117 WEISER IMPERATOR JORA’H

Die neuen Angriffe der Hydroger und die offene Rebellion des Hyrillka-Desgnierten erforderten sofortige Maßnahmen, doch nicht einmal der Weise Imperator konnte auf alles gleichzeitig reagieren. Pery’hs Ermordung und der Anschlag auf sein eigenes Leben machten ihm mehr zu schaffen als alles andere.

Durch das zerfranste Thism spürte er einen weiteren Notfall auf Maratha, aber dort befanden sich so wenige Personen, dass er keinen klaren Eindruck von der Situation gewann. Die Verbindung mit seinem Bruder Avi’h war ohnehin nie sehr stark gewesen.

Yazra’h stand an seiner Seite, entschlossener als jemals zuvor. Jora’h brachte ihr uneingeschränktes Vertrauen entgegen, nachdem sie ihn ohne Rücksicht auf das eigene Leben verteidigt hatte. Die besten Angehörigen des Mediziner-Geschlechts hatten die Schnittwunde in ihrem Arm behandelt und sie mit einem photoaktiven Heilpflaster bedeckt. Die Isix-Katzen saßen mit glänzenden Augen in der Nähe und schienen auf das Blut eines weiteren Verräters zu hoffen.

Adar Zan’nh und seine reparierten Kriegsschiffe waren mit Überlebenden von Hrel-oro nach Ildira zurückgekehrt. Als der junge Adar den Prismapalast erreichte, machte er sich sofort auf den Weg zum Empfangssaal der Himmelssphäre. Mit seiner schnellen Reaktion und unermüdlicher Arbeit beim Rettungseinsatz auf dem Planeten hatte Zan’nh vielen Ildiranern das Leben gerettet.

Der Weise Imperator musterte den Kommandeur der Solaren Marine und nahm die tapfere Entschlossenheit in seinem Gesicht mit Zufriedenheit zur Kenntnis. Gleichzeitig fühlte er die Erschütterung seines Sohnes. »Rusa’h hat Pery’h umgebracht!«, sagte Jora’h, der im Chrysalissessel saß. »Er hat den Designierten-in-Bereitschaft ermordet!«

»Was soll ich tun, Herr?« Zan’nh blieb förmlich und seiner Rolle als Adar gerecht, anstatt der trauernde Bruder zu sein. Er sah seine Halbschwester Yazra’h an, die dicht neben dem Chrysalissessel stand, und nickte anerkennend. »Möchtest du, dass ich eine Erkundungsgruppe nach Hyrillka schicke, damit wir Rusa’h befragen und herausfinden können, was genau geschehen ist?«

Eine Nova des Zorns schien in Jora’hs Brust zu brennen. »Beim Verhör der Pilger von Hyrillka haben wir kaum Informationen bekommen, aber ich weiß, dass sich mein Bruder gegen uns gewandt hat. Er befahl, Pery’h zu töten. Es war vorsätzlicher, kaltblütiger Mord. Ich glaube… Rusa’h wollte damit meine Aufmerksamkeit wecken.« Der Weise Imperator sah zu den versammelten Beamten und Beratern.

»Wir sind bereit für alle Maßnahmen, die du für erforderlich hältst, Herr«, sagte Zan’nh.

Das geflochtene Haar des Weisen Imperators zuckte, während er über seine Möglichkeiten nachdachte. Jora’h kniff die saphirenen Augen zusammen. Er hatte alle Pilger und Bittsteller fortgeschickt, duldete nur die Berater in seiner Nähe, die sein besonderes Vertrauen genossen und von denen er guten Rat erwarten durfte.

Während er noch überlegte, platzten die Worte aus ihm heraus. »Der Erstdesignierte Thor’h unterstützt meinen Bruder bei dieser Rebellion. Einige von ihnen entschuldigen Rusa’hs Verhalten. Er wurde verletzt, ist nicht mehr er selbst, sein Bewusstsein ist nicht geheilt.« Jora’hs Finger schlossen sich um den schmalen Rand des wiegenartigen Sessels. »Aber er hat meinen Sohn ermordet. Und Thor’h hat ihm dabei geholfen!«

Der Weise Imperator senkte die Stimme, und sein Blick glitt von Zan’nh zur aufmerksamen Yazra’h. »Trotz meiner Zweifel an Thor’h habe ich gehofft, dass er reifen würde, um seine Verantwortung wahrzunehmen. Stattdessen wendet er sich gegen mich, gegen alle Ildiraner. Dieses Verbrechen kann nicht ignoriert oder gerechtfertigt werden.«

Er atmete tief durch, und die Worte fühlten sich wie trockene Steine in seinem Mund an. »Von diesem Tag an sollen alle wissen, dass der Mörder Rusa’h kein Designierter mehr ist. Außerdem annulliere ich hiermit Thor’hs Berufung zum Erstdesignierten.«

Selbst Yazra’h schnappte nach Luft, als sie diese Erklärung hörte. Das Geräusch veranlasste die Isix-Katzen, aufzustehen und sich im Saal nach Eindringlingen umzusehen. Die Berater murmelten überrascht. Doch Jora’h war gar keine andere Wahl geblieben. Der Erstdesignierte hatte sich gegen ihn gewandt und konnte nie wieder der Weise-Imperator-in-Bereitschaft sein.

Yazra’h beruhigte die Raubkatzen. »Das Reich braucht einen Erstdesignierten, Vater. Du musst einen anderen wählen…«

»Ich habe meine Wahl bereits getroffen«, sagte Jora’h. »Allein die Genetik verhinderte, dass Zan’nh, mein wahrer erstgeborener Sohn, nicht zum Erstdesignierten wurde. Er hat beispielhafte Dienste geleistet und genießt mein volles Vertrauen. Ich könnte mir keinen würdigeren Nachfolger wünschen.« Zan’nh riss die Augen auf und setzte zu einem Einwand an, aber Jora’h fuhr fort: »Deshalb ist Zan’nh der provisorische Erstdesignierte, bis diese Angelegenheit geklärt ist und Thor’h zurückgebracht wurde, damit er mir hier im Saal der Himmelssphäre gegenübertreten kann.«

Zan’nh wirkte ebenso verblüfft wie alle anderen. »Bekh!«, entfuhr es ihm leise.

Yazra’h sah ihn an und lächelte.

Jora’h hörte das erstaunte Murmeln. Er hatte bereits viele alte Traditionen des Ildiranischen Reiches gebrochen. Er hatte es gewagt, den Chrysalissessel zu verlassen und seinen Fuß auf ungeweihten Boden zu setzen. Er hatte seine eigene Tochter zur ersten Protektorin gemacht, anstatt einen Angehörigen des Krieger-Geschlechts für diese Aufgabe auszuwählen. Und jetzt ernannte er Zan’nh, der nicht einmal ein reinblütiger Adliger war, zum neuen Erstdesignierten. Wie viel mehr würde das ildiranische Volk hinnehmen?

Jora’h biss die Zähne zusammen. So viel wie nötig.

Er war der Weise Imperator, und er musste ein unbeweglicher Fels sein, anstatt sich wie ein Grashalm jedem Lüftchen zu beugen. Seine Entscheidungen waren für das ganze Volk bindend, abgesehen von jenen, die Rusa’h mit seinen verräterischen Manipulationen geblendet hatte.

Jora’h beugte sich vor und schloss die Hand um Zan’nhs Unterarm. »Sprich mit mir, wenn du jemals Zweifel daran haben solltest, die Pflichten des Erstdesignierten erfüllen zu können.«

»Ich bin dein Adar, Herr. Ich habe keine Zweifel.« Das Gefühl aber, das Jora’h, durchs Thism empfing, widersprach diesen zuversichtlichen Worten.

Der Weise Imperator lächelte. »Doch, du hast welche. Aber gemeinsam können wir stark sein.«

»Ich… werde all die Dienste leisten, die der Weise Imperator von mir erwartet.« Zan’nh sah auf den polierten Steinboden. »Bis die Ordnung wiederhergestellt ist.«

Jora’h spürte, wie die auf ihm lastende Bürde der Verantwortung ein wenig leichter wurde. »Dies sind deine Befehle, Adar: Flieg nach Hyrillka und verhafte dort sowohl Rusa’h als auch meinen verräterischen Sohn Thor’h. Bring sie zum Prismapalast, wo sie das Urteil des Weisen Imperators erwartet. Nimm einen ganzen Manipel Kriegsschiffe, damit die Hyrillkaner keinen Widerstand leisten.«

Ildiraner gegen Ildiraner. Die Berater in der Himmelssphäre erbleichten besorgt. Der Weise Imperator schickte eine große militärische Streitmacht gegen seinen eigenen Bruder, gegen das eigene Volk. So etwas durfte im Reich nicht geschehen. Nur einmal in der ildiranischen Geschichte, wie sie in der Saga der Sieben Sonnen aufgezeichnet war, hatte es einen Bürgerkrieg gegeben, und es hatte Jahrhunderte gedauert, bis die Wunden in der ildiranischen Gesellschaft verheilt waren. Jora’h hoffte, dieses Problem auf eine weniger blutige Weise lösen zu können, obwohl es ihm unwahrscheinlich erschien.

Der Adar faltete zum traditionellen Gruß die Hände vor dem Herzen. »Zwar hat Qul Fan’nhs Manipel während des Kampfes bei Hrel-oro Verluste erlitten, Herr, aber ich glaube, seine Schiffe sollten mich nach Hyrillka begleiten. Die Soldaten des Manipels sind würdig, und ich möchte ihren Mut belohnen, indem ich zeige, dass ich ihnen vertraue.«

Jora’h nickte. Die Idee gefiel ihm. »So soll es sein. Mach dich sofort auf den Weg.« Er senkte die Stimme und beugte sich vor. »Rusa’h manipuliert weitere Ildiraner, und die Gefahr wächst von Tag zu Tag. Der Rebellion muss so schnell wie möglich ein Ende gesetzt werden.«

Zan’nh nickte und verließ den Empfangssaal.

Der Weise Imperator wandte sich dem nächsten Problem zu, den Hydrogern. Zan’nh hatte ihm von der Begegnung mit dem Klikiss-Roboter nach dem Kampf bei Hrel-oro berichtet, und daher wusste Jora’h, dass er das Unvermeidliche nicht länger aufschieben konnte. Die Umstände zwangen ihn, eine ganz bestimmte Entscheidung zu treffen.

Der Weise Imperator sah die Berater an. »Schicken Sie dem Dobro-Designierten eine Mitteilung. Sagen Sie ihm…« Jora’h zögerte, gab sich dann einen inneren Ruck. »Sagen Sie ihm, dass uns die Klikiss-Roboter verraten haben. Er soll Osira’h zu mir schicken. Sie muss bereit sein.«