4 TASIA TAMBLYN

Die Gitter-7-Kampfgruppe war zu den Werften zwischen Jupiter und Mars zurückgekehrt, wo die Schiffe repariert und überholt wurden und neues Personal bekamen. Fünfzehn vor kurzer Zeit fertig gestellte Moloch-Schlachtschiffe und Manta-Kreuzer erweiterten die Flotte, doch das reichte bei weitem nicht aus, um die bei der Osquivel-Katastrophe verlorenen Schiffe zu ersetzen.

Tasia Tamblyn war nach Oncier geflogen, dem Ort des ersten Tests der Klikiss-Fackel, und hatte dort den titanischen Kampf zwischen Hydrogern und Faeros beobachtet, der mit der Vernichtung der Sonne endete, zu der der Gasriese Oncier durch den Einsatz der Fackel geworden war. Einen Krieg zu sehen, bei dem ganze Welten und Sterne auf der Strecke blieben… Tasia fragte sich, wie die kleinen Menschen hoffen konnten, etwas gegen den Feind auszurichten…

Aber das würde sie nicht vom Kampf gegen die Hydroger abhalten. Sie hatten ihren Bruder Ross getötet, auch ihren Freund Robb Brindle, als er mit einem Verhandlungsangebot in die Tiefen eines Gasriesen hinabgesunken war. Wenn es in ihrer Macht lag, Rache zu üben, so wollte Tasia die verdammten Droger nicht ungeschoren davonkommen lassen. Der grimmige Ernst in ihrem herzförmigen Gesicht hatte dort einst fehl am Platz gewirkt, aber jetzt nicht mehr.

Tasia Tamblyn hatte blasse Haut, weil sie unter dem Eishimmel der Wasserminen ihres Clans auf Plumas aufgewachsen war, und während ihres Dienstes an Bord von TVF-Schiffen hatte sie kaum Farbe bekommen. Ihre hellblauen Augen erinnerten an die gefrorenen Wände der Familiensiedlung unter dem Eis des isolierten Mondes.

Während sich ihr Manta-Kreuzer im Dock der Werft befand, erhielt die Crew eine Woche Urlaub auf dem Mars oder in der Mondbasis. Tasia verzichtete auf die Möglichkeit, der Erde einen neuerlichen Besuch abzustatten. Sie war nur einmal dort gewesen, um Robbs Eltern zu besuchen und ihnen zu erzählen, unter welchen Umständen ihr Sohn gestorben war.

Tasia hatte den optimistischen, gutherzigen jungen Mann geliebt, und gleichzeitig war er ihr bester Freund gewesen. Von den Rekruten in der TVF – viele von ihnen schrecklich bigott – hatte nur Robb Tasia beim Wort genommen, ihr die Chance gegeben, sie selbst zu sein, und sie dafür geliebt. In den dunklen Tagen des Krieges vermisste sie ihn noch immer sehr. Robb hatte geglaubt, etwas Wichtiges und Bedeutungsvolles zu tun, als er sich bereit erklärte, den Hydrogern in den Tiefen des Gasriesen eine Botschaft zu bringen, doch letztendlich hatte er auf dumme Weise sein Leben vergeudet. Ein talentierter junger Mann war gestorben, hatte ein kleines Loch in der Terranischen Verteidigungsflotte und eine große Leere in Tasias Herzen hinterlassen.

Hinzu kam, dass ihr Kompi EA kurz nach der Warnung der Roamer bei Osquivel verschwunden war. Tasia hatte vergeblich nach Spuren des Zuhörer-Kompi gesucht. EA war nicht nur ein wertvolles »Ausrüstungsstück«, sondern auch ein Freund und seit vielen Jahren im Besitz des Tamblyn-Clans. Tasia hoffte noch immer, dass er irgendwann ins Hauptquartier der TVF zurückfand, vielleicht auf Umwegen.

Auch wenn es ihr Gefühl der Isoliertheit verstärkte, verbrachte Tasia die Woche an Bord ihres Schiffes; sie sah sich aufgezeichnete Unterhaltungssendungen an oder vertrieb sich die Zeit mit Spielen. Sie war mittelgroß, gut in Form und kräftig, was man ihr allerdings nicht ansah. Robb verdankte sie es, dass sie gut Tischtennis spielen konnte, so gut, dass sich die meisten Besatzungsmitglieder drückten, wenn Tasia sie zu einem Spiel aufforderte. Ungeduldig wartete sie darauf, dass die Instandsetzungen, Erneuerungen und Inspektionen endlich fertig waren, damit sie wieder aufbrechen und gegen den unmenschlichen Feind kämpfen konnte.

Überraschenderweise wurde sie zum Flaggschiff der Gitter-7-Kampfgruppe gerufen. Mit einem Shuttle flog Tasia zur Jupiter, um dort Admiral Sheila Willis zu begegnen. Bevor sie ihr gegenübertrat, vergewisserte sie sich, dass ihre Uniform richtig saß und das schulterlange hellbraune Haar den Vorschriften entsprechend unter der Mütze zusammengebunden war.

Als Tasia das Quartier der Admiralin betrat, stellte sie erstaunt fest, dass der stämmige, dunkelhaarige TVF-Kommandeur General Kurt Lanyan in einem Besuchersessel saß. Sie nahm Haltung an. »General Lanyan, Sir. Und Admiral Willis. Sie haben mich gerufen?«

Sie war dem General schon einmal begegnet, bei der Einsatzbesprechung, als Robb sich freiwillig für den Versuch gemeldet hatte, mit den Hydrogern zu kommunizieren.

»Commander Tamblyn, wir wissen von Ihren beispielhaften Leistungen im Dienst.« Die Stimme des Generals klang schroff. »Mit Ihrer Idee, auf Boone’s Crossing Flöße zu improvisieren, haben Sie tausenden von Kolonisten das Leben gerettet. Nach Überprüfung der Logbuch-Aufzeichnungen Ihres Schiffes bin ich zu dem Schluss gelangt, dass auch Ihr Verhalten bei der Schlacht von Osquivel sehr lobenswert gewesen ist. Darüber hinaus haben Sie bei Oncier wichtige Informationen über die Faeros und ihren Kampf gegen die Hydroger gewonnen.«

»Ja, Sir.« Tasia wusste nicht, was der General sonst von ihr hören wollte. Ihr klopfte das Herz. Erwartete sie eine Beförderung? Bei der Schlacht von Osquivel waren viele Offiziere ums Leben gekommen, und die TVF musste sie ersetzen…

Admiral Willis faltete die Hände. Sie war eine schlanke, umgängliche Frau, die manchmal seltsame Gemeinplätze benutzte, aber sie hatte einen messerscharfen Verstand. »Commander Tamblyn, wären Sie daran interessiert, mit Ihrem Schiff den Hydrogern eine scheußliche kleine Überraschung zu bringen? König Peter hat endlich beschlossen, uns von der Leine zu lassen.«

»Welche scheußliche kleine Überraschung meinen Sie, Ma’am?«

Die großmütterliche Frau lächelte. »Wie würde es Ihnen gefallen, dem Feind eine Klikiss-Fackel in den Hals zu stopfen und einen ganzen Droger-Planeten zu vernichten?«

Tasia antwortete sofort. »Admiral, General, ich würde mich über jede Gelegenheit freuen, es den Drogern heimzuzahlen. Wir alle haben jede Menge Gründe, einen Groll zu hegen.«

Lanyan lachte leise. »Mir gefällt Ihre Einstellung, Commander Tamblyn.« Er reichte Tasia Dokumente und Karten, die das Ziel für den Einsatz der Klikiss-Fackel angaben: ein Gasriese namens Ptoro.

Tasia konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Der Roamer-Clan Tylar hatte eine große Himmelsmine in der Atmosphäre von Ptoro betrieben, die Anlage nach dem Ultimatum der Hydroger aber zurückgezogen. Soweit sie wusste, war seit Jahren niemand mehr in der Nähe jenes Gasriesen gewesen. »Ptoro? Warum möchten Sie…« Sie unterbrach sich, und der General richtete einen fragenden Blick auf sie.

»Sie haben von dem Planeten gehört? Er scheint recht unbedeutend zu sein.«

»Das stimmt, Sir. Er befindet sich… mitten im Nichts.«

»Wir haben dort Droger-Aktivität festgestellt. Nur darauf kommt es an.«

»Eine ganze Kampfgruppe wird Sie begleiten, damit Sie Gesellschaft haben«, fügte Admiral Willis hinzu. »Aber die Überraschung befindet sich an Bord Ihres Manta.«

»Sobald wir das Raumdock verlassen haben, stehen Ihnen meine Crew und ich zur Verfügung.« Auf dem Weg zurück zum Shuttle tanzte Tasia fast.

Roamer maßen die Reife nicht nach dem Alter, sondern nach Fähigkeiten. Die Clans hielten jemanden nur dann für erwachsen, wenn er oder sie praktisch jeden Apparat auseinander nehmen und wieder zusammensetzen konnte und außerdem imstande war, erfolgreich mithilfe der Sterne und der alten ildiranischen Datenbanken zu navigieren. Tasia hatte sich von ihren Brüdern alles zeigen lassen und war sehr stolz gewesen, als sie im Alter von zwölf Jahren einen Raumanzug anziehen und zehnmal hintereinander alle Siegel richtig schließen konnte.

Den gleichen Stolz empfand sie, als sie im Frachtraum ihres Manta stand. Ganze Schwärme von Ingenieuren und Technikern installierten Gerüste, Monitore und für den Einsatz der Klikiss-Fackel erforderliche Peripheriegeräte. Tasia freute sich bereits darauf zu sehen, wie eine Welt der Hydroger zur Sonne wurde.

Der grüne Priester Rossia, Tasias Kommunikationsverbindung mit dem Rest des Spiralarms, trat neben sie und hinkte dabei – er hatte sich vor vielen Jahren auf Theroc verletzt. Seine Augen waren übergroß und traten aus den Höhlen, wirkten wie aus dem Freizeitraum entkommene Tischtennisbälle.

»Aufruhr, immer Aufruhr«, sagte er. »Der TVF scheint es sehr zu gefallen, Krach zu machen und dauernd irgendwelche Dinge zu rekonfigurieren.«

Zusammen beobachteten sie, wie Ingenieure vorn abgeplattete Torpedos verluden, die zur Apparatur der Klikiss-Fackel gehörten. Die Crew hatte bereits ein schnelles Frachtschiff an Bord genommen, das den Wurmlochgenerator zu einem Neutronenstern bringen würde, der wie eine stellare Bombe in Ptoros Kern geschickt werden sollte.

»Wir müssen uns schon bemühen, wenn wir den Drogern ein Ding verpassen wollen«, sagte sie. »Nach dem Angriff auf Theroc möchten Sie es ihnen doch sicher heimzahlen, oder?«

Der Priester mit den großen Augen nickte. »Es ist natürlich der Wunsch des Weltwaldes, dass die Hydroger besiegt oder zumindest neutralisiert werden. Aber mehr als alles andere möchte ich nach Hause. Der Weltwald hat schreckliche Verletzungen erlitten, und wie alle grünen Priester höre ich seinen Ruf. Ich sollte auf Theroc sein und dabei helfen, neue Bäume zu pflanzen.«

»Aber Sie haben sich bereit erklärt, der TVF zu helfen, und Sie sind ein wichtiges Element in unserer Kommunikation«, sagte Tasia. »Wir brauchen Sie.«

Rossia kratzte sich an der grünen Wange. »Wenn man von allen gebraucht wird, Commander, muss man entscheiden, wo am dringendsten Hilfe erforderlich ist.«

»Eigentlich liegt die Entscheidung darüber nicht mehr bei Ihnen, nachdem Sie sich dem Militär angeschlossen und Ihr Wort gegeben haben.« Tasia hatte sich oft gewünscht, nach Hause zurückzukehren, zu den Wasserminen ihres Clans auf Plumas, aber diese Möglichkeit stand ihr ebenso wenig offen wie Rossia.

»Ich sollte Sie auf etwas hinweisen: Durch den Telkontakt habe ich erfahren, dass andere grüne Priester gemurrt haben, auf anderen Welten und anderen Schiffen«, sagte Rossia. »Sie alle hören den Ruf des Weltwaldes. Und nicht alle können ihm widerstehen. Wir haben nur unsere Dienste zur Verfügung gestellt, Commander – wir sind keine Soldaten.«

Tasia runzelte die Stirn, während um sie herum die Installation der Klikiss-Fackel andauerte. »Auch ich wäre lieber woanders, aber wir alle müssen den Kampf fortsetzen. Es gilt, unserem Leitstern zu folgen, ohne uns von anderen Lichtern ablenken zu lassen.«

Rossia nickte erneut. »Ein wahrer grüner Priester schlägt Wurzeln der Überzeugung und lässt sich nicht wie Federsamen vom Wind hin und her wehen.«

»Nehmen Sie die Metapher, die Ihnen am liebsten ist. Aber Sie wissen, dass die Hydroger nicht damit aufhören werden, uns anzugreifen. Wahrscheinlich kehren sie irgendwann nach Theroc zurück, um das zu Ende zu bringen, was sie begonnen haben.«

»Ein Grund mehr für die grünen Priester, heimzukehren und dabei zu helfen, den Weltwald zu schützen.«

Die Falten gruben sich tiefer in Tasias Stirn. »Ganz im Gegenteil. Ein Grund mehr, bei der TVF zu bleiben und zu hoffen, dass es uns gelingt, ihnen einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu geben. Wie wollen Sie die Bäume schützen, wenn der Planet von den Drogern angegriffen wird? Das Militär hat eine größere Chance gegen den Feind als eine Hand voll grüner Priester.«

Nachdenklich berührte Rossia den Schössling, den er immer bei sich trug. »Vielleicht. Ich beabsichtige nicht zu gehen, Commander Tamblyn. Viele grüne Priester haben vergessen, dass der Wald uns gebeten hat, Ihnen zu helfen. Wir alle haben bei diesem Krieg Verluste erlitten.« Er schüttelte langsam den Kopf. »Und wir alle müssen Opfer bringen.«