81 DAVLIN LOTZE

Crennas Himmel wurde dunkel und kalt, als das nukleare Feuer der Sonne langsam erlosch.

Sofort nach der Rückkehr aus dem All hatte Davlin die Kolonisten zusammengerufen, alle hundertdreißig, und ihnen die Situation erklärt. Er übertrieb nicht, als er von der größten Gefahr sprach, der sie sich jemals gegenübersehen würden. »Es gibt keine Zeit für Versammlungen und lange Diskussionen. Uns bleibt bestenfalls eine Woche, um uns einzugraben und unterirdische Quartiere zu schaffen, in denen wir vielleicht überleben können.« Seine Stimme klang hart und fest.

Aufgrund der Geschichten, die Rlinda Kett über ihn erzählt hatte, begegneten ihm die Kolonisten mit Ehrfurcht und Staunen – was Davlin, der gern unauffällig blieb, in Verlegenheit brachte. Sie sahen in ihm einen Helden, der selbst Unmögliches schaffen konnte. Und sie glaubten ihm.

»Diese Welt stirbt«, sagte Davlin. Er fühlte sich mit diesen Leuten verbunden, und gerade deshalb wollte er nichts beschönigen. »Die Faeros verlieren ihren Kampf. In wenigen Tagen wird das ganze System kalt und leblos sein, und ich sehe keine Möglichkeit, Sie alle von Crenna fortzubringen.«

Bürgermeister Ruis faltete die Hände auf dem Bauch. »Wir sind nur einfache Kolonisten, Davlin. Niemand von uns kann behaupten, diese Dinge zu verstehen. Sagen Sie uns, was wir tun sollen.«

Davlin sah in die Gesichter der Siedler und bedauerte, keine leichten Antworten für sie zu haben. Überrascht stellte er fest, dass es wirklich eine Rolle für ihn spielte, was diese Leute von ihm dachten. Das Schlimmste, was er in diesem Fall sagen konnte, war: Ich weiß nicht, was wir jetzt tun sollen. Alle sahen, dass die Sonne am Himmel dunkler wurde. Alle spürten, dass die Temperatur sank, als der Planet weniger Energie von der Sonne empfing. Es kam darauf an, so schnell wie möglich etwas zu unternehmen.

Davlin forderte die Kolonisten auf, das ganze schwere Gerät ins Zentrum der Siedlung zu bringen. »Vergessen Sie Vieh und Getreide. Weder das eine noch das andere kann überleben. In einer Woche liegen Ihre Häuser unter einer Schnee- und Eisdecke. Wir müssen uns mit länger haltbaren Nahrungsmitteln begnügen. Unsere einzige Chance besteht darin, mit allen Mitteln zu überleben, bis Hilfe eintrifft.«

Bürgermeister Ruis nickte ernst. »Und wer wird uns zu Hilfe kommen, Davlin?«

»Daran arbeite ich noch.«

Mit dem Teleskop des Amateurastronomen beobachteten sie den andauernden Kampf bei Crennas Sonne. Die Faeros wurden zurückgeschlagen, als mehr und mehr kristallene Kugelschiffe von außerhalb des Systems kamen und sich in die Schlacht stürzten. Sonnenflecken wuchsen wie tödliche Wunden. Protuberanzen stiegen auf, die letzten Zuckungen eines sterbenden Sterns.

Der Schaden war nicht wieder gutzumachen. Für die Sonne gab es keine Rettung.

Es verblüffte die Kolonisten, wie schnell sich das Klima veränderte. Gewaltige Unwetter tobten auf dem südlichen Kontinent, wo ein Teil der Atmosphäre gefror – die Leere schuf riesige Coriolis-Stürme, die nach Norden zogen und den Kolonisten zusätzliche Probleme bereiteten.

Während der ersten Nacht wurde es so kalt, dass die meisten angebauten Pflanzen erfroren, und in den nächsten Nächten sank die Temperatur um jeweils zwanzig Grad. In der vierten Nacht zerbarsten Bäume. Der Wind wurde stärker, und Schneestürme fegten über Gebäude hinweg, die nicht dafür bestimmt waren, arktische Temperaturen auszuhalten.

Die Siedler arbeiteten rund um die Uhr, sich der Gefahr bewusst. Ihre Gesichter zeigten Furcht, und sie standen unter einer enormen Anspannung. Sie folgten Davlins Anweisungen, und er hoffte inständig, dass seine Idee funktionierte.

Die Maschinen, mit denen die Kolonisten Felder angelegt, gepflügt und Bodenschätze abgebaut hatten, wurden nun dazu verwendet, Tunnel in die Tiefe des Planeten zu graben und unterirdische Höhlen zu schaffen, in denen die Siedler Zuflucht vor der Kälte an der Oberfläche suchen wollten.

Aber sie konnten nicht lange überleben.

Nachdem er sich das zur Verfügung stehende Baumaterial angesehen hatte, verwarf Davlin die Möglichkeit, isolierte Unterkünfte an der Oberfläche zu errichten. Das Erlöschen der Sonne brachte die Kälte des Alls nach Crenna. Mit genug Zeit und Ressourcen wären einfallsreiche Roamer vielleicht in der Lage gewesen, permanente Quartiere zu bauen, doch Crenna war eine friedliche, zahme Welt. Bürgermeister Ruis und die Kolonisten hatten sich nie auf so etwas vorbereitet.

Selbst Leute ohne Bauerfahrung halfen und stützten Schächte ab, als sich die Maschinen tiefer in die Kruste des Planeten hineinarbeiteten. Davlin konnte nicht berechnen, wie tief die Tunnel hinabreichen mussten, um Sicherheit zu bieten. Er ließ die Kolonisten in der Zeit, die ihnen blieb, so weit wie möglich graben, und wies sie dann an, Vorräte in den Höhlen unterzubringen, in die sie sich zurückziehen wollten, während über ihnen eine Eiszeit begann. Aus allen Häusern wurden Lebensmittel in gemeinsame Lager tief unten gebracht. Bürgermeister Ruis leitete die Aktivitäten an der Oberfläche und führte die Proviantlisten.

Generatoren wurden installiert und nicht nur Treibstoff gelagert, sondern alles, was Energie abgab, von Batterien bis hin zu Brennöfen. In den Tunneln verlegten die Kolonisten Rohre für das Belüftungssystem, komplett mit Kohlendioxidfiltern. Einige der besorgten Siedler verstanden nicht, warum so etwas erforderlich sein sollte. Sie glaubten, dass sie durch die Belüftungsschächte Luft von draußen holen konnte. Sie hatten noch nicht daran gedacht, was geschah, wenn es so kalt wurde, dass Crennas Atmosphäre gefror.

Davlin wusste nicht, ob er eine gute Moral gewährleisten konnte. Er musste in erster Linie dafür sorgen, dass die Kolonisten die Arbeit fortsetzten.

Auf der Oberfläche, in einem kalten, geschützten Hangar, arbeitete Davlin allein an dem kleinen Raumschiff. Bei den Silbermützen hatte ihn die Notfall-Ausbildung viel über Mechanik und Raumschifftechnik gelehrt. Diese spezielle Aufgabe erschien ihm noch hoffnungsloser als die anderen Aktivitäten, aber das Überleben der Kolonisten hing davon ab, ob es ihm gelang, sich weit genug von Crenna zu entfernen und Hilfe zu holen. Über einen Fehlschlag dieser Mission wagte er nicht nachzudenken.

Draußen war die Temperatur während der letzten drei Tage um volle hundert Grad gefallen. Der Himmel blieb jetzt immer dunkel; am Tag brachte die sterbende Sonne nicht mehr zustande als ein vages Zwielicht.

Der enorme Temperatursturz brachte Crennas Atmosphäre durcheinander und bewirkte verheerende Stürme. Inzwischen befanden sich die meisten Kolonisten tief unten bei den Baustellen. Nur wenige versuchten, an der Oberfläche auszuharren. Davlin trug seine wärmste Unterwäsche, einen dicken Parka und isolierte Handschuhe. Zwar verlor er dadurch an Handfertigkeit, aber es bewahrte die Finger davor, zu erfrieren und abzufallen.

Die Tanks des kleinen Raumschiffs enthielten besorgniserregend wenig Ekti, und Davlin verbrachte den ganzen Tag damit, unnötige Masse zu entfernen, die Effizienz der Konversionsreaktoren zu verbessern und die Leistung des ildiranischen Sternenantriebs zu erhöhen. Dadurch kam er bei seiner Reise vielleicht einige hunderttausend Kilometer weiter.

Der Planet zitterte im Todeskampf und wurde immer kälter; es trennte ihn nicht mehr viel vom absoluten Nullpunkt. Davlin war sicher, dass es die Kolonisten in den Höhlen für eine Weile warm genug haben würden. Aber wenn er es nicht bis nach Relleker schaffte, gab es keine Rettung für sie…

Als Davlin zu der Erkenntnis gelangte, dass weitere Verbesserungen zu viel Zeit kosteten, beschloss er, Crenna zu verlassen. Die Kolonisten hatten bereits die schwere Luke über ihren Tunneln geschlossen: eine gewölbte Tür aus Metall, dick genug, um die mörderische Kälte fern zu halten. Als Davlin die Kontrollen betätigte, um ein letztes Mal das Höhlensystem aufzusuchen, machten ihm die niedrigen Temperaturen zu schaffen. In ein oder spätestens zwei Tagen, so schätzte er, war für den Aufenthalt an der Oberfläche ein Schutzanzug erforderlich. Er bedauerte schon, keinen zusätzlichen Sauerstoff zu haben.

In den Tunneln war es angenehm warm. Derzeit gingen die Kolonisten mit ihren Energiereserven noch recht verschwenderisch um, aber Davlin glaubte nicht, dass es den Kolonisten schwer fallen würde, die Temperatur in einem erträglichen Bereich zu halten. Ganz im Gegenteil: Der thermische Output der Maschinen und der hundertdreißig lebenden Körper konnte zu einem Problem werden, wenn es nicht gelang, die Wärme abzuleiten oder für die Energiegewinnung zu nutzen.

Als sich die Kolonisten versammelten, um ihn zu verabschieden, staunte Davlin über die Zuversicht, den Optimismus und die Hoffnung in ihren Gesichtern. Er hatte sie auf die geringen Chancen hingewiesen, auf den Ernst der Lage. Aber er war der Mann, der zahlreiche verlassene Klikiss-Welten besucht und herausgefunden hatte, wie man die Transportale in Betrieb nahm. Die Siedler glaubten, dass Davlin Lotze alles schaffen konnte, und warum sollte er ihnen widersprechen? Wenn er versagte, so erfuhr niemand davon, und all diese Leute würden in einem Grab aus Eis ruhen. Sie mussten glauben.

Der Bürgermeister schien eine inspirierende Rede von ihm zu erwarten, aber Davlin sagte nur: »Ich werde mein Bestes geben. Solange noch Kraft in meinem Leib steckt, werde ich sie nutzen, um Hilfe hierher zu bringen.«

Er verlor keine Zeit mehr, kehrte an die Oberfläche des Planeten zurück und schloss die Luke hinter sich. Durch den heulenden Wind wankte er zum Hangar. Als er im Pilotensessel saß, zündete er das Triebwerk, steuerte das kleine Schiff mit dem halb leeren Ekti-Tank durch den Sturm und das dunkler werdende Zwielicht der sterbenden Sonne. Davlin führte keine Berechnungen durch, um festzustellen, ob er es bis zum nächsten Sonnensystem schaffte. Er würde einfach fliegen, so weit ihn der Sternenantrieb brachte. Er konnte nur hoffen, dass es weit genug war.