85 TASIA TAMBLYN

Der Krieg im Spiralarm ging weiter, aber Tasia befand sich in der TVF-Basis auf dem Mars und drehte Däumchen. Es war ihr nie leicht gefallen, untätig zu sein. Ihr Manta-Kreuzer und andere Schiffe befanden sich im Raumdock und wurden dort mit neuen Waffensystemen ausgestattet, obwohl Tasia nichts dergleichen beantragt hatte.

Ihre Crew war verstreut. Einige Besatzungsmitglieder hatten Urlaub bekommen; andere waren zum Bodendienst abkommandiert. Sergeant Zizu kümmerte sich auf dem Mond um die Ausbildung neuer Rekruten. Subcommander Elly Ramirez war Mitglied eines Komitees geworden, das sich um die Modernisierung der Navigationssysteme von Schlachtschiffen kümmerte.

Tasia spürte, dass sich etwas Großes anbahnte, aber niemand sagte ihr, worum es sich handelte. Sie fühlte sich seltsam ausgeschlossen. Seit die Roamer die Handelsbeziehungen zur Hanse abgebrochen hatten, wuchs der Groll auf die Clans, und Tasia wurde zur Zielscheibe von »Kakerlakenwitzen«. Angesichts des veränderten politischen Klimas stand ihr nicht der Sinn danach, viel Zeit in Offizierskasinos oder bei anderen Soldaten zu verbringen.

In ihrem Quartier wartete sie auf neue Einsatzorder. Warum ließ sich Admiral Willis so viel Zeit? Ihre Unruhe wuchs, und sie wusste nicht, was sie mit sich selbst anfangen sollte.

EA leistete ihr Gesellschaft, aber der Zuhörer-Kompi war nicht mehr der gute alte Freund, der sie auf ihrem Lebensweg begleitet hatte. Tasia nahm auf dem Rand ihrer Koje Platz und sah den kleinen Roboter an. »Du bist so ein tapferer Kompi gewesen, EA. Wenn du dich doch nur an all die Dinge erinnern könntest, die du getan hast.«

»Ich habe die von dir übermittelten Daten, Tasia Tamblyn. Sie genügen.«

»Mir reichen sie nicht.«

Tasia hatte in ihren privaten Aufzeichnungen nach den Dateien und Tagebucheinträgen gesucht, die EA betrafen. Aus diesen Informationen hatte sie Zusammenfassungen erstellt und in die Speicher des Kompi kopiert, nach der Entfernung aller geheimen Details von Roamer-Aktivitäten. EA wusste nun über die wichtigsten Dinge Bescheid, die er zusammen mit Tasia erlebt hatte, aber es waren nur Daten, keine echten Erinnerungen.

Tasia seufzte und verabscheute ihr eigenes Misstrauen – sie brachte es einfach nicht fertig, EA zu vertrauen. »Ich vermisse dein altes Selbst.« Sie streckte sich auf der Koje aus. Osquivel war in jeder Hinsicht eine Katastrophe gewesen. Irgendwann würde sie es den Hydrogern heimzahlen. Die TVF würde eine Möglichkeit finden, die fremden Wesen zu schlagen, die ihren Bruder, Robb und so viele andere getötet hatten.

Ein Krieg fand statt, und Tasia brannte darauf, wieder zu kämpfen. Aber sie saß auf dem Mars fest, zur Tatenlosigkeit gezwungen!

Ruhelos streifte sie die Freizeituniform über und verließ ihr Quartier. Sie ging zur Offiziersmesse, um Gesprächen zuzuhören und vielleicht ein wenig Tischtennis zu spielen. Die TVF bereitete sich ganz offensichtlich auf eine größere Aktion vor, und auf ihre Anfragen hatte Tasia nur vage Antworten bekommen. Als Kommandantin eines Manta-Kreuzers hoffte sie, in vorderster Linie dabei sein zu können, worum auch immer es ging. Derzeit aber war ihr Schiff nicht einsatzbereit, und viele Besatzungsmitglieder hatten neue Aufgaben bekommen.

Es gab allen Grund für Tasia, misstrauisch zu sein.

Sie holte sich einen Becher Kaffee – bitter und lauwarm, wie immer – und nahm an einem Tisch Platz, an dem andere Manta-Kommandanten und Erste Offiziere saßen. Die Männer und Frauen sprachen über Einsatzorder und Zielprioritäten. Sie freuten sich über die neuen Rammschiffe, die nur wenige Menschen als Kommandanten erforderten und deren Crews aus speziell programmierten Soldaten-Kompis bestanden.

Tasia versuchte, an dem Gespräch teilzunehmen. »Haben die Rammschiff-Missionen schon begonnen? Hat man jemanden von Ihnen ausgewählt?«

»Nein, aber ich bin froh, dass wir wieder aktiv werden können«, sagte ein Kommandant. »Auch wenn es nicht gegen die Hydroger geht, es ist wenigstens etwas.«

»Endlich hat König Peter beschlossen, den verdammten Kakerlaken eine Lektion zu erteilen.«

Ein anderer Offizier brummte: »Uns im Krieg den Ekti-Hahn zuzudrehen – sind sie verrückt geworden?«

»Roamer?«, entfuhr es Tasia. »Was hat die neue Aktion mit Roamern zu tun?«

Plötzlich erinnerten sich die anderen am Tisch daran, wer sie war, trotz der TVF-Uniform. »Schon gut, Tamblyn. Wir haben unseren Marschbefehl.« Der Manta-Kommandant stand auf. »Wir sollten jetzt besser zu unseren Schiffen zurückkehren und dort nach dem Rechten sehen.«

Tasia blieb sitzen und trank ihren Kaffee, als die anderen Kommandanten und Ersten Offiziere gingen und sie allein ließen. Den Roamern eine Lektion erteilen? Was in aller Welt hatte General Lanyan vor? Seit der Sache mit dem Piraten Rand Sorengaard, die inzwischen Jahre zurücklag, hegte er einen Groll gegen die Roamer.

Natürlich hatte Tasia Stimmen gehört, die Sprecherin Peronis Entscheidung verurteilten, keinen Treibstoff für den Sternenantrieb mehr zu liefern. Sie hatte sich zunächst kaum vorstellen können, dass die TVF Frachter der Roamer zerstörte – sie glaubte, dass sie als Manta-Kommandantin von solchen Aktivitäten erfahren hätte. Aber jetzt wurde eine neue Mission vor ihr geheim gehalten, und sie fragte sich, ob es noch andere Dinge gab, die ohne ihr Wissen stattfanden.

Als sie voller Unbehagen in ihr Quartier zurückkehrte, fand sie dort eine Nachricht auf dem Zimmerschirm, ausgestattet mit einem Stimmsiegel der TVF und dem Kennzeichnungskode von Admiral Willis. Tasia vermutete neue Einsatzorder für sie. Endlich!

Sie rief die Nachricht ab und glaubte, Sorge im mütterlichen Gesicht der Admiralin zu erkennen. Willis’ Stimme blieb emotionslos, als sie sagte: »Commander Tamblyn, hiermit informiere ich Sie, dass Sie des Kommandos über Ihren Manta-Kreuzer enthoben werden. Der Kreuzer steht von jetzt an unter dem Befehl von Commander Ramirez, der befördert wurde und Sie als Kommandant ablöst.«

Tasia schnappte nach Luft. Was hatte sie sich zuschulden kommen lassen? Warum nahm man ihr das Schiff weg? Commander Ramirez?

»Es freut mich, eine gute Nachricht für Sie zu haben…« Es erklang keine Freude in der Stimme der Admiralin. »Sie werden die Gesamtausbildung der Rekruten des zweiten Stadiums hier auf dem Mars leiten. Das ist eine Aufgabe, für die wir Sie wirklich brauchen. Ihr Einfallsreichtum und Ihre Flexibilität machen Sie zu einer erstklassigen Ausbilderin.«

»Ich soll Lehrer werden?«, brummte Tamblyn, als könnte der Zimmerschirm sie hören und antworten. »Womit habe ich das verdient?«

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Tamblyn«, fuhr die Admiralin in ihrer aufgezeichneten Mitteilung fort. »Ich stelle fest, dass Sie immer ausgezeichnete Arbeit geleistet haben. Allerdings kann nicht jeder Soldat an jeder Mission teilnehmen, und General Lanyan hat entschieden, dass Ihre Dienste bei der bevorstehenden neuen TVF-Initiative nicht gebraucht werden.«

»Kann ich mir denken, wenn es dabei gegen die Roamer geht anstatt gegen den wirklichen Feind. Shizz, dies ist noch schlimmer als die dämliche Aktion gegen Yreka.«

EA stand neben Tasia und nahm die Informationen in sich auf, ohne ihrer emotionalen Reaktion Bedeutung beizumessen. »Ich bin gern bereit, dir bei der Entwicklung eines Ausbildungsprogramms zu helfen, Tasia Tamblyn.«

Tasia hätte am liebsten auf etwas eingedroschen und versuchte, ihren Zorn unter Kontrolle zu halten. Die Terranische Verteidigungsflotte vertraute ihr ganz offensichtlich nicht. Hatte man ihre Gespräche belauscht? Gab es Überwachungsgeräte in ihrem Quartier? Sie war immer vorsichtig gewesen, auch wenn sie mit EA gesprochen hatte. Tasia runzelte die Stirn, sah ihren Kompi an und fragte sich, ob die TVF EA manipuliert hatte.

Oder begegnete man ihr einfach nur deswegen mit Argwohn, weil sie eine Roamerin war? Bedeuteten all die Jahre des Dienstes in der Flotte überhaupt nichts?

Niemand war bereit, ihr Auskunft zu geben, aber Tasia befürchtete, dass die TVF irgendetwas Schreckliches in Hinsicht auf die Roamer plante.