13 CESCA PERONI
Die alte Frau schwebte in einem Schlaufensessel, der mit der Felswand verbunden war. Die frühere Sprecherin sah aus wie ein Haufen alter Knochen, den Sehnen, ledrige Haut und reine Willenskraft zusammenhielten. Vor sechs Jahren hatte sie sich in den Ruhestand zurückgezogen und die Rendezvous-Asteroiden seitdem nicht mehr verlassen. Ihre Augen glänzten noch immer wie schwarze Himmelsperlen.
»Du hast jetzt einen klaren Beweis dafür, dass die TVF dahinter steckt«, wandte sich Jhy Okiah an Cesca. »Was teilt dir dein Leitstern mit?«
Cesca schloss die Augen. Sie hatte sich beigebracht, nie Hilflosigkeit oder Unschlüssigkeit zu zeigen, aber hier, hinter geschlossenen Türen und in Gesellschaft der einzigen Person, die ihre Situation verstand, ließ sie die Maske fallen. »Wie soll ich den Leitstern sehen, wenn ich tief im Innern eines Felsen stecke?«
Jhy Okiah lächelte mit pergamentartigen Lippen. »Du musst deine Entscheidungen selbst treffen, Kind.«
Das Sprecherbüro war von den Kolonisten der Kanaka als einer der ersten Räume aus dem Asteroiden geschlagen worden. Als das alte Generationenschiff eine Gruppe der Siedler hier zurückgelassen hatte, war ihr Überleben keineswegs garantiert gewesen. Doch jene Vorgänger der Roamer-Clans hatten sich durch Hartnäckigkeit und großen Einfallsreichtum ausgezeichnet. Die Kolonie hatte überlebt, war gewachsen und schließlich zu einem wichtigen Stützpunkt geworden.
Roamer trafen ihre eigenen Entscheidungen und überlebten. Sie verließen sich nicht auf Hilfe und Geschenke von anderen, nur auf ihre eigene Findigkeit. Kotto Okiah – bot ein gutes Beispiel dafür. Nach der Zerstörung seiner riskanten, Metall verarbeitenden Basis auf einem extrem heißen, halb geschmolzenen Planeten hatte er sofort mit der Arbeit auf einer superkalten Welt begonnen, davon überzeugt, dort wichtige Ressourcen gewinnen zu können.
Das rief sich Cesca immer wieder ins Gedächtnis, und manchmal erinnerte sie auch andere Clanmitglieder daran. »Ich frage mich, wie viele unserer Vorfahren an diesem Ort über schwierige Entscheidungen nachdachten. Hast du so viel Rat gebraucht, als du Sprecherin geworden bist?«
»Natürlich. Das war bei uns allen der Fall.«
Cesca schüttelte den Kopf und konnte sich kaum vorstellen, dass diese starke, entschlossene Frau jemals Selbstzweifel kennen gelernt hatte. »Wie bist du zurechtgekommen? Verrate mir das Geheimnis.«
»Das Geheimnis besteht in der Erkenntnis, dass du trotz deiner Zweifel die am besten qualifizierte Person für das Treffen jener Entscheidungen bist. Die Roamer-Clans haben dich gewählt. Sie glauben an dich. Und wenn du dein Bestes gibst, so ist es das Beste, was die Roamer anzubieten haben.«
Cesca verzog das Gesicht. »Dann sind die Roamer-Clans vielleicht in Schwierigkeiten.« Sie sah die frühere Sprecherin an, und ihre Züge verhärteten sich. »Die Große Gans hat unsere Fracht gestohlen, unsere Leute umgebracht und dann so getan, als wäre überhaupt nichts passiert. Wir haben etwas, das sie will, und offenbar glaubt sie, der Krieg gäbe ihr das Recht, es sich einfach zu nehmen.«
»Die Hanse ist ein mächtiger Gegner – sollten die Clans ihn provozieren?«
»Wir können die Piraterie der Hanse nicht einfach so hinnehmen.«
»Nein. Seit Jahren begegnet uns die Große Gans mit Verachtung. Dies ist nichts Neues, abgesehen vom Ausmaß der Gewalt. Denke daran: Was auch immer du beschließt, es wird weit reichende Folgen haben.«
»Einige der hitzköpfigen Clanoberhäupter könnten so zornig werden, dass sie das vergessen. Sie sind imstande, mich zu überstimmen. Ich kann nur für sie sprechen, sie aber zu nichts zwingen.«
»Schlimmer noch, die meisten von ihnen sind Männer mit der Tendenz, sich beweisen zu müssen.« Die alte Frau schüttelte langsam den Kopf.
Cesca zögerte kurz. »Wenn sie sich für das Nächstliegende entscheiden, fürchte ich die Konsequenzen, die sich daraus für uns alle ergeben.«
»Jede Entscheidung hat ihre Konsequenzen. Du stehst über den Clans. Deine Aufgabe besteht darin, den anderen Weisheit zu zeigen, damit sie die beste Entscheidung treffen, und dafür zu sorgen, dass anschließend alle an einem Strang ziehen. Wir sind alle Roamer.«
»Ja«, sagte Cesca. »Wir dürfen nicht vergessen, wer wir sind.«