27 CESCA PERONI

Wenn sich herumsprach, dass die TVF Raven Kamarows Schiff angegriffen und zerstört hatte, würden die Roamer zu den Waffen greifen, und dann versuchten die Clans vielleicht, jeder auf seine Art Vergeltung zu üben – wie Jess, als er Golgen mit Kometen bombardiert hatte. Bevor es dazu kam, organisierte Cesca ein privates Treffen mit den Oberhäuptern der wichtigsten Clans. Sie rief jene zu sich, die zu diesem Zeitpunkt in Rendezvous weilten.

Wie üblich vertraten die Roamer-Familien verschiedene Meinungen. Die alte Sprecherin Okiah sagte oft: Die Clans dazu zu bringen, sich auf etwas zu einigen, sei fast so schwer wie die Einrichtung eines Außenpostens auf einem besonders unwirtlichen Planeten.

Cesca würde Bericht erstatten und den Clan-Oberhäuptern dann Gelegenheit geben, ihre Ansicht zu äußern, aber sie fürchtete eine heftige Reaktion. Was angesichts der Umstände durchaus verständlich war. Soldaten der TVF waren wie Verbrecher in der Nacht über Ekti-Schiffe der Roamer hergefallen.

Welche Entscheidung auch immer die Clans trafen: Sie würde langfristige Konsequenzen nach sich ziehen.

Die Versammlung fand in einer Höhle des zentralen Rendezvous-Asteroiden statt. Cesca saß am Kopfende des Tisches und musterte die Männer und Frauen, die nicht wussten, warum sie so kurzfristig hierher bestellt worden waren. »Ich fürchte, ich habe erneut schlechte Nachrichten.«

Der alte Alfred Hosaki stützte das knochige Kinn auf die Hände und stöhnte übertrieben. »Ich sollte aufhören, an solchen Treffen teilzunehmen.« Die anderen lachten leise und warteten gespannt auf das, was Cesca ihnen mitzuteilen hatte.

Es wurde laut in den schmalen Korridoren vor dem Versammlungsraum: Nikko Chan Tylar und drei kräftige Roamer-Männer trugen Wrackteile, Rumpffragmente und Triebwerksspulen herein. Geschwärzte Stellen und Schmelzspuren wiesen darauf hin, was geschehen war. Nikko und seine Begleiter legten die Teile hinten im Raum auf den Boden.

»Das sind die Reste von Raven Kamarows Schiff«, sagte Cesca.

Alle Clan-Oberhäupter erinnerten sich an den bärtigen, sympathischen Captain, der Ekti-Ladungen zu verschiedenen Depots gebracht hatte. Cesca erklärte, wie Nikko die Wrackteile auf Kamarows Route gefunden hatte. Nikko lächelte, als rechnete er mit Belohnung für seinen Fund, aber Cesca sagte: »Wir sprechen uns später.« Dann schickte sie ihn und seine Helfer fort. Überraschung und Zorn ließen seinen am Tisch sitzenden Vater Crim erblassen.

»Alle von uns durchgeführten Untersuchungen und Analysen haben ergeben, dass die TVF dahinter steckt«, fuhr Cesca fort. »Jazer-Strahlen haben Kamarows Schiff zerstört. Die Große Gans ist verzweifelt genug, unsere Schiffe zu überfallen und Roamer umzubringen.«

Sie gab den Versammelten Gelegenheit, über das gerade Gehörte nachzudenken.

»Arrogante Mistkerle!«, entfuhr es dem dickbäuchigen Roberto Clarin. Er verwaltete das Hurricane-Depot, zu dem Kamarow unterwegs gewesen war.

»Vielleicht ist es die Tat eines einzelnen Hitzkopfs«, sagte Ana Pasternak. »Wir wissen nicht, ob es sich um eine neue Politik der Großen Gans handelt.«

»Glauben Sie etwa, sie wäre nicht dazu fähig?«, fragte Crim Tylar. »Wir können dies nicht einfach hinnehmen!«

»Die Hanse ist für das verantwortlich, was ihr Militär anstellt.« Clarins pausbäckiges Gesicht war fast violett. »Irgendjemand weiß, was mit Ravens Schiff passiert ist, und niemand hat es für nötig gehalten, uns zu informieren.«

»Glauben Sie, man hat Raven gefangen genommen?«, fragte Alfred Hosaki. »Halten Sie es für möglich, dass er sich in einer der grässlichen Strafkolonien befindet?«

»Ach, warum sollte man ihn dort untergebracht haben?«, entgegnete der immer vorsichtige Fred Maylor.

»Um ihn zu verhören und mehr über uns herauszufinden. Verdammt, er war mein Freund!«

»Er ist tot!«

Eine Zeit lang ließ Cesca den Kommentaren und Verwünschungen ihren Lauf, ohne ordnend einzugreifen. Schließlich hob sie die Stimme. »Es wird Zeit, nach unseren Leitsternen zu sehen. Die wichtigste Frage lautet: Was unternehmen wir?«

»Ich bin dafür, der Großen Gans kein Ekti mehr zu verkaufen!«, donnerte Clarin. »Aus meinem Depot bekommen die verdammten Piratenschiffe keinen Treibstoff mehr, das steht fest. Wir haben selbst kaum genug Ekti. Ich schlage vor, dass wir aufhören, mit Dieben und Mördern Geschäfte zu machen.«

Die Roamer riefen und diskutierten – die meisten von ihnen stimmten Clarin zu. Doch Cesca gemahnte zur Vorsicht. »Sie sollten daran denken, dass die Clans auf den Handel mit der Großen Gans angewiesen sind. Die Hälfte unserer Hightech und Industriematerialien stammt von ihr.«

»Ganz zu schweigen vom Einkommen«, fügte Pasternak hinzu. »Die Hanse ist unser bester Ekti-Kunde. Sie beschwert sich über die hohen Preise, die wir verlangen, aber sie bezahlt immer.«

Fred Maylor deutete ruhig auf das Offensichtliche hin. »Wenn sie nicht gerade unsere Schiffe angreift und Ekti stiehlt.«

Crim Tylar schnitt eine finstere Miene. »Mehr als zehn unserer Schiffe sind seit Beginn des Hydroger-Kriegs verschwunden. Wer glaubt, dass Raven der Erste oder der Einzige ist, den die Tiwis überfielen?«

Cesca blieb gefasst, obgleich sie wusste, dass auch Jess Tamblyns Schiff spurlos verschwunden war. Zählte auch er zu den Opfern der TVF-Angriffe?

»Ich mache keine Geschäfte mit Mördern!«, sagte Maylor und schniefte. Einige der anderen Clan-Oberhäupter brummten zustimmend.

»Shizz, es ist nicht so, dass wir zu viel Treibstoff für den Sternenantrieb hätten.« Clarin verschränkte die Arme über dem Bauch und kochte noch immer vor Zorn. »Wir gehen große Risiken ein, um Ekti zu produzieren; einige von uns haben das mit dem Leben bezahlt. Mein eigener Bruder starb bei Erphano, noch bevor wir wussten, was es mit den Hydrogern auf sich hat. Ich schlage vor, wir stellen uns auf die Hinterbeine, bis uns die Große Gans mit dem Respekt begegnet, den wir verdienen.«

»Wie lange kann es dauern, bis sie angekrochen kommt?«, fragte Hosaki. »Sie hat keine andere Ekti-Quelle.«

»Die Sache scheint klar zu sein«, meinte Anna Pasternak.

Die hitzige Diskussion ging weiter, und die Clan-Oberhäupter wurden dabei immer zorniger. Cesca trachtete danach, ruhig zu bleiben und Entscheidungen zu verhindern, die verhängnisvoll sein konnten.

»Wir müssen vorsichtig sein und an die Konsequenzen denken. Ich fürchte, dies könnte ins Auge gehen. Die Tiwis haben ihre Bereitschaft gezeigt, extreme Gewalt gegen uns einzusetzen. Wenn wir ihnen kein Ekti mehr verkaufen… Vielleicht kommt es dann zu noch mehr Angriffen auf unsere Schiffe und Außenposten. Wir könnten große Verluste erleiden…«

»Wir müssen der Großen Gans zeigen, dass sie uns nicht einfach herumschubsen kann, Sprecherin.« Maylor war nur selten so aufgeregt.

»Aber sie kann uns herumschubsen, wenn sie will«, warf Hosaki ein. »Sie hat ein großes Militär und viele Schiffe. Wir könnten den Tiwis nicht standhalten, wenn es hart auf hart ginge.«

»Sie können uns nur angreifen, wenn sie wissen, wo wir sind. Seit wann kann man Roamer so einfach finden?«

Crim Tylar pochte mit der Faust auf den Tisch. »Ich stimme Roberto Clarin zu. Keine Geschäfte mehr mit der Großen Gans. Sie hat die militärische Macht, aber wir haben die ökonomischen Muskeln. Das weiß die Terranische Hanse.«

»Ja! Wir schneiden ihr den Ekti-Nachschub ab, bis der Vorsitzende oder der König sich für die Piraterie der Terranischen Verteidigungsflotte entschuldigen.«

»Und die Täter müssen bestraft werden!«, rief Clarin.

»Oh, bestimmt findet die Große Gans irgendeinen Sündenbock.«

»Und wenn schon. Wichtig ist, dass sie ihre Schuld zugibt.«

»Und sie muss schwören, dass es keine weiteren Angriffe geben wird.«

»Shizz, das macht sie nie«, stöhnte Pasternak.

»Wenn die Große Gans nicht bereit ist, sich an unsere Regeln zu halten, so haben wir genug Ekti für unsere eigenen Zwecke«, sagte Clarin. »Was ist falsch daran?«

Die Clan-Oberhäupter waren aufgebracht, und Cesca ließ erneut die Stimme der Vorsicht erklingen. »Wir nehmen uns einen Tag Zeit, um über das nachzudenken, was wir hier besprochen haben. In der Zwischenzeit sollten wir auch die Meinung der anderen Clans einholen. Natürlich müssen wir Maßnahmen ergreifen, aber es sollten die richtigen sein.«

»Ich brauche nicht mehr darüber nachzudenken«, sagte Tylar. »Für mich ist alles klar. Mein Leitstern ist zur Nova geworden.«

»Ich bin bereit für die Abstimmung«, sagte Clarin. »Warum Zeit mit endlosen Debatten verlieren?«

Cesca hatte noch nie erlebt, dass die Clan-Oberhäupter so schnell einig waren. »Sind Sie bereit, die Folgen in Kauf zu nehmen? Es würde bedeuten, dass die Clans den Gürtel noch enger schnallen müssen als bisher. Die Große Gans verzichtet bestimmt nicht auf Vergeltung…«

Pasternak schnaubte. »Wir sind Roamer! Wir können immer überleben. Das Universum bietet uns die Materialien, die wir brauchen – wir müssen nur den Mumm haben und geschickt genug sein, sie uns zu nehmen. Rendezvous ist ein perfektes Beispiel dafür, dass wir selbst dort leben können, wo sonst niemand zurechtkommt.«

»Ja, damals brauchte die Kanaka keine Handelsbeziehungen zur Hanse«, sagte Clarin. »Niemand von uns ist darauf angewiesen. Es wird Zeit, dass wir uns auf unser Erbe besinnen – vielleicht sind wir zu verwöhnt und verweichlicht durch den Luxus der Hanse. Wir haben die Erde vor langer Zeit verlassen, mit der Absicht, nie zurückzukehren. Es wird Zeit, die Nabelschnur durchzuschneiden.«

Trotz ihrer dunklen Ahnungen fand Cesca, dass die Worte durchaus sinnvoll klangen. »Es wird nicht einfach sein, aber es ist sicher möglich.« Sie stand am Kopfende des Tisches auf. »Wir werden überleben. Wie immer.«