93 DAVLIN LOTZE

Als Davlins Schiff den Rand des Relleker-Systems erreichte, enthielt der Ekti-Tank nur noch einige wenige Tropfen Treibstoff, doch der Sender rief nach wie vor um Hilfe. Rellekers Sonne strahlte, und die Planeten waren helle Punkte, alle viel zu weit entfernt. Stundenlang stellte Davlin Berechnungen an, zog verschiedene verzweifelte Möglichkeiten in Erwägung und verwarf sie wieder.

Schließlich zündete er ein letztes Mal das Triebwerk, um seinem Schiff ein neues Bewegungsmoment zu geben und etwas näher an einen der Planeten heranzukommen.

Nach einem Tag, als er schon die Hoffnung zu verlieren begann, dass man ihn rechtzeitig entdeckte, fand ihn ein Scoutschiff, das nach Hydrogern Ausschau hielt. Die Verteidigungsscouts von Relleker gehörten nicht zur TVF, und ihre Besatzungsmitglieder schienen eher schlecht ausgebildet zu sein, aber wenigstens befand sich eins der Schiffe zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Als man Davlin an Bord geholt hatte, zeigte er sofort die Empfehlungsschreiben des Vorsitzenden Wenzeslas und verwies auf seinen TVF-Rang. Als die Scouts skeptisch blieben, nutzte er bei den Silbermützen erlernte Methoden, um das kleine Schiff zu übernehmen und damit so schnell wie möglich nach Relleker zu fliegen.

Die Kolonisten von Crenna drohten zu erfrieren. Und sie verließen sich auf ihn.

Die Bewohner von Relleker waren auf die Sparmaßnahmen ebenso wenig vorbereitet gewesen wie die der meisten Kolonien. Dies war eine Welt voller Luxus gewesen, auf der reiche Bürger der Hanse einen angenehmen Urlaub verbracht hatten. Die Bürger von Relleker waren alles andere als autark und hatten den größten Teil ihrer Ekti-Vorräte verwendet, um für ihr Überleben dringend benötigte Materialien zu importieren.

Als Davlin sein Anliegen an die Gouverneurin von Relleker herantrug, eine wohlgenährte Frau namens Jane Pekar, wies sie darauf hin, dass nicht genügend Ressourcen zur Verfügung standen, um den Crenna-Kolonisten zu helfen. Sie zuckte mit den Schultern. »So Leid es mir auch tut, Mr. Lotze, wir können Ihnen nicht helfen.«

»Sie scheinen sich nicht sehr zu bemühen, nach einer Lösung des Problems zu suchen.« Davlin blieb im Büro der Gouverneurin stehen, obwohl sie ihn abgewiesen hatte. Es gab keine Möglichkeit für ihn, Relleker zu zwingen, etwas zu unternehmen, um den Siedlern auf Crenna zu helfen. Entgegen allen Erwartungen hatte er es bis hierher geschafft, und jetzt sah er sich plötzlich neuen Hindernissen gegenüber, und die Zeit genügte nicht, sie alle zu überwinden. Davlin ärgerte sich über die eigene Hilflosigkeit. War er so weit gekommen, nur um hier zu versagen und Crennas Kolonisten zu enttäuschen?

Die Gouverneurin seufzte. »In ein oder zwei Tagen treffen zwei Versorgungsschiffe ein«, sagte sie. »Eine Frau namens Kett… mit der Unersättlichen Soundso. Vielleicht kann sie Ihnen helfen.«

Nun lächelte Davlin.

Als Rlinda Kett und Branson Roberts mit ihren beiden Schiffen landeten, eilte Davlin sofort zu ihnen. »Sie haben gesagt, ich sollte mich mit Ihnen in Verbindung setzen, wenn ich jemals Hilfe brauche.« Er fand es sehr beunruhigend, auf jemanden angewiesen zu sein. »Jetzt brauche ich welche.«

Rlinda grinste breit, als er die Situation erklärte. »Ha! Ich freue mich, Ihnen helfen zu können. Sie haben mich doch nicht für einen jener Regierungstypen gehalten, die ein gegebenes Versprechen zurücknehmen, oder?«

Sie und Roberts leerten die Frachträume ihrer Schiffe, luden auch die Container aus, die für andere Kolonien bestimmt waren. »Ich setze es einfach auf Rellekers Rechnung. Hundertdreißig Personen, sagten Sie? Sind sie wenigstens dünner als ich?« Dabei klopfte sie sich auf die breiten Hüften.

»Das versichere ich Ihnen.«

»Na schön. Machen wir uns auf den Weg.«

Die Unersättliche Neugier und die Blinder Glaube erreichten das dunkle Crenna-System. Davlin saß neben Rlinda Kett im Cockpit und war viel aufgeregter als zu jenem Zeitpunkt, als sie ihn auf Crenna abgesetzt hatte. Seine Anspannung wuchs, während sie sich dem Ziel näherten.

Die Blinder Glaube meldete sich. »Wir sind hier, aber jemand hat die Sonne ausgeschaltet. Sieht gar nicht mehr nach einem Planetensystem aus.«

»Pass bloß auf, dass du nicht geradewegs in die Sonne hineinfliegst, BeBob. Manchmal schenkst du der Navigation nicht genug Beachtung.«

»Das nehme ich dir übel, Rlinda.«

»Aber ich höre keinen Widerspruch.«

Rlinda Kett korrigierte den Kurs und beugte sich zum Cockpitfenster vor. Infrarote Filter erlaubten es, verblassende Farben zu erkennen, die letzte Wärme, die der Planet ans All verlor. Ohne das nukleare Feuer der Sonne war das ganze Crenna-System nicht mehr als eine abkühlende Leiche. Die Atmosphäre des Planeten war bereits gefroren. Eine dicke Schicht aus Eis und Kohlendioxidschnee bedeckte den Boden. Seen und Bäche existierten nicht mehr; das gesamte Leben auf der Oberfläche war ausgelöscht.

Davlin schüttelte den Kopf. »Ich hoffe, die Menschen haben in den Höhlen überlebt.«

»Wann hat diese Eiszeit begonnen?«, fragte Roberts per Funk.

»Vor weniger als zwei Wochen. Es gibt noch Wärme im Innern des Planeten, und die Sonne ist nicht völlig kalt. Crenna empfängt etwa ein Prozent der vorherigen Strahlung.«

»Zum Glück haben wir unsere Schaufeln mitgebracht«, sagte Rlinda. »Zeigen Sie mir den Weg, Davlin.«

Bevor er aufgebrochen war, hatte Lotze einen batteriebetriebenen Peilsender unweit der Luke über dem nach unten führenden Schacht zurückgelassen. Bürgermeister Ruis wusste davon nichts – Davlin hatte ihn nicht darauf hinweisen wollen, wie schlimm es bald an der Oberfläche sein würde. Er schaltete den Empfänger ein, und es dauerte nicht lange, bis er das Signal fand, das viel schwächer war als erwartet. Kummervoll stellte er fest, dass sich auch der Peilsender unter einer dicken Schicht aus Schnee und Eis befand.

»Ich übermittle Ihnen die Navigationsdaten.«

Kleine Flocken aus gefrorenem Kohlendioxid umgaben die beiden Schiffe, als sie durch den dünnen Rest der Atmosphäre sanken. Davlin bediente die Kommunikationskontrollen. »Crenna-Kolonie, hier spricht Davlin Lotze.« Er wartete, hörte aber nur statisches Rauschen. »Bürgermeister Ruis, hören Sie mich? Ich habe Hilfe mitgebracht.« Er versuchte mehrmals, einen Kontakt herzustellen, ohne Erfolg.

Rlinda sah auf die Instrumente und schüttelte den Kopf. »Kein Grund, die Hoffnung zu verlieren, Davlin. Die dicke Eisschicht auf dem Boden absorbiert einen großen Teil der Signalenergie.«

Als die beiden Schiffe die Zielposition erreichten, blickte Davlin auf die gefrorene Atmosphäre hinab. Eis und Schnee hatten den Hangar und die Gebäude der Stadt unter sich begraben.

»Sollen wir etwas Salz streuen?«, scherzte Roberts.

»Wenn es sich wirklich nur um gefrorene Atmosphärengase handelt, so hat das Eis dort unten einen sehr niedrigen Verdampfungspunkt«, sagte Rlinda. »Wir können es mit der Abwärme unserer Triebwerke schmelzen. Besonders elegant ist das nicht, aber hier kommt es in erster Linie auf das Ergebnis an.« Sie ließ die Neugier noch etwas tiefer sinken, und die heißen Triebwerksgase sorgten dafür, dass im Bereich der geschlossenen Luke Dampfgeysire entstanden. Im Verlauf einer halben Stunde gelang es ihr, ein großes Stück des Bodens freizulegen. Dann zog sie sich zurück und überließ es der Glaube, noch mehr Atmosphäreneis zu beseitigen.

Auf diese Weise entstand ein großer Krater im Eispanzer, der die Luke bedeckt hatte.

»Jetzt zum nächsten Problem«, sagte Davlin. »Wir hatten es so eilig, Höhlen für die Kolonisten von Crenna zu graben und einen sicheren Unterschlupf für sie zu schaffen, dass wir den Zugangsschacht nur mit einer Luke sicherten. Es gibt keine Luftschleuse.«

»Können die Kolonisten lange genug überleben, um unsere Schiffe zu erreichen?«, fragte Rlinda.

Davlin schüttelte den Kopf. »Es gibt keine Luft. Die Atmosphäre ist gefroren.«

»Nun, dann wird’s interessant«, kommentierte Rlinda.

»Es gibt keine Röhre, um eins der Schiffe mit der Luke zu verbinden«, sagte BeBob.

»Wie viele Schutzanzüge haben wir?«, fragte Davlin.

»Ich habe drei, und BeBob hat ebenfalls drei an Bord der Blinder Glaube.«

»Vier«, korrigierte Branson.

»Na schön.« Davlin klopfte mit den Fingern auf die Instrumententafel. »Sie haben eine für den Notfall bestimmte Druckkuppel, nicht wahr?«

Rlinda nickte. »In der Unfallausrüstung, ja. Aber sie bietet nur zwei Personen Platz.«

»Wir bauen die Druckkuppel über der Luke auf, mit den Schutzanzügen im Innern – auf diese Weise bekommen wir eine Luftschleuse. Dann öffnen wir die Luke, und zwei Kolonisten können die Höhlen verlassen und Schutzanzüge anziehen. Jeweils sechs oder sieben gehen dann an Bord der Schiffe.«

»Hundertdreißig Personen?«, fragte Roberts skeptisch. »Die Evakuierung dauert Tage, wenn nur immer zwei die Höhlen verlassen können.«

»Dann dauert es eben Tage.« Davlin warf Rlinda ein für ihn untypisches Lächeln zu. »Aber es wird funktionieren.«

Sie streiften Schutzanzüge über und gingen nach draußen. Um sie herum ragten die steilen Eiswände des Kraters auf, den sie mithilfe der Triebwerke geschaffen hatten. Sie holten die für den Notfall bestimmte Druckkuppel hervor, die dafür bestimmt war, zwei Personen das Überleben unter extremen ambientalen Bedingungen zu ermöglichen, und errichteten sie über der freigelegten Luke des Zugangsschachtes.

Davlin nahm ein schweres Werkzeug, klopfte damit auf die Luke und hoffte, dass die Kolonisten das Pochen hörten. Schon nach kurzer Zeit fühlte er eine starke Vibration – auf der anderen Seite wurde ebenfalls geklopft. »Jemand hat überlebt.«

Der noch immer in einen Schutzanzug gekleidete Branson Roberts kam durch die Sphinktertür und brachte die drei zusätzlichen Anzüge von der Neugier. Davlin und er holten vier weitere aus der Blinder Glaube, während Rlinda Heizgeräte in der Druckkuppel in Betrieb nahm.

»Dies ist ein langweiliges und nicht sehr dramatisches Ende unserer Rettungsmission«, meinte Roberts.

»Menschen nacheinander zu retten, ist für mich aufregend genug.« Rlinda gab Davlin einen freundschaftlichen Knuff an die Schulter. »Für einen Spion zeigen Sie erstaunlich viel Mitgefühl, Mr. Lotze.«

Davlin antwortete nicht und hantierte an den Kontrollen der Luke. Als es ihm schließlich gelang, sie zu öffnen, kletterten mehrere Kolonisten nach oben, unter ihnen der freudig lächelnde Bürgermeister Ruis. Er umarmte Davlin. Die Umarmung war Davlin ein wenig peinlich, aber er lächelte ebenfalls.