103 ORLI COVITZ

Noch bevor Orli den Zugang der dunklen Höhle erreichte, hörte sie das Donnern näher kommender Raumschiffe – wie Geschützfeuer hallte es durch die Schlucht.

Als Orli das Dröhnen von Triebwerken hörte, die für den Flug im All und nicht in der Atmosphäre eines Planeten bestimmt waren, eilte Orli zum Riss in der steilen Felswand und blickte nach draußen, um zu sehen, was geschah. Die Wand der Schlucht, von Kristallaggregaten besetzt, reichte weit nach unten. Das Mädchen schwindelte und hielt sich am halb geschmolzenen und dann wieder erstarrten Rand der Höhlenöffnung fest.

Die TVF-Kampfschiffe jagten durch den Trichter der Schlucht. Als sie sich der menschlichen Siedlung in den Klikiss-Ruinen näherten, wurden sie langsamer – aber nur, um mit dem Angriff zu beginnen. Orli fragte sich zuerst, ob es sich um eine Art Parade handelte. Sie hatte sich nie sehr fürs Militär interessiert, identifizierte aber die Insignien der Terranischen Verteidigungsflotte. Zu Anfang war sie nicht besorgt. Immerhin handelte es sich um menschliche Streitkräfte, deren Aufgabe darin bestand, Hanse-Kolonien zu schützen und zu verteidigen.

Dann eröffneten die TVF-Schiffe das Feuer.

Jazer-Blitze zuckten aus den Bugwaffen der ersten drei Mantas. Ihre destruktive Energie riss den Boden auf und verwandelte ihn in eine qualmende, glasige Masse. Der Moloch hinter den Kreuzern feuerte mit explosiven Projektilen auf die Klikiss-Gebäude, die zehntausend Jahre lang der Erosion widerstanden hatten und jetzt den menschlichen Kolonisten als Unterkunft dienten.

Orli schrie, als sie die Zerstörung beobachtete. Ihre Stimme verlor sich im Dröhnen der Waffen, und sie war zu weit von der Siedlung entfernt, um zu helfen. Als ihre Kehle wund war, presste sie die Lippen zusammen und schrie nur noch in Gedanken.

Unten in der Siedlung gerieten die Kolonisten in Panik. Viele hielten sich draußen auf, arbeiteten in Gärten oder halfen dabei, neue Gebäude zu errichten, abseits der alten Klikiss-Stadt. Als die Kampfschiffe zum ersten Mal über sie hinwegflogen, ging alles in Flammen auf.

Der erste Manta-Kreuzer erreichte das Ende der Schlucht und kam an der Höhlenöffnung vorbei, von der aus Orli alles beobachtete. Er stieg auf, mit einer Beschleunigung, die kein Mensch ausgehalten hätte. Wie ein Raubvogel aus Stahl flog der Manta in einem weiten Bogen und stieß dann erneut auf die Siedlung herab. Jazer-Strahlen gleißten und vernichteten die bunten Fertighäuser, die von der Hanse für die erste Besiedlungsphase zur Verfügung gestellt worden waren.

Orli sah Männer und Frauen inmitten der Flammen. Einige suchten Zuflucht in den Häusern. Andere liefen davon, Kleidung und Haar in Flammen, und sanken schließlich zu Boden.

Orlis Vater war irgendwo dort unten.

Heiße Tränen strömten ihr über die Wangen, als sich Orli vorbeugte und nach unten sah. Sie hatte sich von einem Alaunkristall zum nächsten gezogen, ohne zu merken, wie weit sie nach oben kletterte… und ohne daran zu denken, wie lange es dauern würde, wieder nach unten zu gelangen. Der Abstieg dauerte bestimmt eine Stunde. Von der Kolonie würde nur noch Asche übrig sein, wenn sie sie schließlich erreichte. Und wenn sie jetzt sofort nach unten kletterte… Dann gab sie sich den Angreifern preis, die bestrebt zu sein schienen, alle lebenden Personen auf Corribus zu töten.

Mantas stiegen auf und flogen einen Bogen, um erneut anzugreifen. Der Moloch passierte die Höhlenöffnung, so gewaltig, dass Orli seine Größe gar nicht richtig erfassen konnte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis er vorbei war.

Als die Schiffe das Ende der Schlucht erreichten und aufstiegen, kam es zu einer kurzen Pause. Die Überlebenden in der Siedlung schrien noch immer. Orli hörte ihre verzweifelten Stimmen in weiter Ferne. Die Kolonisten liefen kopflos umher. Eine Gruppe versuchte, das Hauptgebäude mit dem Transportal zu erreichen.

»Ja!«, rief Orli. »Verlasst den Planeten! Bringt euch in Sicherheit!« Vielleicht war ihr Vater bei der Gruppe.

Als die fünf Mantas erneut angriffen, war ihr Hauptziel das Gebäude mit dem Transportal. Jazer-Strahlen und explosive Projektile machten den alten Gebäudekomplex der Klikiss dem Erdboden gleich und vernichteten das Transportal, durch das die Kolonisten von Corribus hätten fliehen können. Die Männer und Frauen waren entweder verbrannt oder lagen unter den Trümmern begraben.

Selbst wenn Orli den Angriff überlebte: Ohne das Transportal konnte sie Corribus nicht verlassen.

Und die Kampfschiffe griffen erneut an.