98 PATRICK FITZPATRICK III.

Das Summen der Systeme und Aggregate sorgte für ein so lautes Hintergrundgeräusch, das Fitzpatrick glaubte, offen mit seinen Mitgefangenen reden zu können, ohne dass jemand mithörte. Solange er und seine TVF-Kameraden arbeiteten, erlaubten die Roamer-Aufseher, dass sie miteinander sprachen.

Seltsamerweise wurden sie seit zwei Tagen anders behandelt. Die Roamer warfen ihnen immer wieder finstere Blicke zu, als hätten sie sich irgendetwas zuschulden kommen lassen. Zorn brodelte in den Wächtern, die bis dahin wohlwollend gewesen waren. Lag es an der Entdeckung des zerstörten Ekti-Frachters? Doch darüber wussten sie doch schon seit einer ganzen Weile Bescheid.

Gemurmelten Bemerkungen und geflüsterten Vorwürfen entnahm Fitzpatrick schließlich, dass die TVF damit begonnen hatte, gegen die geheimen Basen der Roamer vorzugehen. Ein Depot war angegriffen und zerstört worden, nach der Beschlagnahme aller Vorräte.

»Geschieht ihnen recht«, sagte Shelia Andez. »Sie haben den König provoziert. Dachten sie vielleicht, das bliebe ohne Konsequenzen? Ich hoffe, die Roamer lernen daraus und hören auf damit, sich quer zu stellen.«

»Es beweist die Bereitschaft der Hanse, ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen«, meinte Yamane.

»Und mir beweist es, dass wir nicht tatenlos bleiben sollten.« Fitzpatrick bedachte seine Gefährten mit einem bedeutungsvollen Blick. »Vielleicht sucht die TVF nach uns. Wenn meine Großmutter weiß, dass ich noch lebe, setzt sie sicher alles in Bewegung.«

»Vielleicht müssen wir uns selbst helfen«, sagte Shelia.

»Wir sollten über unsere Möglichkeiten nachdenken.« Yamane bastelte an einem beschädigten Kompi herum. »Vielleicht können wir unerwartete Verbündete finden.«

Die aus den Wracks der TVF-Schiffe geborgenen Soldaten-Kompis wurden draußen in den Industrieanlagen eingesetzt und verrichteten dort Arbeiten, die für Roamer zu schwer oder zu gefährlich waren. Als kybernetischer Spezialist gehörte Yamane zu den wenigen Personen bei Osquivel, die für die Wartung der Soldaten-Modelle qualifiziert waren. Er nutzte die Gelegenheit, um herauszufinden, wie die komplexen Kompis auf die Neuprogrammierung reagierten.

Fitzpatrick half ihm bei der Untersuchung des Soldaten-Kompi, nahm sich die Instruktions- und Programmmodule vor. Dieser kleine Roboter hatte eine Kollision mit einem Gesteinsbrocken der Ringe hinter sich, doch dabei war nur oberflächlicher Schaden angerichtet worden.

»Die Kakerlaken haben die militärische Programmierung überschrieben, aber die Speicherstruktur reicht tief«, sagte Yamane leise. »Soldaten-Kompis enthalten Instruktionsmodule der Klikiss. Allem Anschein nach gibt es eine verborgene Partition, die mit Standardroutinen nicht gelöscht werden kann. Es ist noch alles irgendwo da drin. Ich muss nur eine Möglichkeit finden, die Kernprogramme zu aktivieren.« Seine Lippen formten ein dünnes Lächeln. »Dann werden sich die Dinge hier ändern.«

Fitzpatrick sah einen Roamer, der sie beobachtete. Er beugte sich näher und gab vor zu helfen. »Wie meinst du das?«, fragte er.

»Nach der Aktivierung der Kernprogrammierung haben wir ein Heer aus hundert oder mehr Soldaten-Kompis.«

Bill Stanna kam mit einer großen Kiste. Der stämmige Soldat arbeitete als Verlader, trug Ausrüstungs- und Versorgungsmaterial. Stanna hatte eine Grundausbildung hinter sich und wusste, wie man mit Waffensystemen umging und Standardschiffe flog, aber ein brillanter Taktiker war er gewiss nicht.

»Wenn ich nur an der Untersuchung des Hydroger-Schiffs teilnehmen könnte, das die Roamer in den Ringen gefunden haben«, sagte Fitzpatrick. »Stellt euch vor, wie gern General Lanyan das Ding in die Hände bekommen würde.«

»Ich fürchte, der verrückte Roamer-Wissenschaftler ruiniert alles. Ich könnte an die Decke gehen, wenn ich daran denke…« Shelia bückte sich und half Stanna dabei, die Kiste hochzuheben.

Der große, kräftige Soldat seufzte, richtete sich auf und sah aus dem schmalen Fenster des Arbeitsasteroiden, über den Gasriesen hinweg zu den fernen Sternen. »Wenn wir doch nur nach draußen kämen… Dann könnte ich mir ein Schiff der Kakerlaken nehmen und einfach wegfliegen.«

Fitzpatrick schüttelte den Kopf. »Das hätte kaum einen Sinn, Bill. Du hast Kellum gehört. Keins der Schiffe dort draußen eignet sich dafür, interstellare Distanzen zurückzulegen. Es sind alles interplanetare Transporter.«

»Ich könnte es trotzdem versuchen.«

Shelia stieß Stanna mit dem Ellenbogen an. »Du würdest tausend Jahre brauchen, um das nächste Sonnensystem zu erreichen, Bill.«

»Wer sagt das? Ich könnte ein Schiff nehmen und… zur Kometenwolke fliegen. Dort gibt es Ekti-Fabriken, was bedeutet, dass die Kakerlaken auch interstellare Schiffe haben. Wie sollten sie sonst den Treibstoff transportieren?«

Yamane lachte leise. »Guter Hinweis.«

»In der Kometenwolke könnte ich mir einen der schnellen Frachter schnappen und damit verschwinden.«

»Ich fürchte, der Plan enthält noch die eine oder andere schwache Stelle«, sagte Fitzpatrick, der nicht sicher war, ob Stanna alles gründlich durchdacht hatte. »Ich rate davon ab…«

»Warum es nicht versuchen, wenn sich eine Chance ergibt?«, beharrte der große Soldat.

Shelia sah Fitzpatrick an und schnitt eine finstere Miene. »Möchtest du lieber hier bleiben, Fitz? Hast du vor, dir eine hübsche Roamer-Frau zu nehmen und einen eigenen Clan zu gründen? Ich mache mir allmählich Gedanken über dich.«

Fitzpatrick wandte sich ab – es war ihm peinlich, dass er bei Shelias Worten an Zhett gedacht hatte. »Ganz und gar nicht. Ich möchte ebenso sehr fort von hier wie ihr, aber wir sollten nichts Dummes anstellen. So etwas liefe auf Selbstmord hinaus. Wir müssen den richtigen Zeitpunkt abwarten.« Er half Yamane wieder beim Soldaten-Kompi und schloss die Wartungsklappe des Roboters.

»Du denkst zu viel, Fitz«, brummte Stanna.

Fünf Tage später ergab sich eine Gelegenheit.

In einem dichten Haufen aus Werftanlagen fiel das Gravitationstau eines Schleppers aus, der einen großen erzhaltigen Felsen zu einem Schmelzer brachte. Der massige Brocken stieß an die Seite des automatischen Erzverarbeiters, verursachte erhebliche Schäden, prallte ab und kollidierte mit einem Verwaltungshabitat. Die äußere Felsschicht schützte die meisten Menschen in den Büros, doch die Notsysteme wurden automatisch aktiv. Zugangsluken schlossen sich. Einige Personen, unter ihnen Zhett Kellum, saßen im Innern fest.

In den Werften wurde Alarm gegeben, und Rettungsmannschaften machten sich auf den Weg zum Unglücksort. Roamer lebten mit der Gefahr, hatten deshalb Einsatzpläne für alle Arten von Notfällen bereit und reagierten sofort. Schiffe änderten den Kurs. Ingenieure unterbrachen ihre Arbeit. Greifkapseln flogen los. Für kurze Zeit herrschte überall Durcheinander.

Bill Stanna, der an Fitzpatricks Seite arbeitete, sah auf. »Dies ist unsere Chance, und ich werde sie nutzen.« Er griff nach Fitzpatricks Arm. »Deck mich, Fitz. Ich habe mir bereits ein Schiff ausgesucht.«

Ein Prospektorenscout hatte an ihrem Arbeitsasteroiden angedockt, ein kleines, einsitziges Schiff, dazu bestimmt, in den Ringen nach Erzvorkommen zu suchen. Stanna wusste, wie man es flog.

Der Alarm dauerte an, und es waren nicht viele Roamer zu sehen. Die Soldaten-Kompis gingen ihren programmierten Aufgaben nach, ohne eine Pause einzulegen. Stanna lief zu einem für Notfälle bestimmten Ausrüstungsschrank, nahm einen Schutzanzug und streifte ihn so schnell über, als handelte es sich um eine TVF-Übung während der Grundausbildung.

Fitzpatrick war bei der Sache nicht wohl zumute, aber er wagte es nicht, Stanna aufzuhalten. Wenn ihm die Flucht gelang, würde er die TVF benachrichtigen und irgendwie Hilfe holen. Dann konnten sie alle fort.

»Pass gut auf, Fitz – sorg dafür, das ich Gelegenheit bekomme loszufliegen.« Stanna stapfte schwerfällig in seinem Schutzanzug nach vorn und setzte den Helm auf.

Fitzpatrick klopfte ihm auf den Rücken. »Viel Glück, Bill.«

Stanna eilte zur Luftschleuse. Fitzpatrick vergewisserte sich, dass die Roamer noch immer auf die Bildschirme blickten, das Geschehen beim Verwaltungshabitat und dem Erzverarbeiter beobachteten. Die Aktivierung der Luftschleuse würde bei den Instrumenten vor ihnen Indikatoren aufleuchten lassen, aber vermutlich glaubten die Roamer, dass sich jemand von ihnen den Rettungsmannschaften anschließen wollte.

Das Außenschott der Luftschleuse öffnete sich, und Stanna stieß sich ab, schwebte durchs All, dem Prospektorenscout entgegen. Er erreichte das kleine Schiff, hielt sich daran fest und zog sich zur Einstiegsluke.

Im Kontrollraum des Arbeitsasteroiden wurden die drei Roamer neugierig – sie schienen etwas bemerkt zu haben.

Einer von ihnen ging zum Fenster und sah in Richtung des kleinen Raumschiffs.

Fitzpatrick befürchtete, das die Roamer Stanna gleich entdeckten, und er begriff, dass er sofort etwas unternehmen musste. Er lief zu den Wandkontrollen und aktivierte das Feuersignal. Die Luft in den ausgehöhlten Asteroiden wurde wiederaufbereitet und aus Tanks erneuert; Feuer stellte immer eine große Gefahr dar. Um glaubwürdig zu wirken, öffnete Fitzpatrick die Tür des Ausrüstungsraums, griff nach einem Löscher und sprühte Schaum auf mehrere Kisten in der Ecke.

Als die Roamer herbeieilten, sah er mit geheuchelter Panik zu ihnen auf. »Ich habe Rauch gesehen und sofort gehandelt!«, sagte er und deutete auf den Schaum.

Die drei Roamer musterten ihn skeptisch. »Wir müssen uns um andere Notfälle kümmern. Benehmen Sie sich.« Sie kehrten zu ihren Stationen zurück, und Fitzpatrick wischte das Löschmittel auf.

Er sah durch die kleinen Fenster und beobachtete, wie der Prospektorenscout fortglitt, ein weiteres Schiffe in dem Durcheinander. Fitzpatrick hob die Hand zum Mund, verbarg ein nervöses, aber zufriedenes Lächeln und setzte die Arbeit fort.

Die Roamer waren so sehr damit beschäftigt, die im beschädigten Verwaltungshabitat festsitzenden Personen zu retten und den Erzverarbeiter zu reparieren, dass es eine ganze Weile dauerte, bis Prospektoren aufbrachen, um in Osquivels Ringen erneut nach Erz zu suchen.

Erst nach vier Tagen bemerkte man das Fehlen des kleinen Schiffes.