Scorpio.
Sie gingen um das Zelt herum, bis sie den luftdichten Eingang fanden. Daneben stand ein summender Kasten, der Energie erzeugte, den Innendruck aufrechterhielt und den Bewohner mit Wärme und anderen Annehmlichkeiten versorgte.
Scorpio fuhr mit dem Finger über den scharfen Rand einer Muschelscherbe, die offensichtlich aus einem größeren Stück herausgeschnitten worden war. »Sieht so aus, als hätte er Strandgut gesammelt.«
Vasko zeigte auf die äußere Tür, die bereits offen stand. »Sieht aber nicht so aus, als wäre jemand zu Hause.«
Scorpio öffnete die innere Tür. Ein Hochbett mit ordentlich zusammengefalteten Decken und ein kleiner Klapptisch. Ein Ofen und ein Nahrungssynthesizer. Eine Karaffe mit gefiltertem Wasser und ein Karton mit Lebensmitteln. Eine Luftpumpe, die noch lief, auf dem Tisch etliche kleinere Muschelstücke.
»Man kann nicht feststellen, wann er zum letzten Mal hier war«, bemerkte Vasko.
Scorpio schüttelte den Kopf. »Er ist wahrscheinlich noch nicht lange weg, allenfalls ein bis zwei Stunden.«
Vasko suchte nach dem Beweis, auf den Scorpio seine Behauptung stützte. Er würde ihn nicht finden: Schweine wussten seit langem, dass den Standardmenschen der feine Geruchssinn fehlte, den sie selbst von ihren Vorfahren geerbt hatten. Und sie hatten – auf die harte Tour – gelernt, dass die Menschen daran nicht gern erinnert wurden.
Sie verließen das Zelt und verschlossen die innere Tür hinter sich, wie sie sie vorgefunden hatten.
»Was nun?«, fragte Vasko.
Scorpio reichte ihm den zweiten Armbandkommunikator, den er am Handgelenk getragen hatte. Das Gerät war bereits auf eine abhörsichere Frequenz eingestellt, sie brauchten also nicht zu befürchten, dass jemand von den anderen Inseln mithörte. »Sie können mit den Dingern umgehen?«
»Ich denke schon. Was genau soll ich damit anfangen?«
»Sie warten hier, bis ich zurückkomme. Ich gehe davon aus, dass ich Clavain mitbringe. Aber falls er vor mir hier auftauchen sollte, sagen Sie ihm, wer Sie sind und wer Sie geschickt hat. Dann rufen Sie mich an und fragen Clavain, ob er mit mir sprechen möchte. Kapiert?«
»Und wenn Sie nicht wiederkommen?«
»Dann melden Sie sich am besten bei Blood.«
Vasko betastete das Armband. »Das hört sich so an, als machten Sie sich Sorgen um seinen Geisteszustand, Sir. Glauben Sie, er könnte gefährlich sein?«
»Das hoffe ich sogar«, antwortete Scorpio, »denn wenn er nicht gefährlich ist, nützt er uns nicht viel.« Er klopfte dem jungen Mann auf die Schulter. »Sie warten hier, während ich die Insel umrunde. Es dauert höchstens eine Stunde. Wahrscheinlich finde ich ihn irgendwo am Meer.«
Scorpio breitete seine Stummelarme aus, um das Gleichgewicht zu halten, und schritt über die flachen, felsigen Strände der Insel. Ob er dabei unbeholfen oder gar komisch aussah, war ihm egal.
Als er vor sich im immer dichter werdenden Abendnebel eine Gestalt zu erkennen glaubte, wurde er langsamer und kniff die Augen zusammen. Er sah nicht mehr so gut wie damals in seiner Jugend in Chasm City. Einerseits hoffte er, die Erscheinung möge sich als Clavain herausstellen. Doch zugleich wünschte er sich, sie wäre nur ein Hirngespinst, eine optische Täuschung, entstanden durch das Zusammenspiel von Felsen, Licht und Schatten.
Er hatte Angst, obwohl er es nur ungern zugab. Seit er Clavain zum letzten Mal gesehen hatte, waren sechs Monate vergangen. Eigentlich keine lange Zeit, schon gar nicht im Verhältnis zum bisherigen Leben des Mannes. Dennoch wurde Scorpio das Gefühl nicht los, dass ihm eine Begegnung mit einem Menschen bevorstand, den er seit Jahrzehnten nicht mehr getroffen hatte und der von der Zeit und vom Leben bis zur Unkenntlichkeit entstellt worden war. Was würde er tun, falls er erkennen müsste, dass Clavain tatsächlich den Verstand verloren hatte? Würde er es überhaupt erkennen? Scorpio hatte so lange unter Standardmenschen gelebt, dass er ziemlich sicher war, ihre Absichten, ihre Stimmungen und ihre allgemeine geistige Verfassung richtig einschätzen zu können. Die Unterschiede im Denken von Menschen und Hyperschweinen waren angeblich gar nicht so groß. Aber wenn es um Clavain ging, nahm Scorpio sich jedes Mal wieder vor, alle Erwartungen auszuschalten. Clavain war anders als andere Menschen. Die Geschichte hatte ihn geprägt und zu einem einmaligen Wesen, womöglich sogar zu einem Ungeheuer gemacht.
Scorpio war fünfzig Jahre alt. Er kannte Clavain, seit er vor einem halben Leben von dessen früherer Partei im Yellowstone-System gefangen genommen worden war. Clavain hatte den Synthetikern wenig später den Rücken gekehrt, und nachdem auf beiden Seiten etliche Vorbehalte ausgeräumt worden waren, hatten er und Scorpio schließlich begonnen, für dieselbe Sache zu kämpfen. Mithilfe einer Horde von Soldaten und verschiedenen zwielichtigen Existenzen aus dem Dunstkreis von Yellowstone hatten sie ein Schiff gestohlen, um damit ins Resurgam-System zu fliegen. Auf dem Weg dorthin waren sie von Clavains ehemaligen Synthetikergenossen unentwegt verfolgt und angegriffen worden. Von Resurgam waren sie dann – mit einem ganz anderen Schiff – hierher auf den blaugrünen Wasserplaneten Ararat gekommen. Seit dem Aufbruch von Resurgam hatten die beiden kaum noch Kämpfe zu bestehen gehabt, hatten aber beim Aufbau der zeitlich befristeten Kolonie auch weiterhin zusammengearbeitet.
Mit sorgfältiger Planung hatten sie ganze Gemeinden ins Leben gerufen. Wenn es dabei zum Streit gekommen war, dann immer nur in wirklich wichtigen Dingen. Sobald einer von beiden zu hart oder zu weich werden wollte, war der andere zur Stelle und sorgte für den nötigen Ausgleich. Diese Jahre hatten Scorpios Charakter so weit gestärkt, dass er aufhörte, die Menschen mit jedem Atemzug zu hassen. Allein schon deshalb stand er in Clavains Schuld.
Nur war die Welt leider nicht so einfach.
Schließlich war Clavain vor fünfhundert Jahren geboren worden und hatte den größten Teil dieser Zeit bei vollem Bewusstsein durchlebt. Wenn nun der Clavain, wie ihn Scorpio und übrigens auch die meisten Kolonisten kannten, nur eine Übergangsphase wäre, ein kurzer, trügerischer Sonnenstrahl an einem ansonsten stürmischen Tag? Zu Anfang ihrer Bekanntschaft hatte Scorpio ihn stets mit halbem Auge beobachtet, um einen etwaigen Rückfall in die Haltung des gewissenlosen Schlächters sofort zu erkennen. Aber er hatte nicht nur nichts Verdächtiges bemerkt, sondern mehr als genügend Hinweise darauf erhalten, dass Clavain zu Unrecht als Monstrum in die Geschichte eingegangen war.
Doch in den letzten zwei Jahren war ihm diese Gewissheit unter den Fingern zerronnen. Clavain war nicht etwa grausamer, streitsüchtiger oder gewalttätiger geworden, aber er hatte sich unzweifelhaft verändert. Es war, als zeigte sich eine Landschaft von einem Augenblick zum anderen in einem neuen Licht. Scorpio wusste zwar, dass von anderer Seite ähnliche Zweifel an seiner eigenen Stabilität gehegt wurden, aber das war ihm nur ein schwacher Trost. Er kannte seinen eigenen Geisteszustand und durfte hoffen, dass er nie wieder einen Menschen so verletzen würde, wie er es in der Vergangenheit getan hatte. Aber was im Kopf seines Freundes vorging, konnte er nur vermuten. Sicher war lediglich, dass der Clavain, den er kannte, der Clavain, an dessen Seite er gekämpft hatte, sich ganz in sich zurückgezogen hatte und in einer Welt lebte, zu der er niemandem Zugang gewährte. Schon bevor er sich auf dieser Insel verschanzt hatte, war Scorpio an einen Punkt gelangt, wo er den Mann kaum noch verstand.
Aber er machte dafür nicht Clavain verantwortlich. Das hätte niemand getan.
Er setzte seinen Weg fort, bis er sicher sein konnte, dass die Gestalt Wirklichkeit war, dann ging er weiter, bis er Einzelheiten unterscheiden konnte. Die Gestalt kauerte so reglos am Meeresufer, als hätte sie sich in einen Traum verirrt, während sie nichts ahnend die Fauna in einem der Gezeitentümpel beobachtete.
Es war Clavain. Scorpio hätte ihn auch dann sofort erkannt, wenn er die Insel für unbewohnt gehalten hätte.
Das Schwein atmete auf. Wenigstens war sein Freund noch am Leben. Das zählte zunächst einmal als Sieg, was immer dieser Tag noch bringen mochte.
Als er auf Rufweite herangekommen war, spürte Clavain seine Gegenwart und sah sich um. Nach Scorpios Landung war ein heftiger Wind aufgekommen, der dem alten Mann das lange weiße Haar in das leicht gerötete Gesicht wehte. Der sonst so stets sauber gestutzte Bart war in der Zwischenzeit ebenfalls gewachsen und wirkte ungepflegt. Die dürre Gestalt steckte in einem schwarzen Anzug und hatte ein dunkles Tuch oder einen Mantel um die Schultern. Clavain stand in unbequemer Haltung da, die Knie gebeugt, in den Hüften abknickend, als hätte er nur kurz innegehalten.
Scorpio war überzeugt, dass er seit Stunden so auf das Meer hinausstarrte.
»Nevil«, sagte er.
Clavain bewegte die Lippen, aber das Zischen der Brandung übertönte seine Stimme.
»Ich bin es – Scorpio«, rief ihm das Schwein zu.
Wieder setzte Clavain zum Sprechen an. Seine Stimme klang wie eingerostet, kaum mehr als ein Flüstern. »Ich sagte doch, ich will nicht, dass du hierher kommst.«
»Ich weiß.« Scorpio war näher getreten. Immer wieder wehte der Wind das Haar in diese Greisenaugen, die so tief in ihren Höhlen lagen und so trostlos ins Nichts starrten. »Ich weiß, und wir haben deine Bitte immerhin sechs Monate lang respektiert.«
»Sechs Monate?« Das war fast ein Lächeln. »So lange ist es schon her?«
»Sechs Monate und eine Woche, wenn du es genau wissen willst.«
»Das hätte ich nicht gedacht. Mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen.« Clavain drehte den Kopf und schaute wieder aufs Meer hinaus. Die Kopfhaut unter dem schütteren weißen Haar hatte den gleichen rosaroten Farbton wie Scorpios Schwarte.
»Manchmal kommt es mir auch sehr viel länger vor«, fuhr er fort. »So als hätte ich nie etwas anderes getan, als meine Tage hier zu verbringen. Manchmal ist es, als gäbe es auf dem ganzen Planeten keine Menschenseele außer mir.«
»Wir sind aber noch da«, sagte Scorpio. »Alle einhundertsiebzigtausend. Und wir brauchen dich nach wie vor.«
»Ich hatte ausdrücklich verlangt, nicht gestört zu werden.«
»Außer in wichtigen Fällen. So war es vereinbart, Nevil.«
Clavain stand quälend langsam auf. Er war immer größer gewesen als Scorpio, doch jetzt wirkte die hagere Gestalt wie eine flüchtig an den Himmel geworfene Skizze, die Arme und Beine nur mit schrägen Strichen andeutete.
Scorpio betrachtete Clavains Hände, die so feingliedrig waren wie die eines Chirurgen. Oder vielleicht eines Vernehmungsbeamten. Die langen Fingernägel kratzten mit einem Geräusch über den feuchten schwarzen Stoff der Hose, das dem Schwein durch Mark und Bein ging.
»Und?«
»Wir haben etwas gefunden«, sagte Scorpio. »Wir wissen nicht genau, was es ist, oder wer es geschickt hat, aber wir glauben, dass es aus dem Weltraum kommt. Und wir vermuten, dass jemand darin sein könnte.«