110 ORLI COVITZ

Der Angriff schien Stunden zu dauern, und Orli kauerte sich an der Höhlenwand zusammen. Diese Kaverne war sogar unversehrt geblieben, als eine Superwaffe vor zehntausend Jahren das Gestein geschmolzen und die Klikiss vernichtet hatte. Vermutlich drohte ihr auch jetzt keine Gefahr. Doch Orlis Herz schlug bis zum Hals empor, während sie im tiefsten Schatten hockte.

Draußen wurden die Kolonisten massakriert, unter ihnen ihr Vater. Und sie konnte ihm nicht helfen. Was steckte hinter dem Angriff? Wer waren die Angreifer überhaupt?

Schließlich hörte sie keine fernen Schreie mehr, nur noch das Fauchen von Energiestrahlen und das Donnern von Explosionen. Mit zitternden Knien kroch sie nach vorn, davon überzeugt, dass außer ihr alle anderen Menschen auf Corribus tot waren. Rauchschwaden trieben durch die Schlucht. Die ganze Siedlung war verbrannt; nur Asche war übrig geblieben.

Der Kommunikationsturm war pulverisiert worden, mit Orlis Vater darin. Die anderen Kolonisten, die Familien, Orlis Pelzgrille… Alle tot.

Sie hörte, dass sich die Triebwerksgeräusche veränderten, sah nach draußen und beobachtete, wie die sechs TVF-Schiffe nach dem Massaker landeten.

Der Moloch war so gewaltig, dass er die ganze Schlucht ausfüllte, von einer Wand zur anderen. Luken öffneten sich, und Gestalten kamen über die Rampen. Orli erkannte große, käferartige Klikiss-Roboter und Soldaten-Kompis, in Fabriken der Hanse gebaut.

Tränen strömten ihr über die staubigen Wangen. Orli wagte es nicht, laut zu weinen, denn sie fürchtete, selbst hier, hoch über der Schlucht, entdeckt zu werden.

Die Roboter bildeten Gruppen und durchkämmten die Trümmer. Soldaten-Kompis rissen Mauern ein und öffneten versiegelte Vorratsbehälter. Sie fanden einen Mann, der sich versteckt hatte, und zerrten ihn nach draußen. Es gelang ihm, sich loszureißen, und er versuchte wegzulaufen, doch die Roboter holten ihn sofort ein und töteten ihn. Trotz der großen Entfernung sah Orli das spritzende Blut…

Die Invasoren blieben mehrere Stunden und waren sehr gründlich, bis es schließlich nichts mehr gab, das sie zerstören konnten. Als die Abenddämmerung einsetzte, kehrten sie an Bord der TVF-Schiffe zurück. Triebwerke zündeten, und der Moloch und die fünf Mantas hoben ab, stiegen auf und verschwanden jenseits der Wolken.

Orli hatte lange genug gewartet. Als sie begriff, dass keine Gefahr mehr drohte, verließ sie die Höhle und begann mit dem Abstieg. Die Alaunkristalle schienen jetzt schlüpfriger zu sein und weniger Halt zu bieten.

Schon nach kurzer Zeit zitterten ihre Arme und Beine. Sie wusste, dass es nicht nur an der Furcht während des gefährlichen Abstiegs lag; hinzu kam der Schock angesichts der schrecklichen Dinge, die sie beobachtet hatte. Sie biss die Zähne zusammen und konzentrierte sich.

Als sie den Boden erreichte, war das Tal bereits voller Schatten. Einige Sekunden lang blieb Orli stehen und atmete schwer, und dann schwappte das Entsetzen wie eine Flutwelle über sie hinweg. Sie lief los, dem orangefarbenen Glühen der immer noch brennenden Feuer entgegen.

Schon bald sah sie ihre Befürchtungen bestätigt. Überall lagen Trümmer, und vom Holz der Stangenbäume, die die Siedler aus der offenen Ebene geholt hatten, war nur noch Asche übrig. Das Klikiss-Transportal war zerstört. Verbrannte Leichen lagen auf dem Boden und im Schutt eingestürzter Gebäude; zum Glück ließen sie sich nicht identifizieren.

»Hallo? Hört mich jemand?« Orlis Stimme brach, aber sie gab nicht auf. »Lebt noch jemand?«

Die Antwort bestand aus Stille, und Orli begriff: Sie war allein auf Corribus, die einzige Überlebende.