45 WEISER IMPERATOR JORA’H

Auf Ildira betrat ein Klikiss-Roboter den Prismapalast und ignorierte die traditionelle spiralförmige Pilgerroute über die sieben radialen Flüsse. Die große, käferartige Maschine drängte sich an den ildiranischen Bittstellern vorbei, die nach Mijistra gekommen waren, um den neuen Weisen Imperator zu sehen.

Aufgebrachte Angehörige des Wächter-Geschlechts näherten sich dem Roboter und versuchten ihn aufzuhalten, während andere zum Empfangssaal der Himmelssphäre liefen, wo Jora’h im Chrysalissessel saß und Audienz gewährte. Der Weise Imperator hatte gerade seine Absicht verkündet, nach Dobro zu fliegen.

Seine muskulöse Tochter Yazra’h leistete ihm Gesellschaft, und ihre drei geschmeidigen Isix-Katzen ruhten in der Nähe. Die gefährlich aussehenden Tiere lagen da wie flüssiger Rauch, in dem Sehnen und drahtige Muskeln zuckten. Yazra’h stand sofort auf, als ein Wächter hereinkam.

»Ein Klikiss-Roboter nähert sich, Herr! Er lässt sich nicht aufhalten.«

Wenige Sekunden später kam die insektenartige Maschine in den hellen Empfangssaal der Himmelssphäre. Selbst im bunten Sonnenschein erweckte die mattschwarze Panzerung des Roboters den Eindruck, alles Licht aufzusaugen. Er drehte seinen flachen Kopf und zeigte mehrere scharlachrote optische Sensoren, die wie unheilvoll blickende Augen wirkten. Mit gespenstischer Anmut bewegte er seine fingerartigen Beine und näherte sich dem Chrysalissessel.

Ildiranische Wächter folgten ihm, die Muskeln gespannt und dazu bereit, sich auf den Roboter zu stürzen und ihm alle mechanischen Gliedmaßen auszureißen. Jora’h hob eine zur Vorsicht gemahnende Hand – er wollte nicht, dass die Wächter die mächtige alte Maschine angriffen. »Ich wusste nicht, dass die Klikiss-Roboter um eine Audienz ersucht haben. Was führt dich hierher?«

Der Roboter richtete sich auf, bis er die Ildiraner des Wächter-Geschlechts um einen Meter überragte. »Ich bin Dekyk.« Die Stimme klang wie raues Metall, das über Stein schabte. »Ich bin hier, um Antworten zu verlangen.«

Das Publikum schnappte nach Luft. Alle warteten, um zu sehen, wie der allmächtige Herrscher des Ildiranischen Reichs reagierte.

Jora’h sprach mit lauter, kraftvoller Stimme. »Du hast kein Recht, von den Ildiranern Antworten zu verlangen.«

»Die Klikiss-Roboter sind besorgt über Ihre Aktivitäten auf Dobro und Maratha. Wir haben das Recht, Bescheid zu wissen. Sie verstoßen gegen das, was einst versprochen wurde.«

Jora’h ließ Ärger in seiner Antwort erklingen. Er hatte keine ungewöhnlichen Berichte von Maratha bekommen, wo sich während der Dunkelzeit nur noch wenige Ildiraner aufhielten. Er spürte auch nichts Ungewöhnliches durch das Thism, obwohl die Verbindung zu seinem Bruder Avi’h nicht sehr stark war. Und woher wussten die Klikiss-Roboter von Dobro?

»Angelegenheiten des Ildiranischen Reichs gehen die Klikiss-Roboter nichts an«, sagte er. »Die von mir getroffenen Entscheidungen dienen dem Wohle meines Volkes und unterliegen nicht eurer Zustimmung.«

Dekyks halbkugeliger Rückenschild öffnete sich einen Spaltbreit, so als wollte der Roboter seine Flügel ausbreiten und fliegen. »Wir haben eine Vereinbarung über Maratha getroffen. Sie verstoßen dagegen.«

Der Weise Imperator kniff die Augen zusammen, der vielen Geheimnisse überdrüssig. »Geht. Ich möchte allein mit dem Roboter sprechen.« Den Wächtern widerstrebte es ganz offensichtlich, ihn allein zu lassen, und deshalb fügte Jora’h hinzu: »Yazra’h, du bleibst hier. Beschütze mich, wenn es nötig sein sollte.«

Seine Tochter stand hoch erhobenen Hauptes da, ebenso eindrucksvoll wie ein bewaffneter Wächter. Ihre drei Katzen zischten leise.

Als Bittsteller, Höflinge und Wächter den Empfangssaal verlassen hatten, wandte sich Jora’h an den schwarzen Roboter. »Vereinbarungen müssen von beiden Seiten beachtet werden. Ihr Roboter habt euren Teil der Abmachung nicht eingehalten. Hydroger greifen weiterhin ildiranische Welten an, und ihr verhindert es nicht. Woraus folgt: Entweder übt ihr Verrat, oder ihr seid nutzlos.«

Dekyk schien etwas kleiner zu werden, aber er wich nicht zurück. »Bei ihrer Suche nach den Resten der Verdani haben die Hydroger jeden Waldplaneten angegriffen, den sie fanden. Darunter befanden sich auch einige ildiranische Welten. Wir konnten sie nicht daran hindern.«

Jora’h richtete sich auf; er verabscheute den Chrysalissessel. »Ihr hättet ihnen jederzeit mitteilen können, wo sich der Weltwald befindet. Dann wären die ildiranischen Planeten nicht verheert worden.« Als er diese Worte sprach, bereitete es ihm Schmerzen, die großen Waldbäume zu verraten, die ihn bei seinem Besuch auf Theroc so beeindruckt hatten – jene Bäume, die für Nira so wichtig gewesen waren.

»Wir haben beschlossen, die Koordinaten des Weltwaldes für uns zu behalten«, entgegnete Dekyk.

»Und wegen dieser Entscheidung mussten viele Ildiraner sterben. Wir haben euch vor einigen Jahrhunderten wie versprochen reaktiviert und uns an den Schwur gehalten, nie Roboter oder intelligente Maschinen in irgendeiner Form zu bauen. Das Ildiranische Reich ist seinen Versprechen treu geblieben. Mehr braucht ihr nicht zu wissen. Erfüllt auch euren Teil der Abmachung.«

Jora’h richtete einen unerbittlichen Blick auf Dekyk, der so unbeweglich blieb wie eine albtraumhafte Statue. Yazra’h trat neben ihre Isix-Katzen, in deren Flanken die Muskeln spielten, bereit zum Sprung. In den Augen von Jora’hs Tochter glänzte Überraschung angesichts der Dinge, die sie gerade erfahren hatte.

Schließlich kam Bewegung in Dekyk, der alles andere als zufrieden zu sein schien. Er drehte seinen Rumpf und wankte ohne ein weiteres Wort fort. Der Weise Imperator sah ihm nach, während Yazra’h ihren Vater musterte. Plötzlich wirkte die Himmelssphäre sehr leer.

Jora’hs Gedanken rasten, und er war dankbar dafür, dass seine Tochter still blieb. Er konnte nicht länger auf die Fürsprache der Klikiss-Roboter bei den Hydrogern zählen – vielleicht versuchten sie sogar, die Bewohner der Gasriesen gegen die Ildiraner aufzubringen.

Dringender als jemals zuvor musste er nach Dobro, nicht aus sentimentalen Gründen, um Niras Grab zu sehen, sondern um einen Eindruck von Osira’h und ihren Fähigkeiten zu gewinnen. War der schreckliche Plan doch gerechtfertigt? Wenn seine Tochter nach all den Generationen sorgfältiger Zucht wirklich die einzige Brücke war, die eine Verbindung zwischen den Ildiranern und Hydrogern schaffen konnte – ohne die Klikiss-Roboter –, so musste er sofort zu ihr. Die Zeit war knapp und die Gefahr groß.

»Ich warte nicht länger.« Jora’h stemmte sich hoch und schwang die Beine über den Rand des wiegenartigen Sessels.

Nach Dekyks Verschwinden waren flüsternde Höflinge in den Saal zurückgekehrt, um sich zu vergewissern, dass es dem Oberhaupt ihres Volkes gut ging. Als sie sahen, was der Weise Imperator jetzt machte, schwiegen sie verblüfft. Jora’h stand neben dem Chrysalissessel und hielt sich an seinem Rand fest, weil die wackligen Beine unter ihm nachzugeben drohten. Er warf den Höflingen einen finsteren Blick zu, weil sie dummerweise an Praktiken festhielten, die ihre Bedeutung verloren hatten. »Dies ist eine Zeit der Krise, nicht der Tradition.«

Es erleichterte ihn enorm, wieder zu stehen, zum ersten Mal, seit er die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte. Genug mit dieser Art von Unsinn.

Die nächsten Wächter traten zum Weisen Imperator, um ihn zu stützen oder ihm dabei zu helfen, wieder im Chrysalissessel Platz zu nehmen, wohin er gehörte. Die Höflinge und Adligen beobachteten die Szene und schienen noch überraschter zu sein als bei der Ankunft des Klikiss-Roboters.

Jora’hs nackte Füße standen auf dem glatten, warmen Boden. Seit Monaten war der Weise Imperator nicht mehr gelaufen. Die Beine fühlten sich sehr schwach an, als hätte bereits die Atrophie eingesetzt. Ihm graute bei der Vorstellung, wie er sich nach Jahrzehnten im Chrysalissessel fühlen würde. Dazu wollte er es nicht kommen lassen.

»Ich werde mich nicht zurücklehnen und beobachten, wie das Reich Schaden nimmt. Ich bin der Weise Imperator. Ich entscheide über Traditionen und die Entwicklung unserer Gesellschaft. Einer meiner Vorgänger erklärte, dass die Füße eines Weisen Imperators nie den Boden berühren sollten. Diese Tradition hebe ich nun auf. Zu viel steht auf dem Spiel, und ich muss mit einigen überlieferten Dingen brechen, um zu verhindern, dass wir alles verlieren.«

Jora’h bemerkte, dass Yazra’h ihn mit Freude im Gesicht beobachtete. Sie begrüßte seine Entscheidung ganz offensichtlich. Sie war stolz auf ihren durchtrainierten Körper und die eigenen physischen Fähigkeiten – vielleicht freute sich deshalb darüber, dass ihr Vater etwas aufgab, das ihn wie einen Invaliden aussehen ließ. Jora’h wollte nicht zu einem aufgequollenen Fleischberg werden wie vor ihm Cyroc’h.

Er ließ den Rand des Chrysalissessels los und trat vor. Den Wächtern blieb keine andere Wahl, als ihn passieren zu lassen. Lächelnd ging Jora’h die niedrigen Stufen des Podiums hinab. Er sah zum holographischen Bild seines Gesichts empor, das in den Dunst projiziert wurde, wandte sich dann wieder den Höflingen zu. »Ich fliege nach Dobro. Jetzt.«