20 KÖNIG PETER

Es war gut, nach so vielen Tragödien einen echten Grund fürs Feiern zu haben. Auf einem hohen Balkon stand König Peter neben seiner Königin und sah, wie die Abenddämmerung Schatten auf dem Festplatz schuf. Obwohl sie in der Öffentlichkeit waren, und teilweise deswegen, wechselten sie rasche, mitteilsame Blicke und berührten sich nur kurz – sie fühlten sich wohl angesichts der Nähe des anderen.

Jubel hieß das königliche Paar willkommen, und Peters Gesicht zeigte das erste aufrichtige Lächeln seit langer Zeit. Estarra und er fassten sich an den Händen und hoben sie gemeinsam, um das Volk zu grüßen.

Musik ertönte auf dem großen Platz. Straßensänger und Musikanten tanzten umher und zeigten ihre Freude. Feiernde ließen phosphoreszierende Ballons los, die aufstiegen, platzten und Wolken aus schimmernden Funken freisetzten. Boote glitten durch den Königlichen Kanal, und Touristenzeppeline schwebten am Himmel.

Der Erzvater der offiziellen Religion Unisono stand wie ein freundlicher alter Heiliger unten auf dem Platz, gekleidet in weite bunte Umhänge. Er sprach Ritualgebete und ließ Gläubige Dankgesänge anstimmen. Der junge Prinz Daniel, Peters angeblicher Bruder, war »aus Sicherheitsgründen« nicht zugegen, und der König freute sich darüber, dass keine unausgesprochene Drohung, ihn zu ersetzen, ihm den Abend verdarb. Der Vorsitzende Wenzeslas glaubte, er hätte den König eingeschüchtert und ihn dazu gebracht, sich mit seiner untergeordneten Rolle abzufinden. In Wirklichkeit versuchte Peter, Zeit zu gewinnen, und er blieb die ganze Zeit über wachsam.

»Ich habe fast vergessen, wie es sich anfühlt, Estarra. Es war notwendig, die Hydroger daran zu erinnern, dass wir nicht hilflos sind, dass wir uns nicht einfach von ihnen niedermetzeln lassen.«

Sie umarmte ihn kurz. »Das dürfte ihnen jetzt klar geworden sein.«

Peter strich ihr über die Schulter und fand großen Gefallen daran, ihre weiche Haut zu berühren. Dass ihm viel an Estarra lag, gab der Hanse ein hervorragendes Druckmittel an die Hand. Das wusste Peter ebenso gut wie Basil.

Der Vorsitzende trat von hinten an sie heran, so leise wie sich ansammelnder Staub. »Die Transporter haben mit dem Anflug begonnen. In zehn Minuten sollten sie am Himmel sichtbar sein. Es wird also Zeit für Sie, zum Volk zu sprechen.«

»Sie und Ihre Zeitpläne, Basil«, sagte Peter und lächelte schief. »Sind Sie nervös, weil Sie diesmal selbst eine kleine Rede halten wollen?« Zwar trat der Vorsitzende nur selten in der Öffentlichkeit auf, aber er hatte beschlossen, sich bei dieser besonderen Gelegenheit selbst ans Volk zu wenden. Vielleicht ging es ihm darum, sich in den optimistischen Neuigkeiten zu sonnen. Spielte so etwas wie Stolz eine Rolle?

»Nervös? Nein.«

Eine laute Fanfare sorgte dafür, dass das Murmeln der Menge Stille wich. Das Licht der Scheinwerfer richtete sich auf den Balkon und blendete ihn so sehr, dass er die herabkommenden Raumschiffe nicht sah – aber er wusste, wo sie sich befinden sollten. »Seht nur!«, rief Peter und deutete nach oben. »Das beweist: Unsere Feinde können vernichtet werden!«

Sechs TVF-Transporter sanken aus dem Orbit herab. Unter ihnen baumelten riesige kristallene Wrackteile an Traktorstrahlen. Zwei Schiffe beförderten gemeinsam das größte Fragment des auf Theroc zerstörten Kugelschiffs, während die anderen Transporter jeweils ein Teil zum Königlichen Platz trugen.

Estarra drückte Peters Hand, voller grimmiger Zufriedenheit darüber, Trümmer des Schiffes zu sehen, das ihre Schwester Celli gefunden hatte. Neben seiner Frau zu stehen… Allein dadurch fühlte sich Peter stärker und fähig, der Menschheit dabei zu helfen, diese Krise zu überwinden.

General Lanyan hatte die Wrackteile zur TVF-Basis auf dem Mars bringen wollen, damit sie dort gründlich untersucht wurden, doch Basil Wenzeslas hatte sich dagegen ausgesprochen. »Sie können sich die Trümmer später vornehmen, General. Es gibt hierbei Dinge zu berücksichtigen, die über die militärische Notwendigkeit hinausgehen. Ich möchte die Wrackteile der Öffentlichkeit zeigen, anstatt sie in einem militärischen Forschungslabor verschwinden zu lassen.«

Lanyan hatte sich über den Widerspruch des Vorsitzenden geärgert und auf militärischer Sicherheit bestanden. »Sicherheit?«, hatte Peter erwidert. »Wenn Ihre Wissenschaftler einen schwachen Punkt bei den Schiffen der Hydroger finden – vor wem sollten wir ihn geheim halten?«

Vom Balkon aus beobachteten Peter und Estarra, wie die Transporter die Wrackteile des Kugelschiffes auf dem Platz absetzten – wie ein Ritter, der seinem König den abgeschlagenen Kopf des Drachen präsentierte. Als das erste große Trümmerstück mit einem dumpfen Pochen auf den Steinplatten aufsetzte, wichen das Publikum und selbst die königlichen Wächter voller Ehrfurcht zurück.

Der nächste Teil von König Peters Rede war voller warmer Zuversicht. »Unsere Wissenschaftler werden die Komponenten des Kugelschiffs untersuchen und nach schwachen Stellen suchen, die wir beim Kampf gegen die Hydroger ausnutzen können.«

Unten auf dem Platz war der hoch gewachsene und blonde technische Spezialist Swendsen der Erste, der an das Wrackteil herantrat und es berührte. Als er zum Flüsterpalast aufblickte, sah Peter, dass der Mann lächelte. Ohrenbetäubender Jubel erklang.

Basil klopfte auf sein Chronometer. »Zeit für Sie beide, zur Brücke zu gehen«, sagte er leise. »Seien Sie pünktlich.«

König und Königin verließen den Flüsterpalast und betraten den Platz. Wenn sie nebeneinander gingen, in die Präsenz des jeweils anderen vertieft, konnten sie den Pomp, die Wächter und das Publikum fast vergessen. Die königlichen Wächter nahmen Haltung an. Hofmusiker, die genau auf diesen Augenblick gewartet hatten, ließen eine neue Fanfare erklingen.

Weiter vorn glänzte das metallene Maschenwerk der Brücke über dem Königlichen Kanal im reflektierten Licht. Die Hauptpfeiler waren dunkel, obgleich auf anderen Brückentürmen und allen Kuppeln des Flüsterpalastes Fackeln brannten – jede von ihnen symbolisierte eine Welt, die die Charta der Hanse unterzeichnet hatte.

Vor acht Jahren war der alte König Frederick gezwungen gewesen, vier neu entzündete Fackeln zu löschen, nachdem die Hydroger vier für Terraforming und Kolonisation vorgesehene Monde vernichtet hatten. Zwar war Ptoro zu einer neuen Sonne geworden, die sich gewiss nicht für die Besiedlung durch Menschen eignete, aber die Hanse wollte trotzdem Anspruch darauf erheben, als moralischen Sieg. Auch wenn sich Menschen dort nicht niederlassen konnten – wenigstens waren die Hydroger vertrieben.

Estarras ältere Schwester Sarein, die offizielle theronische Botschafterin auf der Erde, stand bei den Repräsentanten und wichtigen Gästen. Die Königin lächelte und nickte ihr kurz zu.

Pyrotechnische Experten der Hanse beobachteten das Geschehen auf Monitoren im Flüsterpalast. Es war eine spektakuläre Show. Peter stand vor dem hohen Pfeiler, wie ein Priester, der Feuer vom Himmel herabbeschwor. »Bei Ptoro haben wir den Hydrogern das Verderben gebracht, das sie so oft zu unseren Kolonien trugen.« Die Menge jubelte. »Im Namen der Terranischen Hanse symbolisiert diese Fackel das von uns Erreichte. Soll sie auch als ewige Flamme an die Soldaten und Zivilisten erinnern, die in einem achtjährigen Krieg, den wir nicht wollten, ihr Leben verloren.«

Peter vollführte eine dramatische Geste, und die pyrotechnischen Experten zündeten die große Fackel auf dem Brückenpfeiler, die heller brannte als alle anderen. Die Treibstoffventile wurden ein wenig weiter geöffnet, und alle Flammen auf den Türmen und Kuppeln des Flüsterpalastes schwollen an, wie genährt vom Licht des Sieges.

Die Menge schnappte nach Luft und applaudierte dann. Sarein wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit ihrer Schwester, als sich beide an den auf Theroc angerichteten Schaden erinnerten. Spontane Musik wehte gen Himmel.

Peter legte den Arm um seine Königin. Sie fühlte sich so warm und real neben ihm an. Freude zeigte sich auf seinem Gesicht. »Ich bin froh, endlich einmal etwas Positives zu tun«, flüsterte er Estarra zu.

Er genoss das Gefühl einige Sekunden lang, kündigte dann Basil Wenzeslas an und trat beiseite. Applaus erklang. Das Lächeln des Vorsitzenden wirkte fast echt, als er neben Peter stand. Die meisten Leute glaubten den falschen Berichten, wonach die beiden Männer gute Freunde waren.

Basil wartete, bis er die volle Aufmerksamkeit des Publikums hatte. »Die Hanse bietet Ihnen mit unserer neuen Kolonisierungsinitiative eine gute Gelegenheit«, sagte er dann. »Die Klikiss-Technik hat uns eine mächtige Waffe im Kampf gegen die Hydroger gegeben, wie Ptoro zeigt. Das Transportsystem der Klikiss ermöglicht uns, viele unberührte Welten zu besiedeln. Es ist ein neuer Anfang für uns, für die Hanse ebenso wie für Sie. Denken Sie über die Chance nach.«

Basil brauchte keine Details zu nennen. Seit der Entdeckung der funktionsfähigen Klikiss-Transportale war in den Nachrichten oft über die Kolonisierungsinitiative berichtet worden. Doch es geschah jetzt zum ersten Mal, dass man sie offiziell der Öffentlichkeit präsentierte.

»Ich bin stolz darauf, Ihnen im Namen der Terranischen Hanse ein bemerkenswertes Angebot zu unterbreiten. Sind Sie tapfer und ehrgeizig genug, die gute Gelegenheit zu nutzen? Sind Sie bereit für den Versuch, eine leere Klikiss-Welt zu kolonisieren? Ihre Sachen zu packen und mit Ihrer Familie aufzubrechen, um auf einem jungfräulichen Planeten ein neues Leben zu beginnen? Denken Sie an die Herausforderung! Seien Sie Pioniere! Wenn Sie sich der Herausforderung stellen, bietet Ihnen die Hanse Land, gewisse Dienstleistungen und Vorräte, sogar den Erlass bestimmter Schulden.«

Basil klang so, als spräche er vor einem Aufsichtsrat und als ginge es darum, eine Präsentation zu erläutern. Peter erinnerte sich an all die Motivierungskünste, die der Vorsitzende ihn gelehrt hatte, und er fragte sich plötzlich, ob Basil sein rhetorisches Geschick absichtlich nicht voll ausspielte, um den König nicht in den Hintergrund zu drängen.

Fachleute der Hanse, Wirtschaftsanalytiker und soziologische Simulatoren hatten diesen Plan als eine Methode entwickelt, der Hanse frisches Kapital zu geben und beim Volk eine neue Aufbruchstimmung zu wecken. Andernfalls hätten der Hanse durch die begrenzte interstellare Raumfahrt Stagnation und ein langsamer Tod gedroht.

Basil lächelte und fuhr fort: »Die Hydroger drücken uns vielleicht in eine Richtung, aber wir wachsen in eine andere. Sind Sie bereit, dieses Angebot anzunehmen? Können Sie es sich leisten, es nicht zu beachten? Weitere Details erfahren Sie in den lokalen Informationszentren.«

Während der erwartete Applaus erklang, warf Peter dem Vorsitzenden einen sarkastischen Blick zu. »Wenn Sie am Rampenlicht derart Gefallen finden, Basil«, sagte er, zu leise für die Verstärker, »werde ich bald nicht mehr gebraucht.«

Das falsche Lächeln blieb auf den Lippen des Vorsitzenden, als er antwortete: »Geben Sie mir keinen Grund, auf Sie zu verzichten – dann ist alles in bester Ordnung.«