84 KÖNIG PETER
Peter schüttelte den Kopf und gab das vorbereitete Dokument Basil zurück. »Tut mir Leid, aber das verlese ich nicht.«
Ärger huschte über das Gesicht des Vorsitzenden. »Ich bestimme die Politik der Hanse, und Sie wissen genau, wie weit ich gehe, um sicherzustellen, dass man meinen Anweisungen Folge leistet.« Basil verlor nicht leicht die Fassung, auch in einem privaten Rahmen nicht, aber die vielen kostspieligen Niederlagen in den vergangenen Jahren und die Unnachgiebigkeit jener, die eigentlich kooperieren sollten, setzten ihm immer mehr zu. Er verabscheute jeden Verlust von Kontrolle.
Peter sprach mit ruhiger, aber auch fester Stimme. »Ihre Medien haben bereits ausgezeichnete Arbeit geleistet und in der Öffentlichkeit die Stimmung gegen die Roamer angeheizt, Basil. Aber wenn ich eine solche Schmährede halte, kommt es zu Lynchmorden, wenn nicht zu einem offenen Bürgerkrieg.«
»Wir haben bereits einen Bürgerkrieg, König Peter – von den Roamern verursacht.«
Peter zwang den Vorsitzenden, Farbe zu bekennen, obgleich er wusste, dass das gefährlich war. »Warum lassen Sie den Text nicht von Prinz Daniel verlesen? Stellen Sie ihn auf die Probe und finden Sie heraus, wie die Öffentlichkeit auf ihn reagiert.«
Basil verzog das Gesicht. »Ich habe genug von Ihrer Einstellung, Peter.«
Der König trommelte mit den Fingern auf den Tisch des privaten Zimmers, in dem sich der Vorsitzende mit ihm getroffen hatte. »Ob Sie es glauben oder nicht, Basil: Uns beiden liegen die Interessen der Hanse am Herzen. Sprecherin Peroni war mit Estarras Bruder verlobt. Die Königin und ich könnten mit ihr reden und versuchen, diese Angelegenheit zu klären.«
»Nicht nötig. Die Roamer werden bald nachgeben. Ich sehe verschiedene Szenarien – alle laufen darauf hinaus, dass ich die Menschheit zusammenhalte, trotz allem.«
Der Vorsitzende war auch deshalb verärgert, weil er gerade durch Nahton von Sarein erfahren hatte, dass seit einem Monat Roamer-Gruppen im Weltwald arbeiteten. Aus irgendeinem Grund hatte es der grüne Priester im Flüsterpalast bisher nicht für nötig gehalten, ihn darauf hinzuweisen.
Nahton hatte Basils Vorwürfe gelassen zur Kenntnis genommen. »Als unabhängige Welt haben wir das Recht, Hilfe von all jenen anzunehmen, die sie leisten wollen. Die Hanse muss in diesem Zusammenhang nicht konsultiert werden.« Der grüne Priester hatte einfach nicht die Bedeutung derartiger Informationen in Bezug auf die allgemeine Lage begriffen.
Peter beugte sich vor. »Sie haben mich gelehrt, vorauszudenken und alle Konsequenzen zu berücksichtigen, Basil. Es ist in Ordnung, wenn ich in der Öffentlichkeit den Hass auf die Hydroger schüre. Doch in diesem Fall besteht Ihr letztendliches Ziel darin, die Roamer in die Terranische Hanse aufzunehmen. Es wäre kontraproduktiv, wenn ich sie als unverbesserliche Verräter oder Ungeheuer darstelle. Wenn ich eine offizielle Verlautbarung des Flüsterpalastes herausgebe und Ihr Plan anschließend erfolgreich ist, muss ich meine Worte zurücknehmen und eine neue Position beziehen. Das kann nicht in Ihrem Sinne sein.«
Basil hob langsam den Kopf, und sein Gesicht zeigte einen sonderbaren Ausdruck. »Ich weiß nicht, ob ich Sie erwürgen oder Ihnen auf die Schulter klopfen soll, weil Sie ein guter Schüler sind. Ihre Schlussfolgerungen sind nicht die gleichen wie meine, aber… sie haben durchaus etwas für sich. Ich werde Ihren Hinweis in Erwägung ziehen.« Er nahm das Dokument und wandte sich zum Gehen, ohne seine Niederlage einzugestehen. »Wir werden einen schnellen, sauberen Sieg über die Roamer erringen, und zwar bald. Vielleicht ist es am besten, wenn Sie sich aus dieser Sache heraushalten. Dann können Sie sich anschließend wohlwollend geben.«
Der Vorsitzende sah über die Schulter. »Aber ich warne Sie: Die Führung der Hanse bleibt allein in meiner Hand. Wenn ich erneut mit einem Anliegen an Sie herantrete, Peter – wagen Sie es nicht, mir noch einmal zu widersprechen.«
Selbst wenn die Sorgen besonders groß waren: Peter kannte immer einen Ort, wo er ganz Mann und keine Marionette des Vorsitzenden war. Spät am Abend, in seinem Schlafzimmer – nachdem OX den Raum nach Überwachungskameras durchsucht und eventuelle Mikrofone deaktiviert hatte –, fühlte er sich sicher und geborgen, wenn er seine Königin in den Armen hielt.
Er streichelte Estarras warmen, glatten Rücken, strich mit den Fingerkuppen über ihre Schulterblätter und zog sie enger an sich. Er fühlte ihre weichen Brüste und küsste ihr Ohr, während ihre Finger durch sein Haar wanderten. »Von vielen Entscheidungen Basils halte ich nichts, aber als er dich für mich auswählte… Etwas Besseres hat er nie getan.«
Wie sonderbar es für Estarra gewesen sein musste, die üppigen Wälder von Theroc zu verlassen und in eine ganz andere Kultur versetzt zu werden, hier im Herzen der Hanse. Aber sie war stark und aufgeschlossen gewesen, dazu bereit, Peter eine Chance zu geben. Zuerst hatte er die politischen Manipulationen verabscheut, die zu dieser Ehe geführt hatten… Aber Estarra und er hatten viel gemeinsam, und jetzt verließen sie sich aufeinander, an einem Ort, an dem sie nie wussten, wem sie sonst trauen konnten.
Viele ihrer Verpflichtungen waren unangenehm oder schwierig, aber Peter und Estarra waren glücklich miteinander, insbesondere dann, wenn sie im Dunkeln allein sein und das große, gefährliche Universum draußen vergessen konnten.
Estarras Atem strich Peter warm über den Hals, als sie ihm den Kopf auf die Schulter legte. »Alle Frauen beneiden mich, Peter, nicht nur auf Theroc, sondern überall in der Hanse. Immerhin kann ich den König lieben, wann immer mir danach ist.«
»Wenn ich die Hanse doch ebenso leicht zusammenhalten könnte, wie ich dich in meinen Armen halte«, sagte Peter.
Der Vorsitzende und seine Assistenten erwarteten nicht von ihm, dass er Führungsaufgaben wahrnahm – er sollte vorbereitete Erklärungen abgeben und diente als Galionsfigur –, aber Peter spürte, dass die Situation für die Hanse immer problematischer wurde und sich auch Schwierigkeiten bei den Beziehungen mit den Theronen und Roamern anbahnten. Basil versuchte, immer striktere Kontrolle auszuüben, aber je mehr er verlangte, dass sich alle Menschengruppen an seine strengen Anweisungen hielten, desto weniger Bereitschaft zur Zusammenarbeit zeigte die Bevölkerung. Basil glaubte, dass bewusste Absicht hinter dieser Halsstarrigkeit steckte.
»Basil plant etwas gegen die Roamer«, sagte Peter. »Ich fühle es. Aber diesmal werde ich keine Maßnahmen gutheißen, die ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren kann. Eher neige ich den Kopf und gestehe mein Versagen ein.«
»Die Leute glauben, dass du ein gutes Herz hast«, erwiderte Estarra. »Und ich stehe an deiner Seite, was auch immer passiert. Das weißt du.«
»Ja, Estarra. Das weiß ich.«
»Ganz gleich, was Basil plant: Du kannst nichts dagegen unternehmen. Mach dir während unserer privaten Zeit im Bett nicht zu viele Sorgen.« Sie rollte sich auf ihn. »Ich muss dich doch irgendwie von deiner Besorgnis ablenken können.«
Peter küsste sie. »Wie denn?«
Estarra zeigte es ihm.