8 DAVLIN LOTZE

Mit seinem Rucksack, der Verpflegung für mehrere Tage enthielt, trat Davlin Lotze vor den flachen Stein des Transportals. Hunderte von Koordinatenkacheln mit seltsamen Symbolen umgaben den Apparat und wiesen auf einst von Klikiss bewohnte Welten hin. Die meisten von ihnen waren noch unerforscht.

»Ihre Rückkehr ist in weniger als einem Tag vorgesehen, Mr. Lotze«, sagte der Techniker an der Kontrollstation. Bekannte Klikiss-Transportale wie dies in den Ruinen von Rheindic Co dienten als Sprungpunkte für jene, die mutig genug waren, aufs Geratewohl fremde Welten zu besuchen. Davlin Lotze gehörte zu diesen Leuten.

Er schwang sich den Rucksack auf den Rücken. Seine Kleidung bestand aus einem khakifarbenen Overall, dessen Stoff besonders belastungsfähig und für unterschiedliche Temperaturen geeignet war. Lotze verzichtete auf schreiende Farben, Schmuck und andere Dinge, die vielleicht Aufmerksamkeit geweckt hätten. »Die Parameter meiner Mission erlauben mir einen gewissen Ermessensspielraum.« Nach seinen langen Dienstjahren – ganz zu schweigen davon, dass er und Rlinda Kett dieses Transportalnetz entdeckt und der Hanse davon berichtet hatten – wollte er sich nicht an die Regeln und Zeitpläne anderer Leute halten.

Die insektenartigen Klikiss waren vor langer Zeit aus dem Spiralarm verschwunden, aber sie hatten mysteriöse Ruinen hinterlassen. Da jene Wesen die gleiche Luft geatmet hatten und sich durch ähnliche biologische Erfordernisse auszeichneten wie Menschen, ging die Hanse davon aus, dass sich die von ihnen verlassenen Welten für die Kolonisierung eigneten. Sie waren wie kleine Siege im Chaos des Hydroger-Kriegs.

Doch zuerst mussten die Klikiss-Welten identifiziert, katalogisiert und ansatzweise erforscht werden. Davlin glaubte, dass sich seine Fähigkeiten für diese Aufgabe eigneten. Ohne zu zögern trat er durch das trapezförmige Steinfenster, fiel durchs Universum und landete auf einer anderen Klikiss-Welt.

Es war ein seltsames Gefühl, allein auf einem fremden Planeten zu sein. Davlin lächelte, als ihm trockener Wind übers Gesicht strich. Er war während des Skalen Morgens eingetroffen, hatte also einen ganzen Tag Zeit, Bilder von den termitenhügelartigen Gebäuden und den eisenharten Klikiss-Strukturen anzufertigen. Auf dieser Welt gab es sonderbare Bäume mit federartigen Wedeln, umgeben von Pflanzen mit langen, stacheligen Blättern, die wie Nadelkissen aussahen.

Davlin wanderte zwischen den Ruinen umher, installierte Sensoren und meteorologische Aufzeichnungsmodule. Er maß die Menge des Grundwassers und schätzte den durchschnittlichen Niederschlag. Wenn die Hanse eine groß angelegte Kolonisierung dieser Welt beschloss, brachten Forscher automatische Satelliten mit, die eine genauere Bestimmung der Landmassen und des Wetters ermöglichten. Von Davlin erwartete man nur einen ersten allgemeinen Bericht.

Als es dunkel wurde, stellte er die Imager auf und begann mit einem umfassenden astronomischen Scan, der die Spektren der hellsten Sterne am Himmel erfasste. Nach der Rückkehr durchs Portal würden Astronomen und Navigatoren der Hanse die Position des Planeten berechnen und sie den Klikiss-Symbolen der betreffenden Koordinatenkachel zuordnen.

Nach dem Scan hätte Davlin eigentlich zurückkehren können, aber er genoss die Stille. Das geschäftige Treiben der Zivilisation hatte ihm nie gefallen. Selbst in der Hanse-Station auf Rheindic Co, die neugierigen Forschern als Ausgangspunkt diente, fühlte er sich zu bedrängt. Er sehnte sich nach friedlichen Tagen und dachte an die stillen, produktiven Jahre auf Crenna, wo er die Rolle eines einfachen Kolonisten gespielt hatte.

Er holte ein warmes Schlaftuch hervor, einen dünnen Film, in den er sich hüllte und der zu einem weichen Bett anschwoll, verbrachte eine friedliche, einsame Nacht auf einer leeren Welt. Am nächsten Morgen sammelte er seine Instrumente ein, kehrte zum trapezförmigen Steinfenster zurück, aktivierte das Transportal und trat hindurch…

Im Kontrollraum von Rheindic Co fiel ihm sofort die düstere Atmosphäre auf. Seine dunkelbraunen Augen musterten die Gesichter der anderen Personen und stellten dann fest, dass eine der vielen Koordinatenkacheln schwarz markiert war. »Wen haben wir verloren?«

Der Techniker sah ihn an. »Jenna Refo«, antwortete er. »Seit drei Tagen überfällig.«

Davlin seufzte schwer und fühlte plötzliche Kälte. Damit waren es insgesamt fünf – fünf Forscher wie er, die auf gut Glück Klikiss-Koordinaten gewählt hatten, in der Hoffnung, ressourcenreiche Welten zu finden, die einen enormen Profit für die Hanse bedeuteten.

Aber manchmal waren die Koordinaten schlecht. Vielleicht hatte ein Erdbeben oder dergleichen das Transportal auf der anderen Seite zerstört, oder die betreffenden Welten waren extrem lebensfeindlich.

»Verdammt.« Die Hanse bezahlte so viel, dass einige Leute bereit waren, ein Risiko einzugehen, aber die Transportalforscher setzten jedes Mal ihr Leben aufs Spiel, wenn sie einen unbekannten Planeten aufsuchten. Normalerweise wurde gejubelt, wenn Davlin von einer erfolgreichen Mission zurückkehrte. Diesmal aber lieferte er nur seinen Bericht ab und ging dann duschen.

Am nächsten Tag kehrte ein alter Forscher namens Hud Steinman voller Freude zurück und schien die Schatten in den Mienen der Techniker überhaupt nicht zu bemerken.

»Dafür erwarte ich einen Bonus!«, rief er begeistert. »Diese Koordinaten…« Er deutete auf eine der Kacheln. »… bringen uns dorthin, wo alles begann, beziehungsweise endete, wie man’s nimmt. Ich habe die Koordinatenkachel für Corribus gefunden.«

Die Techniker schnappten nach Luft; einige wenige applaudierten. Davlin nickte anerkennend.

Auf Corribus hatten Margaret und Louis Colicos die Pläne der Klikiss-Fackel entziffert: eine leere, zernarbte Welt, vielleicht das letzte Bollwerk der Klikiss gegen den Feind, der sie ausgelöscht hatte. Für alle, die sich mit Xeno-Archäologie befassten, war Corribus wie ein Stein von Rosette, ein Ort mit Nachrichten aus der Vergangenheit. Die bestätigten Daten von Corribus bedeuteten, dass verschiedene Routen durch das Transportalnetz miteinander verbunden werden konnten – der Beginn einer Karte.

Davlin schob sich am dürren Hud Steinman vorbei und aktivierte die Koordinatenkachel von Corribus. Einige Techniker der Hanse sahen auf, und einer hob die Hand, als wollte er Lotze zurückhalten. Davlin achtete nicht darauf – er empfing seine Anweisungen nur vom Vorsitzenden Wenzeslas. Er trat durch das Steinfenster in windige Stille.

Die Klikiss-Stadt auf Corribus sah genauso aus wie in den vom Colicos-Team übermittelten Bildern. Hohe Schluchtwände aus Granit formten ein geschütztes Tal mit termitenhügelartigen Gebäuden auf dem Boden und Höhlen in den Felswänden, an denen sich große, kantige Kristalle zeigten. Steinman hatte Recht, das Terrain war unverkennbar.

Davlin ließ den Blick über die geisterhafte Welt schweifen, auf der matter Sonnenschein über Kristallblöcke an Klippen glitt. Die Klikiss mussten die steilen Granitwände für einen Schutz gehalten haben, wie die Barrikaden einer Festung. Das Gestein glänzte wie halb geschmolzen, als wäre es einer unvorstellbaren Zerstörungskraft ausgesetzt gewesen.

Davlin fragte sich, was damals mit dem insektoiden Volk geschehen war. Welcher mächtige Feind hatte die Klikiss veranlasst, ihre Fackel zu entwickeln? Die Hydroger? Letztendlich hatten sie sich nicht einmal mit der Fackel verteidigen können und waren vernichtet worden.

Davlin wusste, dass die Hanse Kolonisten nach Corribus schicken würde. Er hoffte nur, dass sich das, was hier geschehen war, nicht wiederholte.