22 RLINDA KETT
Voller Aufregung angesichts der vielen Geschäftsmöglichkeiten, die die neue Kolonisierungsinitiative der Hanse mit sich brachte, flog Rlinda Kett mit ihrer Unersättlichen Neugier zur stillen Welt Crenna. Es wurde Zeit, Reichtum und Erfolg zu teilen. Und die Arbeit. Sie begab sich auf direktem Wege zu ihrem besten früheren Piloten und Lieblings-Exmann Branson Roberts.
Vor fast zwei Jahren hatte sich BeBob mit Erfolg von seinem beschwerlichen Dienst in der TVF verabschiedet – er war zu gefährlichen Erkundungsmissionen gezwungen gewesen. Da sein Ausscheiden aus dem Dienst keineswegs mit amtlichem Segen erfolgt war, führte er seitdem ein einfaches und vor allem unauffälliges Leben auf Crenna. Inzwischen langweilte er sich vermutlich so sehr, dass er den Tränen nahe war.
An Bord ihres Schiffes trug Rlinda normalerweise eine hautenge schwarze Hose über ihren breiten Hüften und dicken Beinen, weil sie praktisch war. Aber da eine Begegnung mit BeBob bevorstand, streifte sie einen langen, violetten und mit irisierenden Fäden durchwirkten Kaftan über, der aus ihrer ersten theronischen Fracht stammte. Die Farbe gefiel ihr, und außerdem glaubte sie, dass sie durch die Streifen und Muster besonders attraktiv wirkte.
Bebob begrüßte sie mit seinem wundervollen, aber nichts verratenden Lächeln. Wie üblich trug er einfarbige Kleidung: eine Arbeitshose der Kolonie und ein weites, langärmeliges Hemd, das nicht modisch war und ihm auch nicht gut stand. Rlinda nahm seinen schlanken Arm, führte ihn zurück zum Koloniehaus und machte ihm dann ein Angebot, von dem sie wusste, dass er es nicht ablehnen konnte. »Hättest du Lust, wieder die Blinder Glaube zu fliegen?«
»Aber… ich habe keinen Treibstoff, und das Schiff muss repariert werden.« Die großen runden Augen wirkten so unschuldig und hinreißend in seinem ledrigen Gesicht.
Rlinda beugte sich vor und küsste sein großes Ohr, was dazu führte, dass er errötete. »Hör auf, nur an die Probleme zu denken, und beantworte meine Frage.«
»Musst du überhaupt fragen? Ich hasse es, hier festzusitzen. Ich fürchte, eines Morgens zu erwachen und Wurzeln geschlagen zu haben. Gib mir Metallwände und ordentlich wieder aufbereitete Luft anstatt den Geruch von Regen und Düngemitteln; solange ich nicht mit Kugelschiffen der Hydroger Katz und Maus spielen muss, wie es General Lanyan von mir verlangte, ist mir alles recht.«
»Keine Sorge.« Rlinda zerzauste BeBob das rauchgraue Haar und betrat mit ihm das Haus. »Außerdem ist der Job völlig legitim.«
»Das ist mal was anderes.«
»Für dich vielleicht. Ich bin immer eine respektable Geschäftsfrau gewesen.«
»Du hast immer gewusst, wann es besser ist, die Augen zu schließen.«
»Das gehört dazu, eine respektable Geschäftsfrau zu sein, BeBob.« Sie schloss die Tür seines Hauses und schnupperte. »Wer kocht für dich? Das riecht nach dutzendweise Fertiggerichten. Schäm dich.«
»Ich habe mich an die Nahrungsrationen gewöhnt. Es ist erstaunlich, wie sehr man sie mit ein wenig heißer Soße verbessern kann.« Rlinda verzog so sehr das Gesicht, dass BeBob schallend lachte. Ohne zu fragen öffnete er eine Flasche Rotwein für sie beide.
»Ich hoffe, das ist eine Flasche für besondere Gelegenheiten«, sagte Rlinda. »Es wäre den Umständen angemessen.«
»Es ist immer eine besondere Gelegenheit, wenn du mich besuchst, Rlinda.«
»Und erst recht, wenn ich dir einen guten Job anbiete.«
»Oder Sex.« BeBob reichte ihr ein Glas und nahm für sich selbst ein kleineres.
Rlinda drehte es und trank einen Schluck. »Gegen dein Weinsortiment hatte ich nie etwas einzuwenden, BeBob.«
»Eins der wenigen Dinge.«
Sie gab ihm einen spielerischen Klaps an den Hinterkopf. »Dank meiner Arbeit mit Davlin Lotze haben wir Zugang zu einem ganz neuen Transportalnetz. Die Hanse hat genug Rechtsverdreher, um dafür zu sorgen, dass ich keine Patentrechte anmelden kann, aber der Vorsitzende hat seine Dankbarkeit auf andere Weise gezeigt. Ich kann auf einen unerschöpflichen Vorrat an Ekti zurückgreifen und bekomme lukrative Lieferverträge als Teil der neuen Klikiss-Kolonisierungsinitiative. Möchtest du ein Stück von diesem Kuchen?«
»Ich dachte, Transportale erfordern kein Ekti. Sind sie nicht gerade deshalb so bedeutsam?«
»Transportale eignen sich bestens für den Transfer von Personen und kleinen Objekten, aber die Hanse braucht Schiffe wie die Neugier – und die Blinder Glaube – für den Transport schwerer Ausrüstung und großer Komponenten, die nicht zerlegt werden können, um durch ein Transportal zu passen. Und um Gruppen abenteuerlustiger Siedler von bereits existierenden Kolonien zum nächsten funktionstüchtigen Klikiss-Transportal zu bringen.«
»Ah, die typischen Verteilungsengpässe.«
BeBob sank auf den Stuhl vor dem Sofa, auf dem Rlinda Platz genommen hatte, aber als sie ihm einen überraschten und vorwurfsvollen Blick zuwarf, setzte er sich neben sie. »Schon besser«, sagte Rlinda.
»Vergiss nicht, dass ich mich unerlaubt von der Truppe entfernt habe, Rlinda. Ich kann nicht einfach so herumfliegen und geschäftlich für die Hanse tätig werden. Irgendwann fällt jemandem was auf.«
»Um das Problem habe ich mich bereits gekümmert, BeBob.«
Nach Erhalt ihres neuen Auftrags hatte Rlinda um ein Gespräch mit dem Vorsitzenden Wenzeslas gebeten. Selbst nach der Entdeckung des Transportalnetzes fiel es ihr schwer, alle bürokratischen Hindernisse zu überwinden.
Ihre alte Bekannte Sarein hatte ihr geholfen und es Rlinda ermöglicht, an den Sicherheitskräften vorbei in die obersten Etagen des Hanse-Hauptquartiers zu gelangen. Die ehrgeizige junge Theronin hielt sich offenbar häufig in den privaten Räumen des Vorsitzenden auf. Gut für dich, Mädchen, dachte Rlinda. Eine junge Frau von einem Provinzplaneten musste jedes Mittel nutzen, um mit jenen zu konkurrieren, die ihren Weg mit größeren politischen Vorteilen und besseren Beziehungen begonnen hatten.
Als Sarein und sie schließlich vor dem Schreibtisch des Vorsitzenden standen, wirkte Wenzeslas ein wenig zerstreut. Mit einer Mischung aus Erheiterung und Wachsamkeit in den Augen sah er zu ihr auf. »Wenn Sie so weit gehende Zugeständnisse wie beim letzten Mal erwarten, muss ich Sie enttäuschen, Ms. Kett. Außer Ihnen gibt es noch viele andere Piloten, die es gar nicht abwarten können, wieder zu fliegen. Die Schlange der Freiwilligen reicht von hier bis Ganymed.«
»Hm, und einige von ihnen sind vielleicht sogar kompetent. Dass ich eine gute Pilotin bin, wissen Sie. Und außerdem: Sind Sie mir nicht zu Dank verpflichtet?«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie so altmodisch sind.«
»Es ist einer meiner Fehler. Aber ich verlange nicht zu viel. Ich möchte nur einen meiner früheren Piloten zurückholen. Er ist jemand, auf den ich nur sehr ungern verzichten würde.«
Früher, als sie noch miteinander verheiratet gewesen waren, hatte es viele Dinge gegeben, bei denen sie gern auf Branson Roberts verzichtet hätte. Doch das war alles Schnee von gestern. Sie blieb entschlossen, BeBob an den neuen lukrativen Geschäften zu beteiligen.
Der Vorsitzende Wenzeslas lehnte sich zurück und richtete einen fragenden Blick auf Sarein, aber die junge Botschafterin hob und senkte nur die schmalen Schultern. »Ist der Mann, von dem Sie sprechen, ein guter Pilot?«, fragte er.
»Der beste. Er ist so gut, dass General Lanyan ihn zwang, gefährliche Erkundungsmissionen für ihn zu fliegen. Besonders gut versteht er es, sein Schiff aus schwierigen Situationen herauszubringen.«
Der Vorsitzende klopfte mit den Fingern auf den Schreibtisch. »Ich verstehe. Sie möchten also, dass ich eingreife und ihn aus der Terranischen Verteidigungsflotte heraushole, damit er wieder geschäftlich fliegt?«
Rlinda lachte leise. »Oh, das ist nicht unbedingt das Problem. BeBob hat das schon selbst erledigt. Er eignete sich nicht für den militärischen Dienst, und deshalb entschied er, von seinem letzten Einsatz nicht zurückzukehren.«
»Soll das heißen, er gehört zu den Piloten, die sich unerlaubt von der Truppe entfernten?«, fragte Sarein überrascht.
Der Vorsitzende runzelte die Stirn. »Ms. Kett, General Lanyan schimpft praktisch jeden Tag über diese ›Deserteure‹.«
Rlinda strahlte. »Wäre es nicht eine gute Idee, Captain Roberts eine neue sinnvolle Aufgabe zuzuweisen? Auf diese Weise könnte er seine Unüberlegtheiten wieder gutmachen.«
»Der General kriegt einen Wutanfall, wenn er davon erfährt, Basil«, sagte Sarein leise.
»Und es würde andere unzufriedene Piloten ermutigen, ihren Befehlen keine Beachtung zu schenken und zu desertieren. Ich fürchte, das können wir nicht zulassen, Ms. Kett.«
»Oh, ich bitte Sie. Der Vorsitzende der Terranischen Hanse kann sicher eine Möglichkeit finden, eine Ausnahme zu machen.« Rlinda verschränkte die dicken Arme und stand wie ein Weltbaum da, der im Büro des Vorsitzenden Wurzeln geschlagen hatte. »Ich hätte mit einem wesentlich unvernünftigeren Wunsch an Sie herantreten können.«
»Was nicht bedeutet, dass ich ihn erfüllt hätte.« Wenzeslas seufzte, als weitere Mitteilungen in den vielen Darstellungsfenstern seines Bildschirm-Schreibtischs erschienen. »Das beste Angebot, das ich Ihnen machen kann, sieht so aus: Wir erlauben Ihrem Freund, sein Schiff bei unseren Missionen zu fliegen. Niemand wird nach seinem Hintergrund fragen, und der Mann sollte so klug sein, nichts über sich zu verraten.« Wenzeslas hob einen warnenden Finger. »Wenn er gefasst wird, kann ich ihm nicht helfen. General Lanyan wird jede Gelegenheit nutzen, sich an jenen Piloten zu rächen.«
»Wenn BeBob dumm genug ist, sich schnappen zu lassen, will ich nichts mehr mit ihm zu tun haben, Vorsitzender.«
Rlinda leerte ihr Glas Wein in einem Zug. Crenna erschien ihr so… idyllisch. »Während der Wartungsarbeiten an der Blinder Glaube solltest du Namen und Seriennummern ändern, damit du bei der Arbeit für die Hanse keine Aufmerksamkeit erregst.« Sie schlang einen dicken Arm um BeBob und zog ihn auf dem Sofa näher zu sich heran. »Ich bleibe und helfe dir, das Schiff in Ordnung zu bringen.«
Er lächelte. »Es gibt nicht viele Leute, die ich an der Glaube herumwerkeln lassen würde, aber wenn du dadurch länger hier bleibst… Einverstanden.«
»Da musste ich dich nicht lange überreden.« Rlinda griff nach der Flasche Wein und füllte ihre Gläser erneut. »Wenn du die Blinder Glaube wieder ins All gebracht hast, kannst du eine Ladung nach der anderen transportieren. Der Vorsitzende Wenzeslas will das neue Kolonisierungsprogramm im großen Stil durchführen, und es gibt bereits einen großen Nachholbedarf.«
»Wenigstens sind wir beide wieder Partner und machen das, was wir am besten können.« BeBob stellte sein Glas ab. »Sollen wir die Vereinbarung mit einem Kuss besiegeln?«
»Mit einem Kuss für den Anfang. Nur für den Anfang.«