55 DAVLIN LOTZE

Als Rlinda Kett Ausrüstungsmaterial entlud und sieben Freiwillige an Bord nahm, die ihr Glück auf einer ungezähmten Klikiss-Welt versuchen wollten, ging Davlin mit hoch erhobenem Kopf zur Hauptsiedlung der Kolonie. Es wurde Zeit zuzugeben, wer er war und was er getan hatte, in der Hoffnung, dass ihn seine früheren Nachbarn in ihrer Mitte akzeptierten.

Während seiner früheren Jahre auf Crenna hatten ihn die Siedler gemocht, und er hatte den Anschein erweckt, ihre Sympathie zu erwidern. Niemand von ihnen wäre jemals auf den Gedanken gekommen, einen »Spezialisten für obskure Details« in ihm zu sehen, damit beauftragt, die aufgegebene Siedlung der Ildiraner zu untersuchen. Davlin hatte festgestellt, dass die Ildiraner nichts Wichtiges zurückgelassen hatten, und dann war er vom Vorsitzenden zurückbeordert worden. Sein Verschwinden hatte die Siedler sicher sehr überrascht.

Wenn die Leute nun wussten, dass er ein Spion der Hanse war, so fragten sie sich bestimmt, ob er Informationen über sie und ihr Privatleben gesammelt hatte. Ein Spion war ein Spion. Davlin bereitete sich auf berechtigte Kritik vor. Wenn er wirklich wieder auf Crenna leben wollte, musste er ehrlich sein. Würden ihm die Siedler verzeihen?

Er betrat das Gebäude mit dem kleinen Versammlungssaal und den Verwaltungsbüros der Kolonie, legte sich dabei die Worte zurecht, die er an den Bürgermeister richten wollte. Der rundliche und sonnengebräunte frühere Bauer Lupe Ruis hatte zu Anfang nur wenige Stunden pro Woche den administrativen Angelegenheiten gewidmet, doch das gute Gedeihen der Kolonie führte bald dazu, dass die Verwaltung von Crenna zu einem Fulltimejob wurde.

Als Bürgermeister Ruis ihn sah, erschien ein breites Lächeln in seinem pausbäckigen Gesicht. »Davlin Lotze! Willkommen daheim. Wir haben uns alle Ihre Rückkehr erhofft.« Er breitete die Arme aus, trat vor und wirkte sehr erfreut. »Ist Ihre geheime Mission jetzt beendet?«, fragte er in einem verschwörerischen Tonfall. »Wir haben von der wichtigen Arbeit gehört, die Sie für die Hanse leisten. Wenn ich daran denke, dass wir Sie für einen ganz normalen Kolonisten gehalten haben, für einen von uns… Aber Sie sind eine Berühmtheit!«

»Woher… woher wissen Sie davon?«

Der Bürgermeister winkte ab. »Ach, woher wohl? Captain Kett ist bei uns gewesen. Sie und Branson Roberts waren früher verheiratet. Sie hat uns erzählt, dass Sie ein Fachmann für ildiranische Soziologie sind – und dass Sie es waren, der das Netz aus Klikiss-Transportalen entdeckt hat.«

»Captain Kett war dabei. Sie half mir bei der Entdeckung…«

Ruis legte ihm den Arm um die Schultern. »Sie sind ein Held, Davlin! Wir sind ja so stolz auf Sie. Einer aus unserer Gemeinschaft… Sie haben sich nur nicht zu erkennen gegeben.«

Der verwirrte Davlin brachte nur ein »Danke« hervor.

Mit einer abrupten Geste schob Ruis die Unterlagen auf seinem Schreibtisch beiseite, als wollte er damit zeigen, wie unwichtig sie waren. »Und jetzt kehren Sie zurück, um sich für eine Weile bei uns niederzulassen? Bis erneut die Pflicht ruft? Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir uns freuen. Captain Roberts ist gerade mit seinem Schiff aufgebrochen, um Shuttledienste für die Kolonisierungsinitiative zu leisten, und einige von uns haben beschlossen, auf Klikiss-Welten ein neues Leben zu beginnen. Wir können jemanden gebrauchen, der so vielseitig und… kompetent ist.«

»Ich… weiß Ihr Vertrauen und Ihren Enthusiasmus sehr zu schätzen, Bürgermeister Ruis. Ich wusste nicht recht, welcher Empfang mich hier erwartet. Steht meine alte Unterkunft noch zur Verfügung, oder hat inzwischen jemand anders Anspruch darauf erhoben?«

Der Bürgermeister wirkte überrascht. »Sie wartet natürlich auf Sie. Eine wesentliche Expansion hat bei uns nicht stattgefunden. Wir versuchen nur, uns hier zu behaupten.«

»Kam es zu einem weiteren Ausbruch der Orangefarbenen Flecken?«

»Nein, Sir. Das von Ihnen in den Trinkwasserleitungen installierte Amöbenfiltersystem hält uns alle gesund.« Wieder erschien ein strahlendes Lächeln im runden, rötlichen Gesicht des Bürgermeisters. »Ich hoffe, dass Sie wieder arbeiten wollen. Wir könnten Ihre Hilfe bei der Infrastruktur gebrauchen, insbesondere bei Stromversorgung und Kanalisation. Anschließend könnten Sie sich vielleicht um unsere Kommunikationssysteme und Sendetürme kümmern. Seit einem Jahr haben wir immer wieder Schwierigkeiten, verursacht von starker solarer Aktivität und Ionenstürmen.«

»Das ist nicht unbedingt mein Fachgebiet, aber ich sehe mir alles an.«

Ruis zwinkerte ihm zu. »Captain Kett meinte, dass Sie sich praktisch mit allem auskennen.« Der Bürgermeister führte Davlin aus seinem Büro. »Wir sind wirklich froh, Sie wieder bei uns zu haben.«

An jenem Abend, zufrieden und doch voller Unruhe, wanderte Davlin zwischen den Hügeln außerhalb des Ortes. Es fühlte sich seltsam gut an, wieder auf Crenna zu sein. Am Himmel leuchtete der Mond und tauchte die Landschaft in silbriges Licht. Die Helligkeit des Mondes war einer der Faktoren gewesen, die Crenna für Ildiraner attraktiv gemacht hatten, denn dunkle Nächte gefielen ihnen ganz und gar nicht.

Die Hügel waren felsig und niedrig, bewachsen von knorrigen, hohlen Bäumen, Flötenholzbäume genannt. Die leeren Zweige enthielten winzige Löcher, und wehender Wind verwandelte sie in natürliche Holzblasinstrumente. Die pfeifenden, atonalen Melodien klangen wie Schlaflieder: von hohen Flötentönen der dünnen Zweige bis hin zu den tiefen Basstönen der dicken, hohlen Stämme.

Das Licht des Mondes überstrahlte viele Sterne, aber Davlin versuchte trotzdem, Konstellationen zu erkennen, und fragte sich dabei, wie weit er bei seinen Reisen durch den Spiralarm gekommen war. Das Plätschern naher Bäche und das Knistern und Rascheln des hohen Grases begleiteten die Flötenbaumsymphonie.

Dies war viel besser als die albtraumhafte letzte Klikiss-Welt, die er besucht hatte. Hier gab es keine fliegenden Quallenwesen oder riesige Hundertfüßer. Allein stand er da, mit sich selbst in Einklang. Es erfüllte ihn mit tiefer Zufriedenheit, wieder auf Crenna zu sein. Hier fühlte er sich fast wie… zu Hause.

Plötzlich sah Davlin, wie mehrere Sterne in Bewegung gerieten und Meteoren gleich über den Himmel sausten, doch ohne in den oberen Schichten der Atmosphäre zu verbrennen – sie setzten ihren Weg übers Firmament fort. Raumschiffe? Besucher?

Drei helle Punkte glitten über den Himmel, dann weitere sechs, gefolgt von anderen Gruppen. Davlin kniff die Augen zusammen. Ein solches Phänomen sah er jetzt zum ersten Mal. Hoch oben rasten zehn weitere Punkte übers dunkle Firmament, wenige Sekunden später glitzerten Lichter am Nachthimmel, wie die Flocken eines Schneesturms.

Davlin fühlte sich von kalter Furcht erfasst.

Mehrere Punkte änderten den Kurs, huschten hin und her. Geräusche erklangen, ein dumpfes Grollen in der Ferne. Die am Himmel tanzenden sternschnuppenartigen Gebilde kamen tiefer.

Verwunderte Rufe kamen aus der Siedlung. Kolonisten verließen ihre Unterkünfte und sahen nach oben. Davlin blieb auf der Hügelkuppe stehen, von der aus er den besten Blick hatte.

Als er ein Zischen und Fauchen hörte, drehte er sich um und sah zum Horizont. Seine Befürchtungen wurden bestätigt, als er beobachtete, wie vier große Raumschiffe heranrasten.

Schiffe der Hydroger.

Die glühenden Kugeln jagten wie stachelbesetzte Bälle über den Himmel. Blaues Licht flackerte an den Spitzen der pyramidenartigen Vorsprünge. Davlin hatte von den verheerenden Angriffen auf Theroc und Boone’s Crossing gehört. Crenna war von den Fremden bisher noch nicht angegriffen worden.

Die Kolonisten im Ort gerieten in Panik, schrien, liefen umher und suchten nach Schutz. Wenigstens waren sie klug genug, nicht die Alarmsirenen einzuschalten – ihr Heulen hätte vielleicht die Aufmerksamkeit der Hydroger geweckt.

Ein Kugelschiff flog in einem weiten Bogen und verdeckte kurz das Licht des Mondes – der Feind gab durch nichts zu erkennen, die menschliche Siedlung bemerkt zu haben. Fünf weitere Kugeln zogen ihre Bahn am Himmel, ohne das Feuer zu eröffnen. Vermutlich waren diese Hydroger zu einem anderen Ziel unterwegs.

Schließlich verschwanden die Kugelschiffe in der Ferne, ohne der Kolonie irgendeinen Schaden zugefügt zu haben. Davlin sah weitere helle Punkte vor dem Hintergrund der Sterne – irgendwo im Crenna-System entstand eine riesige Kampfflotte.

Als sich keine Kugeln der Hydroger mehr in der Nähe von Crenna befanden, atmete Davlin tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Die einfachen Kolonisten des Ortes wussten nicht, womit sie es zu tun hatten und wie sie reagieren sollten. Ihnen fehlten Erfahrung und Ressourcen.

Davlin lief zur Siedlung zurück. Nachdem Rlinda Kett so viele Geschichten von seinen Heldentaten und großartigen Leistungen erzählt hatte, würden die Leute Antworten von ihm erwarten.