Hela

2727

 

 

Nachts in ihrem Zimmer kehrte die Stimme zurück. Sie wartete immer, bis Rachmika das Turmzimmer verlassen hatte und allein war. Beim ersten Mal hatte das Mädchen gehofft, es handle sich um eine vorübergehende Wahnvorstellung, vielleicht eine Nachwirkung von quaichistischen Viren, die irgendwie in ihren Körper gelangt waren und ihr nun den Verstand verwirrten. Aber dafür war die Stimme zu vernünftig, zu ruhig, zu gelassen, und was sie sagte, bezog sich direkt auf Rachmika und ihr Dilemma und nicht auf irgendeinen beliebigen Empfänger.

[Rachmika], sagte sie. [Bitte höre uns an. Die Krise rückt näher, in mehr als einer Beziehung.]

»Lasst mich in Ruhe«, sagte sie und vergrub ihren Kopf im Kissen.

[Wir brauchen deine Hilfe jetzt], sagte die Stimme.

Auch wenn sie nicht antwortete, würde die Stimme sie weiter bedrängen. Ihre Geduld war endlos. »Meine Hilfe?«

[Wir wissen, was Quaiche mit dieser Kathedrale vorhat. Er will sie über die Brücke fahren. Das kann nicht gut gehen, Rachmika. Die Brücke wird die Morwenna nicht tragen. Sie ist nicht für das Gewicht einer ganzen Kathedrale gebaut.]

»Und woher wisst ihr das?«

[Die Brücke ist kein Relikt der Flitzer. Sie ist sehr viel jünger. Und sie wird für die Mor nicht stark genug sein.]

Sie richtete sich auf ihrer schmalen Pritsche auf und drehte die Jalousien, damit das Licht durch das Buntglasfenster ins Zimmer fallen konnte. Unter sich spürte sie das Poltern und Schwanken der Kathedrale, in der Ferne war das Rattern der Motoren zu hören. Sie dachte an die Brücke, die zart wie ein Traum vor ihnen erglänzte, nichts ahnend von der gewaltigen Masse, die langsam auf sie zuglitt.

Was meinte die Stimme damit, dass sie jünger sei?

»Ich kann die Kathedrale nicht anhalten«, sagte sie.

[Das brauchst du auch nicht. Du brauchst uns nur in Sicherheit zu bringen, bevor es zu spät ist.]

»Warum fragt ihr nicht Quaiche?«

[Glaubst du, das hätten wir nicht versucht, Rachmika? Glaubst du, wir hätten nicht Stunden damit verbracht, in zu überreden? Aber er kümmert sich nicht um uns. Er zöge es vor, wenn wir nicht existierten. Manchmal kann er sich sogar davon überzeugen. Wenn die Kathedrale von der Brücke stürzt oder die Brücke zusammenbricht, werden wir zerstört. Er wird es zulassen, weil er sich dann nicht mehr mit uns zu beschäftigen braucht.]

»Ich kann euch nicht helfen«, sagte sie. »Und ich will es auch nicht. Ihr macht mir Angst. Ich weiß nicht einmal, wer ihr seid oder woher ihr kommt.«

[Du weißt mehr, als du denkst], sagte die Stimme. [Du bist unseretwegen hier, nicht wegen Quaiche.]

»Unsinn.«

[Wir wissen, wer du bist, Rachmika, oder vielmehr, wir wissen, wer du nicht bist. Die Maschinen in deinem Kopf, weißt du noch? Was glaubst du denn, woher sie kommen?]

»Ich weiß nichts von Maschinen.«

[Und deine Erinnerungen – kommt es dir nicht manchmal vor, als gehörten sie jemand anderem? Wir haben gehört, wie du mit dem Dekan gesprochen hast. Wir haben gehört, was du über die Amarantin und deine Erinnerungen an Resurgam sagtest.]

»Ich hatte mich versprochen«, sagte sie. »Ich meinte nicht…«

[Du hast jedes Wort ernst gemeint, es ist dir nur noch nicht bewusst. Du bist sehr viel mehr, als du ahnst, Rachmika. Wie weit reichen deine Erinnerungen an das Leben auf Hela tatsächlich zurück? Neun Jahre? Vermutlich nicht viel weiter. Und was war vorher?]

»Hört auf, so zu reden«, sagte sie.

Die Stimme beachtete sie nicht. [Du bist nicht, was du zu sein scheinst. Deine Erinnerungen an das Leben auf Hela sind nur eine dünne Schicht. Darunter liegt etwas ganz anderes. Diese Schicht hat dir neun Jahre lang gute Dienste geleistet, dank ihr konntest du dich zwischen diesen Menschen bewegen, als wärst du hier geboren. Die Illusion war so perfekt, so nahtlos, dass nicht einmal du selbst Verdacht schöpftest. Doch deine wahre Aufgabe war die ganze Zeit über im Hintergrund deines Bewusstseins versteckt. Du musstest auf etwas warten, auf ein Zusammentreffen von bestimmten Ereignissen, um das Ödland zu verlassen und dich zum Ewigen Weg zu begeben. Jetzt bist du fast am Ende deiner Reise angelangt und erwachst allmählich aus deinem Traum. Du fängst an dich daran zu erinnern, wer du wirklich bist, und das findest du aufregend, aber es macht dir auch Angst.]

»Was für eine Aufgabe?«, fragte sie und musste fast lachen.

[Kontakt zu uns aufzunehmen], sagte die Stimme, [zu uns, den Schatten. Du wurdest auf diese Welt geschickt, um mit uns zu verhandeln.]

»Wer seid ihr?«, fragte sie leise. »Bitte sagt es mir.«

[Schlaf ein, kleines Mädchen. Du wirst von uns träumen, und danach wirst du alles wissen.]

 

Rachmika schlief ein und träumte von Schatten, aber auch von anderen Dingen. Es waren Träume, die sie bisher mit leichtem Schlaf und Fieber verbunden hatte: geometrisch, abstrakt, mit vielen Wiederholungen, erfüllt von unmotivierten Schreckens- und Glücksgefühlen. Sie träumte den Traum eines gejagten Volkes.

Sie waren weit weg, so weit, dass die Entfernung zum vertrauten Universum – nach Zeit und Raum – mit keiner Einheit sinnvoll zu messen war. Aber sie waren in gewissem Sinne eine intelligente Spezies. Sie hatten gelebt und geträumt, und sie hatten eine Geschichte, die selbst so etwas wie ein Traum war: unvorstellbar weit zurückreichend, unvorstellbar vielschichtig, ein Epos, das zu lang geworden war, um es noch erzählen zu können. Rachmika musste – konnte – im Moment nur so viel erfahren: Die Spezies war so alt, dass sie nach menschlichen Begriffen nur noch unvorstellbar ferne Erinnerungen an die eigene Kolonisierung des interstellaren Raums hatte, so verblasst, so ausgebleicht, dass sie kaum zu trennen waren von den Erinnerungen an die eigene Frühgeschichte, an die Entdeckung des Feuers und die Jagd auf wilde Tiere.

Diese Wesen hatten zuerst eine Hand voll Sonnensysteme und dann ihre gesamte Galaxis besiedelt, danach waren sie in großen Sprüngen immer weiter nach draußen gezogen. Sie waren von einer hierarchischen Ebene zur nächsten getanzt, von Galaxien zu Galaxiengruppen und weiter zu Superclustern aus zwanzig oder dreißigtausend Galaxiengruppen, bis ihre Stimmen über die sternenlosen Weiten zwischen diesen Superclustern – den größten Gebilden der ganzen Schöpfung – schallten wie Affengekreisch über die Wipfel des Urwalds. Sie hatten Großartiges und Schreckliches vollbracht. Sie hatten sich und ihr Universum umgeformt, und sie hatten Pläne für die Ewigkeit geschmiedet.

Doch sie waren gescheitert. In ihrer ganzen Schwindel erregenden Geschichte von einem Skalensprung zum anderen hatte es niemals eine Zeit gegeben, in der sie nicht auf der Flucht gewesen wären. Nicht vor den Unterdrückern oder einer ähnlichen Bedrohung. Bei ihren Feinden handelte sich zwar ebenfalls um Maschinen, aber diese Maschinen glichen eher einer Seuche, einer alles verschlingenden Transformationskrankheit, die die Intelligenz selbst freigesetzt hatte. Der Traum lieferte nur vage Einzelheiten, aber Rachmika verstand immerhin so viel: Eine Entwicklung aus der frühesten Geschichte, mehr Werkzeug als Waffe, eher für friedliche und praktische Zwecke gedacht, war außer Kontrolle geraten.

Das Werkzeug griff keine Personen an und ließ auch nicht erkennen, dass es sie überhaupt als solche erkannte. Stattdessen zerlegte es Materie – mit der sinnlosen Wut einer Feuersbrunst –, verwandelte Welten in Schuttwolken, die ganze Sterne mit Schalen aus Fels und Eis umgaben. In die Maschinenschwärme waren Spiegel integriert, die das Sonnenlicht bündelten und die Leben spendende Energie auf die Schuttkörner richteten. Die Energie wurde eingefangen und mit transparenten Membranen um die Körner festgehalten, sodass sich in den Blasen winzige Ökologien entwickeln konnten. In solchen warmen, smaragdgrünen Nischen konnten Vertreter der Spezies überleben, wenn sie wollten. Aber das war ihre einzige Alternative, und auch dann war nur eine ganz bestimmte Art von Existenz möglich. Sonst blieb ihnen nur noch die Flucht: Sie konnten die Maschinen nicht aufhalten, sie konnten nur vor dem Rand der Welle herlaufen und hilflos mit ansehen, wie das Feuer der Transformation in einem Lidschlag kosmischer Zeit durch ihre gewaltige Zivilisation raste und wie die Schwärme maschinell angeregter lebender Materie ihre Sonnen in grüne Laternen verwandelte.

So flüchteten sie immer weiter. Sie suchten ihr Heil in Satellitengalaxien und wähnten sich dort ein paar Jahre lang in Sicherheit. Doch irgendwann holten die Maschinen sie ein, und der quälend langsame Prozess des Sternenfraßes begann von neuem. Die Wesen traten abermals die Flucht an, aber sie rannten nicht schnell und nicht weit genug. Ihre Waffen waren nutzlos: Entweder richteten sie mehr Schaden an als die Seuche selbst oder sie halfen ihr noch, sich weiter zu verbreiten. Die Transformationsmaschinen wurden ständig wendiger und klüger. Nur ihr Hauptziel veränderte sich nicht: Sie wollten Welten zertrümmern und die Scherben in unzählige leuchtend grüne Blasen verwandeln.

Dazu waren sie geschaffen, und davon waren sie nicht abzubringen.

Die Spezies war am Ende ihrer Geschichte angelangt. Es gab keine Fluchtmöglichkeit mehr. Sie hatte jede Nische besetzt. Es gab auch kein Zurück, denn eine Einigung mit den Maschinen war undenkbar. Selbst die transformierten Galaxien waren inzwischen unbewohnbar, ihre Atmosphärenchemie vergiftet, das ökologische Gleichgewicht zwischen lebenden und toten Sonnen durch den Eifer der Maschinenschwärme zerstört. Die eigenen Waffen, ursprünglich gebaut, um die Maschinen zu besiegen, waren ihrerseits außer Kontrolle geraten und zu einer nicht minder großen Gefahr geworden.

Und so suchte die Spezies nach einem anderen Ausweg. Wenn man sie aus ihrem eigenen Universum verdrängte, dann war es vielleicht an der Zeit, an den Umzug in ein anderes Universum zu denken.

Zum Glück war das nicht so unmöglich, wie es sich anhörte.

Im Traum erlebte Rachmika die Theorie der Branen-Welten fast wie eine Halluzination: Samtvorhänge aus Licht und Dunkelheit durchwehten so gemächlich wie geomagnetische Stürme ihr Bewusstsein. Sie verstand nur so viel: Im sichtbaren Universum war alles, was sie sah – von ihrer Handfläche bis zur Morwenna, von Hela bis hinaus zur entferntesten Galaxie, die man noch beobachten konnte –, in einer Bran gefangen wie ein Webmuster in einem Stoff. Quarks und Elektronen, Photonen und Neutrinos – alle Bausteine des Universums, in dem sie lebte und atmete, einschließlich ihrer selbst – konnten sich nur in dieser einen Bran bewegen.

Doch die Bran selbst war nur eine von vielen parallelen Schichten in einem höherdimensionalen Raum, dem Multiversum, dem so genannten ›Bulk‹. Die Schichten lagen dicht übereinander; vielleicht waren sie sogar an den Rändern verbunden wie die gefalzten Lochstreifen eines riesigen kosmischen Orchestrions. Einige Schichten hatten sehr unterschiedliche Eigenschaften: Obwohl überall die gleichen fundamentalen Naturgesetze galten, hing die Stärke der Kopplungskonstanten – und damit die Eigenschaften des makroskopischen Universums – davon ab, wo im Bulk eine bestimmte Bran lag. Das Leben innerhalb dieser weit entfernten Branes war bizarr und fremdartig – immer vorausgesetzt, die lokale Physik ließ etwas so Komplexes wie Leben überhaupt zu. Andere Branen lagen so dicht beieinander, dass sie sich streiften, und diese Berührungen lösten bei allen beteiligten Schichten Urereignisse aus, die viel Ähnlichkeit mit dem Großen Knall der traditionellen Kosmologie hatten.

Wenn es zwischen der lokalen Bran und einer anderen eine Verbindung gab, dann befand sich der Falzpunkt – die Falte – in einer kosmologischen Entfernung noch jenseits der Hubble-Skala. Aber mit der Zeit fanden Materie und Strahlung immer einen Weg um diese Falte herum. Wenn man sich weit genug auf der Oberfläche einer dieser miteinander verbundenen Branen bewegte – durch zahllose Megaparsek im konventionellen Universum aus Materie und Licht –, gelangte man irgendwann auf die nächste Bran in der multidimensionalen Leere des Bulk.

Rachmika konnte nicht erkennen, in welcher topologischen Beziehung ihre Bran und die Bran der Schatten zueinander standen. Waren sie verbunden oder getrennt? Enthielten ihr die Schatten diese Information bewusst vor, oder war sie ihnen selbst nicht bekannt?

Wahrscheinlich spielte es keine Rolle.

Was eine Rolle spielte – das Einzige, was wirklich zählte –, war, dass es eine Möglichkeit gab, durch den Bulk Signale zu schicken. Die Schwerkraft war nicht wie die anderen Bestandteile ihres Universums vollständig an eine bestimmte Bran eingebunden. Sie konnte den langen Weg nehmen – konnte an einer einzelnen Bran entlangkriechen wie ein langsam sich ausbreitender Weinfleck –, aber sie konnte auch eine Abkürzung wählen und senkrecht durch den Bulk sickern.

Die Spezies – sie begriff erst jetzt, dass es die Schatten selbst waren – hatte mithilfe der Schwerkraft Botschaften durch den Bulk von einer Bran zur anderen geschickt. Und dann hatte sie geduldig gewartet – denn Geduld war ihre hervorragendste Eigenschaft –, bis jemand antwortete.

Irgendwann hatte sich tatsächlich jemand gemeldet. Sie nannten sich die Flitzer und waren selbst eine raumfahrende Spezies. Sie hatten keine so lange Geschichte wie die Schatten; seit sie ihre Ursprungswelt in einer entlegenen Ecke der Galaxis verlassen hatten, waren erst ein par Millionen Jahre vergangen. Es waren sehr eigenartige Wesen mit der sonderbaren Angewohnheit, Körperteile auszutauschen, und einem tiefen Abscheu vor Ähnlichkeit und Vervielfältigung. Ihre Kultur war für niemanden zu begreifen: Keine der Spezies, mit denen sie jemals in Kontakt gekommen waren, konnte etwas damit anfangen. Deshalb hatten sie kaum Handelsbeziehungen geknüpft, kaum Freunde gewonnen und kaum Erfahrungen mit anderen Gesellschaften gesammelt. Sie lebten auf kalten Welten, am liebsten waren ihnen Monde von Gasriesen. Sie blieben gern für sich und begnügten sich mit bescheidenen Siedlungen auf ein paar hundert Systemen in ihrem galaktischen Sektor. Da sie solche Eigenbrötler waren, dauerte es eine Weile, bis die Unterdrücker auf sie aufmerksam wurden.

Doch es nützte ihnen nichts. Die Unterdrücker machten keinen Unterschied nicht zwischen sanftmütigen und kriegerischen Spezies: Ihre Regeln galten für alle gleich. Als die Flitzer mit den Schatten in Berührung kamen, waren sie bereits von Ausrottung bedroht. Und natürlich waren sie zu allem bereit.

Die Schatten erfuhren von der Bedrängnis der Flitzer und hörten belustigt, wie ganze Spezies von den schwarzen Maschinenschwärmen ausgelöscht wurden.

Wir können helfen, erklärten sie.

Anfangs konnten sie nur Botschaften durch den Bulk übertragen, aber mit Unterstützung der Flitzer war bald sehr viel mehr möglich: Die Flitzer bauten für die Kommunikation mit den Schatten einen riesigen Empfänger für Gravitationssignale, der potenziell auch physische Übertragung zuließ. Im Grunde handelte es sich um einen Massengenerator – eine Maschine, die Festkörper bauen konnte, wenn man ihr die Pläne dazu überspielte. Wie der Empfänger, so war auch der Massengenerator eine alte galaxisweit bekannte Technologie. Die benötigten Rohstoffe lieferten die metallhaltigen Reste des Gasplaneten, den man demontiert hatte, um daraus den Empfänger zu bauen. Doch trotz seiner Einfachheit war der Massengenerator sehr vielseitig. Mit der richtigen Programmierung baute er Gefäße für die Schatten: leere, nahezu unsterbliche Maschinenkörper, auf die sie ihre Persönlichkeiten übertragen konnten. Da die Schatten auf ihrer Seite des Bulk ohnehin ein Maschinendasein führten, war dies für sie kein großes Opfer.

Doch die Flitzer waren eine vorsichtige Spezies und hatten raffinierte Sicherungen eingebaut. Ein physischer Übergriff von einer Bran auf die andere barg Gefahren, und dessen waren sie sich bewusst. Der Massengenerator konnte von den Schatten nicht aktiviert werden. Nur wenn ihn die Flitzer von ihrer Bran aus einschalteten, waren die Schatten imstande, diese Seite des Bulk zu kolonisieren. Die Schatten waren, jedenfalls beteuerten sie das, nicht daran interessiert, die ganze Galaxis zu übernehmen, sie wollten nur eine kleine unabhängige Gemeinschaft gründen, wo sie geschützt waren vor den Gefahren, die ihr eigenes Bran-Universum unbewohnbar machten.

Als Gegenleistung versprachen sie den Flitzern eine Waffe, mit der sie die Unterdrücker besiegen konnten.

Die Flitzer brauchten nur den Massengenerator einzuschalten und den Schatten zu erlauben, durch den Bulk auf ihre Bran zuzugreifen.

 

Rachmika erwachte. Draußen war es heller Tag, und das Buntglasfenster malte bunte Rauten auf ihr feuchtes, zerwühltes Kissen. Sie blieb noch einen Moment so liegen, badete in den Farben und ließ sich einlullen vom Schwanken der Morwenna. Sie hatte tief und fest geschlafen, aber sie fühlte sich wie zerschlagen und sehnte sich nach ein paar Stunden traumlosen Vergessens. Die Stimme war verstummt, aber sie würde sicherlich wiederkommen. Rachmika zweifelte nicht mehr an ihrer Echtheit und hielt auch die Geschichte im Wesentlichen für wahr.

Zumindest sah sie nun etwas klarer. Die Schatten hatten den Flitzern eine Chance geboten, der Ausrottung zu entgehen, um den Preis, dass sie ihnen eine Tür in dieses Universum öffneten. Die Flitzer hatten bereits dicht davorgestanden, den Sprung im letzten Augenblick aber doch nicht gewagt. So waren die Schatten auf ihrer Seite des Bulk geblieben, und die Flitzer waren untergegangen.

Ein schmerzliches Gefühl des Versagens begleitete diese Erkenntnis. Sie hatte sich geirrt. Die Flitzer waren doch Opfer der Unterdrücker geworden. Alle Arbeit der vergangenen neun Jahre, all die frommen Gewissheiten, auf die sie sich so viel zugute gehalten hatte, waren von diesem einen Offenbarungstraum hinweggefegt worden. Die Schatten hatten sie korrigiert. Was zählten ihre Ansichten gegen das Zeugnis einer fremden Intelligenz?

Die einzige Alternative – dass die Flitzer von den Schatten ausgelöscht worden waren – hatte sie bereits erwogen. Aber sie ergab noch weniger Sinn als die Unterdrückerhypothese. Angenommen, die Flitzer hätten die Schatten eingelassen, und die Schatten hätten sich so weit organisiert, dass sie solche Schäden anrichten konnten, wo waren sie dann geblieben? Dass sie Hela in Schutt und Asche gelegt und die Flitzer ausgerottet haben sollten, um dann kleinlaut in ihr eigenes Universum zurückzukriechen, war undenkbar. Ebenso wenig konnte man annehmen, dass sie die Kluft überwunden und den Mond verwüstet hatten, um dann in irgendeiner Ecke dieses Universums zu verschwinden. Sie mussten nämlich – das hatte die Stimme ausdrücklich gesagt – den Wechsel erst noch vollziehen. Deshalb sprachen sie ja zu ihr.

Sie verlangten von der Menschheit, den Mut aufzubringen, der den Flitzern gefehlt hatte.

Eines war jetzt immerhin klar: Haldora war der Signalmechanismus, der große Empfänger, den die Flitzer gebaut hatten. Sie hatten den früheren Gasriesen in seine Bestandteile zerlegt und die Reste zu einer Gravitationsantenne von der Größe einer Welt verarbeitet, die in ihrem Innern einen Massengenerator verbarg.

Das Bild von Haldora, das die Observatoren sahen, wenn sie in den Himmel schauten, war nur eine Tarnprojektion. Die Flitzer gab es nicht mehr, aber der Empfänger war erhalten geblieben. Doch hin und wieder brach die Tarnung für einen Sekundenbruchteil zusammen. Und dann sahen die Observatoren nicht etwa Gottes strahlende Zitadelle, sondern den Mechanismus des Empfängers, so wie er wirklich war.

Eine Tür am Himmel, die nur darauf wartete, geöffnet zu werden.

Damit blieb nur noch eine, die vielleicht schwierigste Frage unbeantwortet. Wenn alles, was die Schatten ihr gesagt hatten, die Wahrheit war, dann musste sie auch glauben, was sie ihr über sich selbst gesagt hatten.

Dass sie nämlich nicht war, was sie zu sein schien.

Offenbarung
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