101 KÖNIG PETER
König Peter schwor, dass er Basil Wenzeslas nie wieder trauen würde – als ob er ihm jemals getraut hätte. Zuerst befahl der Vorsitzende den Angriff auf das Roamer-Depot, und dann verhinderte er eine Begegnung Peters mit Sprecherin Peroni, als sie zur Erde kam. Die Situation im Spiralarm wurde immer schwieriger, und nichts entwickelte sich den Wünschen des Vorsitzenden gemäß, was dazu führte, dass Wenzeslas die Geduld verlor… und Fehler machte.
Du bist nicht mehr der Alte, Basil.
Peter ersuchte um ein kurzes Treffen mit dem Vorsitzenden, und Wenzeslas räumte ihm widerstrebend fünfzehn Minuten in seinem Terminkalender ein. Für einen Moment wünschte sich Peter, dass ihn Estarra begleiten könnte, um ihn allein durch ihre Präsenz zu stärken, aber dies musste er allein hinter sich bringen.
Basil faltete die Hände auf seinem Computerschreibtisch, in dessen Bildschirmfenstern Daten und Bilder um die Aufmerksamkeit des Vorsitzenden wetteiferten. »Es ist ungewöhnlich, dass Sie die richtigen Kanäle benutzen, Peter. Sie haben es sich zur Angewohnheit gemacht, einfach bei irgendwelchen Besprechungen zu erscheinen, als hätten Sie ein Recht darauf, an ihnen teilzunehmen.«
Peter ignorierte den Köder. »Ich zeige gutes Benehmen. Damit Sie nicht noch einmal versuchen, mich zu töten. Oder Estarra.«
Der Vorsitzende verzichtete auf Höflichkeitsfloskeln. »In einigen Minuten muss ich mich um eine andere Sache kümmern. Worüber möchten Sie mit mir sprechen?«
»Über Prinz Daniel. Ich weiß, dass Sie ihn irgendwo im Flüsterpalast verstecken. Ich möchte mit ihm reden.«
Basil blieb gelassen. »Warum?«
Peter hob die Brauen. »Wäre es nicht bessere Publicity, wenn man uns beide zusammen in der Öffentlichkeit sähe, als große glückliche Familie? Immerhin ist er mein lieber ›Bruder‹, auch wenn ich ihn nie sehe.«
»Daniel ist noch nicht bereit für einen Auftritt in der Öffentlichkeit.«
»Wird er jemals bereit sein?«
Basil ging nicht auf die Frage ein und beugte sich vor. »Nennen Sie mir den wahren Grund für Ihr Interesse an ihm.«
Peter zuckte mit den Schultern und glaubte, dass er mit Ehrlichkeit nichts verlor. »Sie wiesen auf seine Existenz hin, um mich einzuschüchtern. Ich möchte sehen, wie groß die Gefahr ist.«
»Der Junge kommt einer Versicherung für mich gleich. Er schützt mich vor… Ihrem Starrsinn. Derzeit sehe ich in ihm nicht die erste Wahl für Ihren Nachfolger.«
»Ich habe also nichts zu befürchten?«
Basil bedachte Peter mit einem durchdringenden Blick. »Kommt ganz darauf an, wie gut Sie Ihre Pflichten erfüllen.«
Peter wusste: Er wäre bereits tot gewesen, wenn sich Daniel als fügsamer erwiesen hätte. »Na schön, Basil.« Er wandte sich zum Gehen und log nicht sehr überzeugend: »Ich nehme Sie beim Wort und mache mir keine Sorgen mehr.«
Auf dem privaten Balkon der königlichen Suite genossen Peter und Estarra ein angenehmes Essen. Sie beobachteten den Sonnenuntergang, der seine prächtigen Farben bis zum Ozean am Horizont ergoss. Es sah wie ein Gemälde aus und war sehr romantisch. Die besten Köche des Flüsterpalastes hatten die Speisen zubereitet, und die Teller bestanden aus erlesenem Porzellan. Ein aromatischer Duft ging von frischen Blumenarrangements aus. Alles schien perfekt zu sein.
»OX, du solltest besser alles auf Gift überprüfen«, sagte Peter. »Wie üblich.«
Mit einer chemischen Analysesonde suchte der Lehrer-Kompi nach toxischen Substanzen oder Drogen in den Speisen. Während sie mit knurrendem Magen warteten, sah Peter in Estarras große dunkle Augen. »Wir wissen, wozu Basil fähig ist. Wir können nicht vorsichtig genug sein.«
»Ja, ich weiß«, sagte Estarra, lächelte und berührte ihn am Arm.
Als OX die Speisen für sicher erklärte, begannen König und Königin zu essen. Peter nahm einen Keks mit einer Scheibe geräuchertem Lachs und bot ihn Estarra an. Sie folgte seinem Bespiel, und er ließ es sich nicht nehmen, kurz an ihren Fingern zu knabbern.
Nach einer Weile, als sie von allen Köstlichkeiten probiert hatten, rückte für Peter der kulinarische Genuss in den Hintergrund. Sorgen belasteten ihn. »OX, ich möchte deine objektive Meinung über etwas hören.«
»Ich bin immer gern bereit, Ihnen meine Meinung zu sagen und Sie zu beraten, König Peter.«
»Es geht mir darum, eine Gefahr richtig einzuschätzen. Du unterrichtest Prinz Daniel – wie nahe ist er daran, Basils Anforderungen zu genügen? Könnte ich in naher Zukunft durch ihn ersetzt werden?«
OX berechnete Wahrscheinlichkeiten und nahm eine Situationsbewertung vor. Seine Worte klangen nach einem Scherz, gaben die Fakten aber so wieder, wie der kleine Roboter sie sah. »Wenn Prinz Daniel mit der gleichen Geschwindigkeit wie bisher Fortschritte erzielt, wird er in dreihundert Jahren bereit sein, Ihren Platz einzunehmen.«
Estarra lachte leise. »Wie konnte der Vorsitzende ihn so falsch einschätzen?«
Der Lehrer-Kompi trat neben den Tisch. »Prinz Daniel wurde schnell ausgewählt, ohne die gründlichen Ermittlungen wie bei Ihnen, König Peter, damals, als Sie noch Raymond Aguerra waren.« Peter presste die Fingerspitzen aneinander und hörte zu. »Bisher ist Prinz Daniel den in ihn gesetzten Erwartungen nicht gerecht geworden.«
»Glaubst du, Basil könnte entscheiden, Daniel… loszuwerden und jemand anders zu wählen?«, fragte Estarra, und ihre dunklen Augen wurden noch größer.
Peter schürzte die Lippen. »Derzeit geht es Basil nur darum, mich mit Daniel unter Druck zu setzen, damit ich spure. Solange wir uns einigermaßen kooperationsbereit zeigen, hält es der Vorsitzende nicht für ›rentabel‹, mich zu ersetzen.« Peter seufzte und wusste, dass er nicht nur darauf achten musste, sich selbst zu schützen, sondern auch Estarra.
Er stützte die Ellenbogen auf den Tisch, eine Angewohnheit, die aus seinem Leben als Raymond Aguerra stammte – die Protokolllehrer hatten ihn mehrmals darauf hingewiesen, dass sich so etwas nicht gehörte. »Ich bin dem Prinzen nie begegnet, OX. Basil will mich nicht zu ihm lassen. Wie ist mein angeblicher Bruder?«
»Narzisstisch, unverschämt und ungezogen. Und er ist nicht so gefügig wie erwartet. Ich versuche, dem Jungen beizubringen, worauf man als König achten muss, aber er hört kaum auf mich. Daniel hat kein Interesse daran, etwas zu lernen. Seine gegenwärtige Situation gefällt ihm; er möchte lieber in seinen Zimmern bleiben und sich verwöhnen lassen. Um überhaupt mit ihm arbeiten zu können, bin ich gezwungen gewesen, eine Methode aus Versprechungen und Drohungen zu entwickeln.«
»Du drohst ihm, OX? Das sieht dir gar nicht ähnlich.« Peter trank einen Schluck Eiswasser.
»Ich drohe ihm damit, dass er kein Dessert bekommt.
Prinz Daniel hat eine große Vorliebe für Süßigkeiten, Pudding und dergleichen. Der Vorsitzende hat mich ermächtigt, darüber zu entscheiden, ob Daniel die von ihm gewünschten Leckereien bekommt oder nicht. Ich kann das Dessert einer Mahlzeit entweder streichen oder verdoppeln – es kommt ganz auf das Ausmaß seiner Kooperation an. Bisher hat Daniel dreizehn Kilo zugenommen. Der Metabolismus und die physiologischen Merkmale des Jungen lassen mich zu dem Schluss gelangen, dass schließlich ein fettleibiger Erwachsener aus ihm wird.«
Peter schüttelte den Kopf. »Der Hanse stehen schwere Zeiten bevor, und in den Kolonien herrschen Not und Hunger. Unter solchen Umständen können wir uns keinen dicken Großen König leisten. Wenn Basil davon erfährt, wird er eine strenge Diät für Daniel anordnen.«
»Ich habe dem Prinzen bereits vorgeschlagen, mit regelmäßigen körperlichen Übungen zu beginnen, aber er weigert sich.«
»Klingt so, als müsste man ihm ordentlich die Leviten lesen«, sagte Peter. »Hm, selbst wenn mir Basil offiziell nicht erlaubt, mit Peter zu reden… Vielleicht könntest du ein Treffen arrangieren. Wer weiß? Möglicherweise hört er auf meinen Rat.«
Estarra sah ihn verwirrt an. Seit Peter ihr keine Bissen mehr reichte, hatte sie kaum noch etwas gegessen. »Ich dachte, du möchtest, dass Daniel inkompetent bleibt – damit wir uns keine Sorgen machen müssen.«
»Trotzdem, jener Junge und ich haben einen gemeinsamen Hintergrund. Wir wurden beide aus unserem Leben gerissen und einer völlig neuen Situation ausgesetzt. Vielleicht können wir… Verbündete oder so werden.« Peter wandte sich an den Lehrer-Kompi. »Kannst du mich zu ihm bringen, OX?«
Die optischen Sensoren des Roboters glühten. »Der Vorsitzende hat zu verstehen gegeben, dass er eine solche Begegnung nicht wünscht. Andererseits hat er mir nicht ausdrücklich verboten, Sie dem Prinzen vorzustellen. Ich halte es jedoch nicht für sehr wahrscheinlich, dass Daniel Ihr Freund wird.«
Peter wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und stand auf. »Freundschaft ist nicht unbedingt nötig, OX. Es kommt darauf an, seine Feinde im Auge zu behalten.«