40 BASIL WENZESLAS
Die Arbeit für die Hanse hätte ihn vierundzwanzig Stunden am Tag beschäftigen können, aber selbst der Vorsitzende musste einmal schlafen. Dann und wann.
Als er spät am Abend in sein Penthousequartier zurückkehrte, stellte er fest, dass jemand dafür gesorgt hatte, dass die Decke transparent wurde – Sterne funkelten am Himmel. Er bemerkte eine schemenhafte Gestalt am Bett, dachte zunächst, dass Sarein gekommen war, und seufzte kurz. In dieser Nacht wollte er einfach nur allein sein und die Probleme sortieren, die immer wieder nach ihm pickten, wie ein Schwarm von Aasvögeln.
Aber als er das Licht einschaltete, runzelte er überrascht die Stirn – Davlin Lotze wartete auf ihn. Der große, dunkelhäutige Mann verschränkte die Arme. »Guten Abend, Vorsitzender.«
»Was machen Sie hier?«, fragte Basil aufgebracht.
»Nach all den Diensten, die ich für die Hanse geleistet habe, hätte ich einen freundlicheren Empfang erwartet.«
»Ich wiederhole, Mr. Lotze: Was machen Sie hier?«
»Ich musste mit Ihnen sprechen und dachte mir, dass es schwierig sein könnte, in Ihrem Terminkalender einen Platz zu finden. Da Sie bei unseren früheren Gesprächen einen privaten Rahmen vorgezogen haben, hielt ich dies für das Beste.«
Basil wählte eine mittlere Einstellung für das Licht, nicht zu hell und nicht zu dunkel. »Ah, ja, alles wohl überlegt, wie immer. Vielleicht sollte ich auf die Frage verzichten, welche Lücken in den hiesigen Sicherheitssystemen Sie ausgenutzt haben, um ins Penthouse zu gelangen.«
»Sie kennen meine Ausbildung, Vorsitzender.«
Basil schenkte sich ein Glas Eiswasser ein. Kaffee hatte er bereits genug getrunken, und es war spät. »Ich dachte, Sie wären durch die Transportale der Klikiss unterwegs, um fremde Welten zu erforschen.« Er trank einen Schluck, ohne dem Besucher etwas anzubieten.
»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es zu gefährlich ist.«
»Zu gefährlich für Sie? Das ist interessant.«
»Es gibt eine aufregende Art von Gefahr, Vorsitzender – und eine dumme. Sie haben mehrmals versucht, mich davon abzubringen, noch nicht getestete Koordinaten zu erforschen, aus Furcht, ich könnte ebenso verschwinden wie Margaret Colicos.«
»Wenn Sie verschwänden, bräuchten wir uns um die vielen Geheimnisse in Ihrem Kopf keine Gedanken mehr zu machen.«
»Darüber sind Sie nicht besorgt, Vorsitzender.« Es war keine Frage.
»Nein, vermutlich nicht. Nun, warum sind Sie während meiner wenigen Momente friedlicher privater Zeit zu mir gekommen?«
»Ich bin hier, um Sie bei allem Respekt um einen Gefallen zu bitten. Ich glaube, im Lauf der Jahre habe ich wichtige Arbeit für die Hanse geleistet.«
Basil wölbte die Brauen. Lotze war immer ein Mann gewesen, der nie viel brauchte und um nichts bat. »Und woraus besteht dieser Gefallen?«
»Ich möchte… dorthin zurück, wo ich mich zu Hause gefühlt habe. Zurück nach Crenna. Die Jahre dort waren angenehm.«
Interessant. Offenbar hatte es Lotze sorgfältig vermieden zu zeigen, wie sehr ihm Crenna und die Gemeinschaft der dortigen Kolonisten gefielen. Basil sah darin eine seltsame Schwäche für jemanden wie Davlin.
»Sie möchten… sich in den Ruhestand zurückziehen?«
Mit diesem Konzept konnte der Vorsitzende kaum etwas anfangen. Lotze war immer jemand wie er selbst gewesen, ein Mann, der ganz in seiner Arbeit aufging, ohne andere Interessen. In einem solchen Leben war »Entspannung« etwas Mühevolles.
»Nennen Sie es eine längere Freistellung. Es muss nicht permanent sein.«
Basil konnte dem Anliegen nicht widersprechen – Lotze hatte zweifellos einen langen Urlaub verdient –, aber die Vorstellung beunruhigte ihn. »Sieben der grünen Priester in der TVF haben den Dienst quittiert. Die Roamer liefern kein Ekti mehr, und jetzt wollen Sie fort. Das erinnert mich an Ratten, die das sinkende Schiff verlassen.«
Lotze blieb still und stoisch. Er hatte seine Bitte vorgetragen und wartete auf die Antwort des Vorsitzenden. Basil wusste, dass er sich in einer schwierigen Situation befand: Wenn die Hanse jemals wieder auf die Dienste des Kulturspions zurückgreifen wollte, durfte er Lotzes Anliegen nicht zurückweisen. Davlin konnte auch einfach so verschwinden, für immer.
Trotz der Präsenz des Besuchers begann Basil Wenzeslas damit, sich zu entkleiden und aufs Bett vorzubereiten. »Da ich derzeit keine dringenden Aufträge für Sie habe, können Sie durchaus nach Crenna zurückkehren. Wenn Sie sich dort niederlassen, weiß ich wenigstens, wo ich Sie erreichen kann.«
Lotze lächelte hintergründig. »Glauben Sie?«
Basil schnitt eine finstere Miene. »Gehen Sie, bevor ich es mir anders überlege. Möchten Sie auf die gleiche geheimnisvolle Weise verschwinden, wie Sie gekommen sind, oder wollen Sie das Penthouse durch die Haupttür verlassen?«
Lotze ging in Richtung Tür. »Kümmern Sie sich nicht um mich, Vorsitzender.«
»Ich kümmere mich um alles… Aber Sie erfordern weniger Aufmerksamkeit als die meisten anderen Dinge.«
Lotze streckte die Hand nach den Kontrollen neben der Tür aus. »Das nehme ich als Kompliment, Vorsitzender.«
»Nehmen Sie es auch als Abschiedsgruß – bis auf weiteres.«
Am nächsten Tag traf ein ungewöhnliches Paket im Hauptquartier der Hanse ein, bestimmt für den Vorsitzenden. Absender war die Sprecherin der Roamer-Clans.
»Wenigstens brechen sie ihr Schweigen. Mal sehen, was es hiermit auf sich hat.« Basil Wenzeslas ging zum nächsten Ausgang, und der Nachrichten-Kompi versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Er hatte die Anweisung erteilt, drei weitere Klikiss-Fackeln einzusetzen – vielleicht war dabei unabsichtlich ein Gasriese ausgewählt worden, in dessen Atmosphäre es eine geheime Himmelsmine der Roamer gab.
Auf dem Hof vor dem östlichen Zugang des Stufenturms der Hanse standen Techniker mit Scannern. Eldred Cain und Sarein warteten zusammen mit dem blonden Sonderbeauftragten Franz Pellidor auf Basil.
Pellidor ging um den Behälter herum und hielt nach Sprengvorrichtungen Ausschau. »Wir haben das Objekt gründlich sondiert, Vorsitzender, ohne Sprengstoff oder Waffensignaturen zu entdecken. Die Suche nach biologischem oder organischem Material blieb ebenfalls ohne Ergebnis – nur die Verpackung enthält einige Spuren. Es scheint eine Art Apparat zu sein.«
»Vielleicht ein Geschenk«, sagte Sarein. »Was könnten die Roamer uns schicken? Ein Friedensangebot?«
»Unwahrscheinlich«, kommentierte Cain.
Es reichte Basil. »Ich möchte dem Spiel, das die Roamer treiben, auf den Grund gehen. Wahrscheinlich ist dies alles nur ein Vorwand, um erneut die Ekti-Preise zu erhöhen.« Er winkte Pellidor zu. »Öffnen Sie es.«
Der Sonderbeauftragte trat an den Behälter heran. Basil verzog ein wenig das Gesicht, als er sich an den Gesandten der Hydroger erinnerte, der seine Ambientalzelle im Innern des Flüsterpalastes zur Explosion gebracht hatte. Andererseits: Die Roamer unternahmen keine aggressiven Aktionen.
Der Behälter klappte auf, und ein altmodisches Gerät kam zum Vorschein. »Das ist ein holographischer Projektor«, sagte Pellidor.
Der Apparat summte und lief warm. Basil bedauerte plötzlich, die anderen Personen nicht fortgeschickt zu haben – dafür war es jetzt zu spät. Sarein kam näher, zu nahe, und begann mit Spekulationen darüber, was die Roamer vielleicht wollten. Basil unterbrach sie und konzentrierte sich auf die Prioritäten. »Still. Ich möchte wissen, was uns die Sprecherin mitzuteilen hat.«
Ein Bild von Cesca Peroni erschien in der Luft, nicht größer als eine Puppe. Ihr Blick galt einer Stelle zwischen Pellidor und den Technikern. Basil trat ein paar Schritte zur Seite, um der Sprecherin direkt ins Gesicht zu sehen.
»Vorsitzender Wenzeslas, ich spreche für alle Roamer-Clans. Bei einer Versammlung haben wir einstimmig entschieden, wie wir uns angesichts der Piraterie der Hanse verhalten sollen. Die Terranische Hanse wird keine Lieferungen von Roamer-Händlern mehr erhalten. Weder Ekti noch sonst irgendetwas.«
Basil biss die Zähne zusammen, und seine Stimme übertönte das ungläubige Murmeln im Hintergrund. »Piraterie? Wovon redet sie da, zum Teufel?«
Sprecherin Peroni fuhr ruhig fort: »Die Angehörigen unserer Clans haben ihr Leben riskiert, um Sie mit Treibstoff für den Sternenantrieb zu versorgen, und der Lohn dafür besteht aus Verrat. Seit langem haben wir militärische Schiffe der Hanse im Verdacht, unsere unbewaffneten Frachter zu überfallen. Jetzt liegen uns klare Beweise für die TVF-Angriffe vor. Die Trümmer eines von militärischen Jazern zerstörten Roamer-Schiffes befinden sich in unserem Besitz. Sie haben unsere Fracht gestohlen und versucht, Ihre Spuren zu verwischen, aber jetzt wissen wir Bescheid.«
Basil presste die Lippen so fest zusammen, dass sie weiß wurden. Die Sprecherin der Roamer erschien ihm selbstbewusst und beherrscht. »Unsere Handelsbeziehungen sind unterbrochen, bis die Hanse die Schuldigen öffentlich vor Gericht stellt und auf weitere scheußliche Verbrechen dieser Art verzichtet.« Das Hologramm verschwand.
Das Herz klopfte Basil bis zum Hals empor, und am liebsten hätte er jemanden erwürgt. »Was hat das zu bedeuten?« Er wusste, wie bereitwillig General Lanyan so etwas gerechtfertigt hätte, unter vier Augen. Was für eine Schweinerei!
Sarein beugte sich zu Basil, berührte ihn aber nicht. Sie erkannte klugerweise, dass er kurz vor einer Explosion stand. »Jene Frau ist ein arroganter, selbstgerechter… Feigling. Sie gab dir keine Möglichkeit, zu antworten oder zu verhandeln.« Sarein versuchte, ihn zu unterstützen und seinen Zorn zu teilen, aber er brauchte ihre Hilfe nicht.
»Es wird keine Verhandlungen geben«, sagte Basil. Erneut ärgerte er sich über den Fehlschlag des Mordplans, bei dem eine Roamer-Händlerin als Sündenbock vorgesehen gewesen war. Das hätte die Hanse in eine wesentlich stärkere Position gebracht.
Eldred Cain blieb kühl und nachdenklich. »Die erste Frage, Vorsitzender: Ist an dem Vorwurf etwas dran?«
Basil sah zu den verblüfften Technikern und wandte sich an seinen Sonderbeauftragten, ohne Cains Frage zu beantworten. »Mr. Pellidor, notieren Sie Namen und ID-Nummern der Techniker. Ich möchte, dass nichts von der Nachricht bekannt wird, bis die Hanse über angemessene Maßnahmen entschieden hat.«
»Wir können nicht zulassen, dass Sprecherin Peroni ihre schlechte Laune an uns auslässt«, sagte Sarein.
Als Pellidor zu den vier eingeschüchterten Technikern trat, wandte sich der blasse stellvertretende Vorsitzende der Hanse an Basil. »Wir können dies nicht auf Dauer geheim halten«, sagte er leise. »Die fehlenden Ekti-Lieferungen sind bereits aufgefallen…«
Basil nickte. »Deshalb müssen wir die Roamer als unzuverlässig darstellen, Mr. Cain. Die Clans haben uns bei dieser Krise nie große Unterstützung gewährt, obwohl sie die ganze Menschheit betrifft. Nur zu, beweisen Sie Ihre Fähigkeiten in Hinsicht auf Propaganda und die Medien. Es sollte nicht schwer sein, ein egoistisches Bild von den Roamern zu zeichnen. Seit Beginn des Hydroger-Krieges verlangen sie zu hohe Ekti-Preise von uns.«
»Kriegsgewinnler!«, stieß Sarein hervor.
»Es ist nicht nötig, dass Sie sich für mich empören, Botschafterin«, sagte Basil in einem normalen Tonfall. »Meine eigene Empörung genügt völlig.«
Betroffenheit huschte durch das Gesicht der Theronin, und daraufhin sprach Basil sanfter – er wusste, dass Sarein oft mit Plänen an ihn herantrat, die sich als sehr nützlich erwiesen. »In der Zwischenzeit stecken wir beide die Köpfe zusammen und lassen uns eine wirkungsvolle Strategie einfallen. Wir haben die von den Roamern selbst proklamierte Unabhängigkeit zu lange ignoriert. Es muss eine politische Möglichkeit für die Hanse geben, die Roamer und ihre Aktiva aufzunehmen, sie in den Schoß der menschlichen Familie zurückzuholen. Sie dürfen kein unberechenbarer Risikofaktor sein, weder jetzt noch irgendwann in der Zukunft.«
Sarein lächelte dünn. »Sie werden es sehr bereuen, uns auf diese Weise herausgefordert zu haben.«