83 SAREIN
Der Flug von der Erde nach Theroc dauerte nicht lange, aber Sareins Widerstreben, den Flüsterpalast zu verlassen, verzögerte die Heimkehr. Sie fühlte sich wie eine Frau, die sich anschickte, einen schwer verletzten und schrecklich entstellten Geliebten im Krankenhaus zu besuchen. Persönliche und politische Verpflichtungen zwangen sie zu der Reise, aber tief in ihrem Herzen wünschte sie sich, Theroc so wie früher im Gedächtnis behalten zu können.
Doch Basil hatte darauf bestanden. »Wenn du die neue Mutter von Theroc bist… Denk nur daran, welche Vorteile du der Hanse bieten könntest. Wenn die Theronen in den Schoß der menschlichen Familie zurückkehren und die verräterischen Roamer endlich spuren… Das wird ein großer Tag für uns alle sein.«
Aber Sarein konnte nicht einfach auf Theroc erscheinen und den Titel der theronischen Mutter verlangen. Sicher war es möglich, Veränderungen einzuleiten, von denen sowohl ihre Heimatwelt als auch die Hanse profitieren würden. Die Theronen kannten und schätzten ihre Oberhäupter, aber Sarein war zu lange fort gewesen. Selbst als sie noch auf Theroc gelebt hatte: Es war ihr nie gelungen, bei ihrem Volk große Achtung zu erlangen. Sie hatte kaum Zeit mit grünen Priestern verbracht und hörte nicht den Ruf des Weltwaldes. Alle würden ein Werkzeug der Hanse in ihr sehen.
Und Basils Absicht, den Theronen ihre Unabhängigkeit zu nehmen, weckte Unbehagen in Sarein. Sie begriff allmählich, dass er jetzt mehr Macht über sie hatte als sie über ihn. So schwer es ihr auch fiel, es zuzugeben: Sie war halb in Basil verliebt und hatte ihn nicht zurücklassen wollen.
Schließlich rief der Captain des Raumschiffs sie ins Cockpit. »Wenn Sie hierher kommen, Botschafterin, können Sie Theroc durchs vordere Aussichtsfenster sehen. Ich dachte mir, Sie möchten einen Blick auf Ihre Heimat werfen.«
»Ich bin gleich da.«
Eigentlich lag ihr gar nichts daran, Theroc zu sehen, aber sie trat trotzdem ins Cockpit des diplomatischen Schiffes und blickte auf die wolkenverhangene Kugel hinab, auf der sie geboren war. Sie sah die Kontinente und dachte daran, dass sie mit der irdischen Geographie vertrauter war als mit der theronischen. Wie sollte sie über diesen Planeten regieren? Sie fühlte sich dieser Aufgabe kaum gewachsen.
Normalerweise wären Therocs Kontinente grün gewesen, vom Blau der Meere voneinander getrennt, aber Sarein bemerkte viele dunkle Flecken. In gewisser Weise war sie froh, dass Estarra sie nicht begleitete…
Zwar hatten sie einige der Tragödien in jüngster Zeit gemeinsam erlebt, aber Sarein begegnete ihrer Schwester nur selten – ein Fehler, wie ihr jetzt klar wurde. Sie war auf ihre eigenen politischen Aktivitäten und Pflichten konzentriert gewesen, während die Königin nicht nur eine große Schar von Bediensteten und Beratern hatte, sondern auch die Zuneigung des Königs genoss. Doch das rechtfertigte Sareins Versäumnisse nicht. Sie hätten Freundinnen sein sollen, Verbündete… Schwestern.
Bevor Sarein die Erde verlassen hatte, waren die beiden jungen Frauen durch den Farngarten des Flüsterpalastes gewandert, vorbei an fedrigen Farnwedeln, hellgrün im Sonnenschein. Sie hatten darüber gesprochen, wie das Leben damals während ihrer Kindheit gewesen war: einfacher, voller Zuversicht, unschuldig.
Es besorgte Sarein auch ein wenig, Estarra und König Peter schutzlos zurückzulassen. Sie versuchte sich einzureden, dass der Mordanschlag ein Bluff von Basil gewesen war, der Peter in seine Schranken weisen sollte, aber immer wieder regten sich Zweifel in ihr.
Estarra blieb neben einem der in Töpfen wachsenden Weltbaumschösslinge stehen und betrachtete ihn geistesabwesend. »In gewisser Weise beneide ich dich. Ich habe noch immer das Gefühl, nach Theroc zu gehören.«
Sarein strich mit den Fingern über den weichen Wedel eines Farns. »Manchmal erscheint es mir einfacher, wenn wir beide die Plätze tauschen würden. Du könntest dorthin zurückkehren, wo du sein möchtest, und ich hätte die Möglichkeit, auf der Erde zu bleiben.«
Die Königin lachte überrascht. »Auch wenn du meine Schwester bist, Sarein: Meinen Mann gäbe ich nicht auf. Ich liebe Peter wirklich.«
»Ja, ich weiß. Das ist offensichtlich.«
Sie standen nebeneinander, betrachteten den Schössling und dachten an den verbrannten Weltwald. Estarra selbst hatte diesen kleinen Baum als Geschenk für den Vorsitzenden mitgebracht, als sie zur Erde gekommen war, und Nahton nutzte ihn oft für die Telkontakt-Kommunikation.
Sarein legte ihrer Schwester den Arm um die Schultern. »Es ist eine Ironie des Schicksals, dass jede von uns für die Aufgabe der anderen besser geeignet wäre. Würdest du wirklich lieber nach Theroc zurückkehren, obwohl dort so viel verbrannt ist?«
»Dann könnte ich die Heimat mehr lieben als jemals zuvor.«
Sarein zupfte spielerisch an einem von Estarras sorgfältig geflochtenen Zöpfen, wie damals, als sie noch Kinder gewesen waren. Die königlichen Wächter, die sie immer diskret beobachteten, waren zweifellos entsetzt über das respektlose Verhalten der Botschafterin, aber das kümmerte Sarein nicht.
»Komm mit mir, Estarra. Du kannst mir beim Packen helfen.«
Der Captain steuerte das diplomatische Schiff in die Umlaufbahn, traf dann Vorbereitungen für den Landeanflug und sah auf die Anzeigen der hochauflösenden Scanner. »Hier scheint sich einiges verändert zu haben. Viel Verkehr in der Luft, im Orbit und auf dem Boden. Ich dachte, Theronen betreiben keine große Raumfahrt.«
Sarein runzelte die Stirn. »Da haben Sie Recht.«
Ein gestresst klingender Mann übermittelte Landeanweisungen. »Wir haben keinen Raumhafen und benutzen eine weite Lichtung. Dort können Sie landen, wenn Ihr Schiff nicht zu groß ist.«
»Nein, es ist nicht besonders groß«, antwortete der Captain – Manta-Kreuzer waren schon auf den Lichtungen im Wald gelandet. »Ich komme zurecht.«
Sarein bereitete sich auf das vor, was sie nun erwartete. Als das Schiff unter die Wolken sank, sah sie die vielen Brandwunden im einst so dichten Weltwald. Noch immer ragten zahllose Weltbäume weit und grün auf, aber Sarein erschrak beim Anblick der vielen schwarzen, verkohlten Stellen.
Dutzende von kleineren Schiffen und schwere Zugmaschinen waren im Wald unterwegs und bemüht, Ordnung zu schaffen. Überrascht sah Sarein, wie umgestürzte Bäume fortgezogen wurden und Bulldozer Stützwälle und Dämme errichteten. Netze erstreckten sich in den offenen Bereichen, um während starker Regenfälle den Boden zu stabilisieren. Sarein fragte sich, warum Basil sie nicht darauf hingewiesen hatte, dass Hilfsgruppen von der Erde auf Theroc arbeiteten.
Als sie genauer hinsah, fiel ihr auf, dass die unterschiedlichen Aktivitäten nicht so organisiert waren, wie man es von der TVF erwarten durfte. Das irdische Militär neigte immer dazu, alles in geraden Linien und in Gittern anzuordnen. In diesem Fall schienen die einzelnen Arbeiten unabhängig voneinander stattzufinden; die Gruppen standen nicht direkt in Verbindung, folgten nur einem allgemeinen Plan.
Die Zugmaschinen brachten gewaltige Baumstämme zu einem Transportschiff, dessen Außenhülle viele Kratzer und Dellen aufwies, was auf jahrzehntelangen Einsatz hinwies. Das Schiff schien als Asteroidenschlepper konzipiert zu sein, doch jetzt nahm es Baumstämme auf, um sie… ins All zu bringen.
Als das diplomatische Schiff zur Landung ansetzte, sah Sarein einzelne Personen auf dem Boden, und tief in ihr verkrampfte sich etwas. »Das sind Roamer!«
»Sieht so aus, Botschafterin«, erwiderte der Captain.
Sofort erwachte Ärger in Sarein – sie wusste, was Basil von dieser Sache gehalten hätte. »Ich schätze, sie verfügen jetzt über jede Menge Zeit, nachdem sie den Handel mit der Hanse eingestellt haben. Während meine Welt daniederliegt, kommen sie herangeschlichen und schnappen sich unsere Ressourcen.«
Sie erinnerte sich an die Vorträge des Vorsitzenden, an die öffentlichen ebenso wie die privaten. Sie kannte die sehr einseitigen Berichte in den Medien der Hanse, in denen die Clans als egoistisch, halsstarrig und widerspenstig dargestellt wurden. Als Botschafterin fühlte sich Sarein verpflichtet, Basil beizupflichten und ihn zu unterstützen.
Sie beugte sich näher zum Fenster. »Warum bringen sie all das Holz fort?«
Der Captain richtete einen sanften Blick auf sie. »Vielleicht sind die Roamer nur gekommen, um zu helfen, Botschafterin. Ich sehe nicht viele TVF-Angehörige, die dort unten an der Arbeit sind.«
»Roamer, die ohne irgendwelche Hintergedanken helfen? Wohl kaum.« Und wenn die Roamer auf Theroc Hilfe leisteten – warum hatten Nahton und die anderen Priester die Hanse nicht über die hiesigen Vorgänge informiert? Sie waren doch wichtig!
Sie wusste nicht, welches Spiel die Clans hier trieben und was Sprecherin Peroni mit ihren grundlosen Vorwürfen gegen die TVF zu erreichen hoffte. Cesca Peroni musste Reynald irgendwie getäuscht und zur Ehe überredet haben. Wenigstens war ihr Bruder gestorben, bevor es zur Ehe kommen konnte.
Als der Captain mit dem diplomatischen Schiff auf der verbrannten Lichtung landete, begriff Sarein plötzlich, dass es hier einst eine große Wiese mit Blumen und bunten Kondorfliegen gegeben hatte. Jetzt war alles von den großen Maschinen eingeebnet worden. Zorn brannte in Sarein.
Die Luke schwang auf, und sofort roch Sarein Rauch, Staub, Ruß und den Tod im Wald. Sie rümpfte die Nase und sah, wie ihre Eltern und ihre kleine Schwester Celli herbeieilten.
Sarein lächelte automatisch – diesen Gesichtsausdruck hatte sie im Lauf der Jahre von Basil Wenzeslas gelernt. Aber sie freute sich nicht darüber, hier zu sein. Es fiel ihr sogar schwer, sich inmitten dieser Katastrophe auf ihre Eltern zu konzentrieren.
Die Erinnerung zeigte ihr Bilder von hoch aufragenden Weltbäumen mit goldener Rinde, von dichtem Unterholz. Jetzt sah sie verkohlte Stämme, nackten Boden und schwere Roamer-Maschinen, die zerstörten, was vom Wald übrig geblieben war. Das Herz wurde ihr bleischwer, und erneut fragte sie sich, ob es Sinn hatte, die neue Mutter von Theroc zu werden. Es schien hier nicht mehr viel zu geben, über das man regieren konnte.