57 SULLIVAN GOLD

Sullivan Gold stand auf dem Deck der Himmelsfabrik, bereit für das Treffen, das über sein Überleben entscheiden mochte. Er trug seine beste Kleidung, hatte sich wie für einen wichtigen Geschäftstermin rasiert und das Haar geschnitten. Er wünschte, Lydia wäre zugegen gewesen, um seinen Kragen zurechtzurücken und sein Erscheinungsbild noch einmal zu überprüfen.

Kolker sagte ihm, dass es an seinem Äußeren nichts auszusetzen gab.

Der grüne Priester hatte seinen Kollegen im Telkontakt-Netzwerk bereits mehrere Mitteilungen geschickt, und sie warteten nun darauf, dass die Informationen der Hanse übermittelt wurden. Im Flüsterpalast hatte Nahton sowohl dem König als auch dem Vorsitzenden Bescheid gegeben, aber trotz dieser Kontakte blieb Sullivan auf sich allein gestellt. Die TVF konnte nicht rechtzeitig militärische Hilfe schicken, und es lag auch nicht in ihrem Interesse, eine direkte Konfrontation mit der Solaren Marine herbeizuführen. Die Regierung auf der Erde würde schweigen, bis sie sah, wie er mit der Situation fertig wurde.

Sullivan räusperte sich und hoffte, dass ihn die Umstände nicht zwangen, die Kavallerie zu rufen. Es war so peinlich, gerettet werden zu müssen.

Ein bunt plattierter ildiranischer Shuttle kam aus dem riesigen Flaggschiff und näherte sich. Sullivan wischte sich die schweißfeuchten Hände an der Hose ab. »Es geht los, Kolker. Jetzt hängt alles von uns ab. Wir haben die Chance, einen guten Eindruck auf unsere unerwarteten Nachbarn zu machen.«

Der grüne Priester löste zerstreut die Finger von seinem allgegenwärtigen Schössling. »Entschuldigen Sie bitte, Sullivan, was haben Sie gesagt? Ich habe mich auf den Telkontakt konzentriert und allen berichtet, was hier geschieht.«

»Ich dachte, das hätten Sie bereits.«

»Ich habe darauf hingewiesen, dass noch nichts passiert ist. Auch der Vorsitzende der Hanse hört zu.«

Sullivan seufzte. »Bisher bestand das Leben an Bord dieser Ekti-Fabrik hauptsächlich aus Routine und bot genug Platz für oberflächliche Konversation. Aber das ist jetzt nicht mehr der Fall. Ich brauche Ihre volle Aufmerksamkeit, bis dieses Problem gelöst ist, Kolker. Unsere Memoiren sparen wir uns für später auf.«

Das verlegene Lächeln des grünen Priesters ließ den Ärger aus Sullivan verschwinden. »Ich werde meine Kommunikation auf das… Wesentliche beschränken.«

Schließlich traf der Shuttle ein, fast fünfzehn Minuten früher als geplant – steckte Absicht dahinter? Das kleine ildiranische Raumschiff glitt durch das Luftverdichtungsfeld der Produktionsanlage, begleitet von einigen Böen. Es ließ sich von Markierungslichtern den Weg zum Landeplatz weisen und setzte auf. Sullivans Wangen glühten im frischen Wind, und er lächelte so freundlich, als stünde ihm das wichtigste Einstellungsgespräch seines Lebens bevor.

Die Luke des Shuttles öffnete sich, und Sullivan trat vor, um die beiden Ildiraner zu begrüßen. Einer von ihnen – groß, stolz und nach menschlichen Maßstäben sehr attraktiv – trug eine perfekt sitzende militärische Uniform. Er sprach, bevor Sullivan ein Wort des Willkommens an ihn richten konnte. »Ich bin Adar Zan’nh, Kommandeur der Solaren Marine. Wie von Ihnen gewünscht habe ich Hroa’x mitgebracht, den Leiter meiner Ekti-Produzenten.« Der zweite Mann hatte breite Schultern, kürzere Arme und ein gröberes Gesicht. Mit unverhohlener Neugier sah er sich auf der terranischen Himmelsfabrik um.

Sullivan streckte die rechte Hand aus. »Dies ist mein erstes Treffen mit Ildiranern. Äh, leider sind mir Ihre Traditionen und die bei Ihnen gebräuchlichen Verhaltensmuster nicht vertraut. Wir Menschen begrüßen uns, indem wir einander die Hand schütteln. Auf diese Weise.«

Zan’nh reichte Sullivan zögernd die Hand. »Es ist bei uns Brauch, keine Ekti-Fabriken ohne Erlaubnis in Betrieb zu nehmen«, betonte er.

»Ja, ich verstehe… tut mir Leid. Es ist ein Versehen, ein sehr bedauerliches Missverständnis.« Sullivan räusperte sich. »Sollen wir uns in der Aussichtsgalerie unterhalten, wo es wärmer ist? Bestimmt kann ich uns etwas zu essen und zu trinken besorgen, an dem auch Ildiraner Gefallen finden. Eine Himmelsfabrik der Hanse ist zwar nicht der richtige Ort für die feine Küche, aber wir verzichten hier nicht auf kulinarische Genüsse.« Sullivan glaubte zu plappern und unterbrach sich abrupt.

Fasziniert und besorgt ließ Hroa’x seinen Blick über die industriellen Anlagen schweifen und schien jede Komponente der Fabrik mit der entsprechenden ildiranischen Technik zu vergleichen. Er trat vor, um sich ein Teil aus der Nähe anzusehen. »Wir Ildiraner beabsichtigen, in der Atmosphäre von Qronha 3 mit der Produktion von Ekti zu beginnen. Ich möchte meine eigene Anlage so bald wie möglich in Betrieb nehmen. Es gibt viel zu tun, Adar – wann kann ich mich an die Arbeit machen? Wie lange dauert dieses Gespräch?«

Zan’nh forderte ihn mit einer Geste zur Geduld auf. »Sie können bald beginnen, Hroa’x. Diese Begegnung ist notwendig und wird so lange wie nötig dauern.«

Kolker trug seinen Schössling in der Armbeuge, als er vorausging und ins Innere der Himmelsfabrik trat. Die Produktionsanlage war in aller Eile gebaut worden, und Sullivan hatte nie geplant, hier wichtige Besprechungen stattfinden zu lassen, aber es gab einen Raum mit einem langen Tisch und breiten Fenstern, die Blick auf das Wolkenmeer des Gasriesen gestatteten.

Der grüne Priester stellte den Topf mit dem kleinen Weltbaum ans Ende des Tisches und setzte sich daneben. Ohne auf die anderen zu achten, berührte er den dünnen Stamm, und seine Lippen bewegten sich lautlos, als er einen neuen Bericht durchs Telkontakt-Netz schickte. Der Vorsitzende der Hanse hörte zweifellos mit.

Sullivan konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die beiden Ildiraner. Vor der Ankunft des Adars hatte er das Küchenpersonal gebeten, verschiedene Spezialitäten vorzubereiten und dabei auch einige von Lydias Rezepten zu verwenden. Niemand von ihnen wusste, ob Ildiraner Süßes oder Pikantes bevorzugten. Was würde sie beeindrucken? Es standen auch Spirituosen bereit, eine Kanne mit heißem Tee, ein Krug mit Wasser und eine Flasche mit sirupartigem Passah-Wein, die Sullivan auf Drängen seiner Frau mitgenommen hatte.

»Ich kann Ihnen diese Auswahl anbieten«, wandte er sich an Zan’nh und vollführte eine einladende Geste. »Bitte bedienen Sie sich. Oder möchten Sie vielleicht etwas anderes?«

Sullivan nahm an der Seite des Tisches Platz, doch der Ildiraner aus dem Geschlecht der Ekti-Produzenten blieb auf den Beinen, wanderte unruhig umher und blickte aus dem Fenster. »Ich möchte mit der Produktion von Ekti beginnen«, wiederholte er. »Bald.«

Zan’nh seufzte tief. »Geduld, Hroa’x.« Er sank auf den Stuhl am Kopfende des Tisches.

»Sullivan Gold, mein Vater ist der Weise Imperator, und mein Vorgänger, Adar Kori’nh, hat sich geopfert, um die Hydroger von Qronha 3 zu vertreiben, damit Ildiraner in der Atmosphäre des Gasriesen eine Himmelsmine in Betrieb nehmen können. Ildiraner. Kori’nhs Andenken wird in der Saga der Sieben Sonnen weiterleben. Warum fühlen Sie sich berechtigt, Anspruch auf die Beute jenes Sieges zu erheben?«

Sullivan begriff, was die Worte des Kommandeurs bedeuteten. »Mir ist klar, dass Ihr Vorgänger seinen Sieg nicht erringen wollte, damit Menschen die gute Gelegenheit nutzen.«

»Stellen Sie Ihre hiesigen Aktivitäten ein, nehmen Sie Ihre Sachen und kehren Sie zur Erde zurück. Hier bei Qronha 3 haben Sie nichts zu suchen.«

Sullivan breitete die Hände auf dem Tisch aus. »Bitte lassen Sie uns nichts überstürzen. Die Hanse und das Ildiranische Reich sind doch gute Freunde, oder? Wir haben einen gemeinsamen Feind, die Hydroger. Die Terranische Verteidigungsflotte hat tapfer gekämpft und bei der Auseinandersetzung mit den Hydrogern ähnliche Opfer gebracht wie Ihr heldenhafter Adar. Die Angriffe auf unsere Kolonialwelten haben auch uns viel Leid beschert. Und wir wollten diesen Krieg ebenso wenig wie Sie.«

»Menschen haben die Klikiss-Fackel gezündet und eine Welt der Hydroger zerstört«, antwortete Zan’nh kühl.

»Es war nie unsere Absicht, Feindseligkeiten zu beginnen – und wir haben alles Menschenmögliche versucht, den Fehler wieder gutzumachen. Hören Sie… Ich bin nur ein Ekti-Produzent, der sich bemüht, seine Arbeit zu machen.«

»Genau wie ich – aber ich muss warten«, sagte Hroa’x. »Dies sind alte und unwichtige Angelegenheiten.«

»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, pflichtete Sullivan dem schroffen Ildiraner bei. Er lächelte gewinnend und versuchte, noch mehr Charme zu zeigen. »Niemand von Ihnen hat etwas von den Speisen und Getränken probiert.«

»Wir brauchen keine Gastlichkeit. Und Ihre Lebensmittel vertragen sich vielleicht nicht mit unserer Biochemie.«

Sullivan hätte fast die Stirn gerunzelt. Die Ildiraner lehnten Gastlichkeit ab? Fürchteten sie Gift? Er knabberte an einem Stück Käse. »Es war sicher falsch von der Hanse, eine Himmelsfabrik hierher zu bringen, ohne den Weisen Imperator um Erlaubnis zu fragen. Ich verstehe, dass Sie deshalb verärgert sind. Auch mir wäre es nicht recht, wenn jemand auf dem Hinterhof meiner Familie ein Geschäft eröffnet. Aber dies ist ein sehr großer Planet. Wir wollen niemandem schaden, und wir haben auch niemandem Schaden zugefügt, so wie ich das sehe. Unsere Präsenz hindert Sie in keiner Weise daran, selbst Ekti zu produzieren. Der Himmel dieser Welt ist groß genug für uns beide. Außerdem: Zusammen sind wir vielleicht sicherer. Wir könnten uns gegenseitig helfen, wenn jemand von uns in Schwierigkeiten geraten sollte.«

»Wie stellen Sie sich solche Hilfe vor?« Zan’nh seufzte. »Ob eine Himmelsmine oder zwei: Gegen einen Angriff der Hydroger könnten wir uns nicht verteidigen.«

»Es könnte zu anderen Notfällen kommen, oder?«

Hroa’x wurde immer ungeduldiger. »Wir vergeuden Zeit. Warum sich über Grenzen streiten, die gar nicht existieren? Die Aktivitäten der menschlichen Produktionsanlage bewirken keine wesentliche Verringerung der hier zur Verfügung stehenden Wasserstoffmengen. Die Zeit, die wir hier mit Gesprächen verschwenden, könnte ich nutzen, um unsere Himmelsmine vorzubereiten. Das ist meine Priorität. Diplomatie vergeudet zu viele wertvolle Arbeitsstunden.«

Plötzlich bemerkte Sullivan etwas im Gesicht des jungen Adars und begriff, dass Zan’nh ebenso sehr an einer Lösung dieses Problems gelegen war wie ihm selbst. Er suchte nach einem sauberen, akzeptablen Ende der Krise.

Sullivan lächelte auch weiterhin und hoffte, dass sich die anfängliche Spannung allmählich auflöste. »Bitte, Adar, lassen wir diese Sache nicht zu einem Konflikt werden. Wie wär’s hiermit? Die Ildiraner können hier so viele Ekti-Fabriken in Betrieb nehmen, wie sie wollen, und ich verspreche Ihnen, dass wir nicht im Weg sind. Unsere Arbeit wird Sie nicht behindern.«

Am anderen Ende des Tisches berührte Kolker den Stamm des Schösslings und übermittelte alles.

»Die Hanse braucht ebenso dringend Treibstoff wie Sie«, fuhr Sullivan fort. »Es war ein Ildiraner, ein Adar wie Sie, der uns Menschen die Konstruktionsunterlagen des Sternenantriebs überließ. Niemand hatte ein Problem damit. Sie wollen uns doch sicher nicht die Möglichkeit nehmen, mit unseren Raumschiffen zu fliegen?«

Zan’nh wollte nicht einfach so nachgeben. »Wenn Sie hier bleiben, über einer Welt, von der wir die Hydroger vertrieben haben, so müssen Sie einen Preis dafür zahlen. Der Weise Imperator würde eine Art Steuer verlangen.«

Sullivan sah eine Möglichkeit für Verhandlungen und ergriff sie. »Ich könnte vielleicht einen kleinen Prozentsatz des von uns produzierten Ektis anbieten.« Er nahm den Krug und schenkte den beiden Ildiranern Wasser ein; die anderen Getränke hielt er für zu bedenklich.

Der Adar war bisher recht wortkarg gewesen und benahm sich ziemlich steif – Sullivan fragte sich, wie viel von seinem Verhalten Maske war. In einem verschwörerischen Tonfall fügte er hinzu: »Bisher haben sich keine Hydroger gezeigt, aber vielleicht bleibt uns nur wenig Zeit, bis sie erscheinen. Wir sollten alle hart arbeiten, um möglichst viel Ekti zu produzieren, bevor es zu spät ist.«

»Welchen Prozentsatz bieten Sie an?«, fragte Zan’nh. »Ich muss dem Weisen Imperator etwas Akzeptables vorlegen.«

Sullivan hatte nie gehört, dass die Ildiraner besonders habgierig waren, und sie schienen auch kaum Erfahrung im Feilschen zu haben, da es telepathische Verbindungen zwischen ihnen gab. Deshalb riskierte er, einen sehr geringen Teil der Produktion seiner Himmelsfabrik anzubieten, als eine Art Verhandlungsbasis. Zu seiner Überraschung nahm Zan’nh das Angebot sofort an. Dafür konnte Sullivan mit dem Lob der Hanse rechnen! Tief in seinem Innern wusste er, das der Adar mehr an einer ehrenvollen Lösung interessiert gewesen war als an Profit.

»Gut. Ich bin froh, dass dies geregelt ist. Wir sollten wirklich Freunde sein.« Sullivan schüttelte dem Kommandeur der Solaren Marine erneut die Hand. »Ich schätze, jetzt können wir uns alle an die Arbeit machen. Ich lasse einen Teil unserer nächsten Produktion direkt zu Ihrer Ekti-Fabrik bringen.« Unbewusst strich er mit der Hand über die schweißfeuchte Stirn. »Ich würde unsere neue Zusammenarbeit gern feiern. Wären Sie interessiert…«

Hroa’x unterbrach ihn und wandte sich an Zan’nh. »Wenn unsere Mission hier beendet ist, möchte ich nicht noch mehr Zeit verlieren, Adar. Wir sollten sofort zu den Kriegsschiffen zurückkehren und uns um die Himmelsmine kümmern. Es gibt noch viel zu tun, bevor sie mit der Ekti-Produktion beginnen kann.« Der Ildiraner aus dem Geschlecht der Ekti-Produzenten sah Sullivan an. »Unsere Vereinbarung verliert ihren Sinn, wenn die Hydroger zurückkehren. Warum auch nur eine einzelne Sekunde verschwenden?«

Zan’nh nickte. »Und eins steht fest: Die Hydroger werden zurückkehren.«