87 NIKKO CHAN TYLER

Pünktliche Ankunft beim Hurricane-Depot… Besser gesagt, weniger als eine Stunde Verspätung. Das war ein neuer Rekord für Nikko. Er hatte Wental-Wasser zu zwei unbewohnten Planeten gebracht und war sehr zufrieden mit der geleisteten Arbeit. Jetzt freute er sich auf eine angenehme Nacht im Gästequartier und auf Leckereien in Cafés, zubereitet von Familien, die ihr kulturelles Erbe von der Erde bewahrt hatten.

Er war schon oft im Hurricane-Depot gewesen. Meistens hatte er Ekti-Tanks oder Nahrungsmittel aus den Treibhauskuppeln der Chans transportiert. Nikko flog besser, wenn er sein Ziel sehen konnte und sich nicht auf komplexe Navigationssysteme verlassen musste. Inzwischen kannte er die Anflugschneise durch die Felsschale wie seine Hosentasche.

Als sich die Aquarius diesmal den orbitalen Planetoiden näherte, sah Nikko zwei TVF-Moloche in der Nähe. Andere Schiffe der Tiwis hatten auf die Felsen gefeuert, um den Anflugkorridor zu verbreitern. Dadurch bewegten sich viele kleine Felsbrocken auf völlig neuen, kaum zu berechnenden Bahnen.

Drei Roamer-Schiffe sausten fort, verfolgt von Remoras. Die Clans hatten viele ihrer Raumschiffe mit »Sprint-Triebwerken« ausgestattet, die höhere Beschleunigungen ermöglichten, und das machte die drei fliehenden Schiffe schneller als die militärischen Verfolger. In unterschiedlichen Richtungen stoben sie davon.

»Shizz, was geht hier vor?« Nikko streckte die Hand nach den Kom-Kontrollen aus, um einen Kontakt mit dem Hurricane-Depot herzustellen, doch dann dachte er daran, dass es vielleicht klüger war, still zu bleiben. Die Aquarius war ein kleines Schiff und näherte sich mit einem hohen polaren Vektor – die TVF-Einheiten hatten ihn vermutlich noch nicht bemerkt.

Kurz darauf empfing Nikko eine warnende Mitteilung. »Hier spricht Roberto Clarin. Die TVF hat die Kontrolle über das Hurricane-Depot übernommen! Sie konfisziert unsere Ressourcen, und zweifellos wird sie uns alle töten.« Die Nachricht bestand aus gewöhnlichen, lichtschnellen elektromagnetischen Signalen, die jahrelang bis zum nächsten bewohnten Sonnensystem unterwegs sein würden.

Zornig saß er im Cockpit und wusste nicht, was er tun sollte. In den Phiolen mit dem Wental-Wasser vibrierten Fragen und besorgte Neugier. »Wisst ihr noch, was ich euch über dumme Gründe für Kriege erzählt habe?«, brummte Nikko. »Hier seht ihr einen.«

TVF-Arbeiter holten Behälter mit Proviant, Ekti-Tanks und alle persönlichen Gegenstände aus dem Depot. Auf Frequenzen der Terranischen Verteidigungsflotte hörte Nikko Gespräche mit. Die Tiwis scherzten miteinander und machten sich über die Versuche der Roamer lustig, Widerstand zu leisten. »Sie stehlen alles!«

Während Nikko das Geschehen entsetzt beobachtete, fühlte er die Unruhe der Wentals. Es ist wie ein Angriff der Hydroger… Aber diese Soldaten verraten ihr eigenes Volk.

Die Bewohner des Hurricane-Depots wurden verhaftet und an Bord der Manta-Kreuzer gebracht. Der Stationschef Roberto Clarin schien als Kriegsgefangener festgenommen worden zu sein, obwohl niemand einen Krieg erklärt hatte. Nikko befürchtete, dass das terranische Militär all jene Leute einfach »verschwinden« lassen würde.

»Holen Sie alle Personen aus der Station«, wies General Lanyan seine Soldaten an. »Gehen Sie bei der Suche gründlich vor. Der Vorsitzende möchte Opfer vermeiden. Er glaubt, dass die Roamer-Clans dann eher zur Kapitulation bereit sind.«

»Kapitulation?«, knurrte Nikko. »Vor diesen plündernden Barbaren?« Er fertigte Aufzeichnungen an, die das Vorgehen der TVF dokumentierten. Aber die Bilder würden die Clans bestimmt nicht überraschen – immerhin war bekannt, was die Tiwis mit Kamarows Schiff angestellt hatten.

»Ich muss Rendezvous warnen«, sagte Nikko. Der eine Teil von ihm wäre am liebsten sofort aufgebrochen, doch der andere wollte bleiben und weiterhin beobachten, bis alles vorbei war. Er schaltete das Triebwerk auf Bereitschaft, für den Fall, dass er sich schnell absetzen musste.

Wir können die Warnung übermitteln, sagte die Wasserentität. Alle Raumschiffe mit Wentals an Bord erfahren, was hier geschieht. Sie können die anderen Roamer benachrichtigen.

Nikko betrachtete die schimmernden Phiolen. »Ihr könnt direkt miteinander kommunizieren?«

Wir sind im Grunde genommen eine einheitliche Entität. Was einer von uns weiß, wissen alle Wentals.

Nikko staunte. »Wie der Telkontakt der Weltbäume!«

Die Verdani ähneln den Wentals. Deshalb waren wir Verbündete in dem alten Krieg.

Innerhalb einer Stunde legten die meisten Schiffe vom Hurricane-Depot ab und verließen die gravitationsstabile Insel zwischen den Orbitalmassen. Die Mantas zogen mit ihrer Kriegsbeute fort, flogen durch die Felsschale, begleiteten die Molochs zum Rand des Sonnensystems und warteten dort.

Zwei Kreuzer blieben bei der leeren Station zurück, noch immer mit ihr verbunden. Sie zündeten die Triebwerke und nutzten ihren Schub, um dem Depot ein neues Bewegungsmoment zu geben – es schwebte aus dem sicheren Bereich heraus. Die Mantas lösten ihre Verbindungen und entfernten sich, während die große Station ihr Bewegungsmoment beibehielt.

Die Position des Hurricane-Depots zwischen den beiden großen Orbitalmassen war immer relativ kritisch gewesen, doch jetzt verließ es den sicheren Bereich. Wie bei einem Ball, der über einen Hügelhang rollte, nahm die Geschwindigkeit der Station zu, als ihr gravitationelles Gleichgewicht verloren ging.

»Ich kann es nicht glauben«, sagte Nikko, während die Sensoren der Aquarius weiterhin Bilder aufnahmen. »Ich kann einfach nicht glauben, was mir meine Augen zeigen!«

Das Hurricane-Depot driftete davon und wurde bereits von zahlreichen kleinen Eis- und Gesteinsbrocken getroffen. Mit den optischen Sensoren des Schiffes fertigte Nikko weitere hochauflösende Aufnahmen an. Ein großer Meteorit durchschlug die Außenwand eines Frachtraums und hinterließ ein großes Loch darin. Das kosmische Bombardement hielt an, während die Station auf einen der großen Planetoiden zuhielt. Entweichende Atmosphäre bewirkte eine zusätzliche Beschleunigung.

Als das Hurricane-Depot schließlich mit der riesigen Orbitalmasse kollidierte, war sie wie ein kleines Tier, das von einem schweren Fahrzeug überfahren wurde.

Der Planetoid zerschmetterte die Station. Noch mehr Luft entwich, Flammen leckten hier und dort aus der zerfetzten Metallmasse, und dann explodierten Treibstoff und Batterien. Glühende Trümmerstücke rasten in alle Richtungen.

Übelkeit stieg in Nikko empor.

Mit ihren gestohlenen Schätzen und Gefangenen an Bord zogen die TVF-Schiffe ab. Als sie außer Reichweite waren und Nikko wusste, dass die Aquarius nicht mehr entdeckt werden konnte, zündete er das Triebwerk und ging auf volle Beschleunigung.

»Wir müssen fort von hier«, sagte er zu den Wentals. Die Nachricht war bereits den anderen Schiffen mit Wental-Wasser übermittelt worden, aber nur Nikko hatte Bilder und Kom-Aufzeichnungen. Er hoffte, dass er sich diesmal nicht verirrte. Dafür war seine Verantwortung zu groß.