86 ROBERTO CLARIN

Gewaltige orbitale Gesteinsmassen zogen wie die Zeiger einer Uhr über das Hurricane-Depot hinweg. In seinem privaten Büro in der nördlichen Polarkuppel saß Roberto Clarin zurückgelehnt im Sessel und sah empor. Einmal pro Stunde, in einer endlosen Parade, zogen oben die Berge über ihn hinweg.

Als aus der ursprünglichen Gaswolke das Couarnir-System geworden war, hatten sich keine bewohnbaren Welten gebildet. Lediglich zwei große Felsbrocken waren entstanden, die um ein gemeinsames Gravitationszentrum kreisten – es sah nach einem tot geborenen, in zwei Hälften zerbrochenen Planeten aus. Die beiden Komponenten teilten eine dünne Atmosphäre, und genau in der Mitte des Rotationskörpers befand sich ein stabiler Lagrange-Punkt, ein perfekter Ort im Innern der Felsenschale, von ihr gleichzeitig geschützt und bedroht.

Mit Material aus den beiden Orbitalmassen hatten die Roamer im Auge des Sturms ein zentrales Depot gebaut, einen Umschlagplatz für Ekti. Schiffe kamen von oben und unten, durch die sicheren Polarzonen der beiden rotierenden planetaren Komponenten.

Das Hurricane-Depot war wie ein orientalischer Basar an der Kreuzung von zwei Karawanenstraßen, ein beliebter Ort, wo Treibstofffrachter ihre Ladungen ablieferten, damit sie möglichst effizient auf die verschiedenen Siedlungen verteilt werden konnten. Händler der Roamer lebten und arbeiteten in der Station, und viele andere besuchten sie immer wieder. Metalle, Ekti, Lebensmittel, Stoffe und sogar Waren aus der Hanse wurden hierher gebracht und verkauft. Jeden Tag kamen zwei oder drei Schiffe, und ihre Besatzungen feilschten und handelten, tauschten die Fracht gegen andere Dinge ein.

Roberto Clarin war ein dunkelhaariger, laut sprechender Mann, der darauf bestand, alle exotischen Nahrungsmittel zu probieren, die seine Station erreichten – das kulinarische Äquivalent von Zollgebühren. Unter seiner Leitung hatte sich das Hurricane-Depot zunächst prächtig entwickelt, doch inzwischen wirkte es oft wie eine Geisterstadt. Es lag an den Hydrogern, die keine Himmelsminen in den Atmosphären ihrer Gasriesen zuließen, und am Handelsembargo gegen die Hanse.

Robertos Bruder Eldon, ein talentierter Ingenieur, hatte bei der Planung des Hurricane-Depots geholfen. Eine Zeit lang waren die beiden Männer Partner gewesen, doch Eldon hatte sich als schlechter Geschäftsmann erwiesen, der nichts von Verkaufspolitik und Handel verstand. Roberto hatte immer wieder versucht, ihn mit den einfachsten ökonomischen Konzepten vertraut zu machen. Eldon kam bestens mit komplizierten physikalischen Berechnungen zurecht, und er wusste alles über Materialstärke, Belastbarkeit, energetischen Transfer und so weiter. Aber schlichte finanzielle Kalkulationen waren wie eine Fremdsprache für ihn.

Schließlich hatten sich die beiden Brüder enttäuscht getrennt. Roberto führte das Hurricane-Depot zum wirtschaftlichen Erfolg, Eldon entwarf neue Ekti-Reaktoren für Berndt Okiahs Himmelsmine und fiel schließlich den Hydrogern zum Opfer…

An diesem Tag sollte Nikko Chan Tylar eintreffen, aber der junge Mann kam meistens zu spät, weil er sich unterwegs ablenken ließ. Roberto ließ einen Hangar für Tylars Schiff offen, rechnete aber nicht damit, ihn bald zu sehen.

Die nächsten Schiffe, die sich dem Depot näherten, kamen völlig unerwartet. Als Roberto die Kampfflotte der TVF sah, war er ebenso verblüfft wie sein Bruder, als die Hydroger angegriffen und die Himmelsmine von Erphano zerstört hatten.

Die großen Molochs wahrten einen sicheren Abstand zu den Orbitalmassen, aber Scoutschiffe, Minensucher und Thunderhead-Waffenplattformen stießen in die Gefahrenzone vor, schossen auf die Felsen und schufen auf diese Weise einen breiten Flugkorridor, der es den Manta-Kreuzern gestattete, sich dem zentralen Depot zu nähern.

Roberto wusste, was die Tiwis mit Raven Kamarows Schiff angestellt hatten, und er begriff sofort, dass es die Flotte auf die Ekti-Vorräte abgesehen hatte. Verdammte Piraten! »Es reicht euch wohl nicht mehr, einzelne Schiffe zu überfallen. Dadurch habt ihr Appetit auf mehr bekommen, wie?«

Er veranlasste den Evakuierungsalarm in der Hauptstation und warnte die Roamer-Schiffe im Anflug. Frachterkommandanten eilten zu ihren Schiffen. Innerhalb weniger Minuten starteten drei Raumschiffe und setzten sich ab. Mit grimmiger Zufriedenheit beobachtete Roberto, wie sie entkamen.

General Lanyan, Kommandeur der Tiwis, setzte sich mit dem Depot in Verbindung. »Auf Anweisung des Vorsitzenden Wenzeslas übernehme ich hiermit Ihre Station«, sagte er selbstgefällig. »Alle Ressourcen und privaten Schiffe werden im Namen von König Peter durch die Terranische Verteidigungsflotte beschlagnahmt.«

Roberto öffnete einen Kom-Kanal, stand auf und bedauerte, dass er einfache, zivile Kleidung trug und mit seinem Bauch nicht besonders eindrucksvoll aussah. »Es spielt keine Rolle, auf welche Namen Sie sich berufen, General. Ihr König und Ihr Vorsitzender haben hier keine Amtsgewalt. Kein Roamer-Clan hat jemals die Charta der Hanse unterschrieben. Dieses Depot ist Privateigentum, und Sie sind nicht berechtigt, es zu beschlagnahmen.«

Trotz seiner großen Töne wusste Roberto: Mit all den Schiffen konnte sich der General einfach nehmen, was er wollte. Die Sicherheit der Roamer basierte auf Tarnung und Geheimhaltung; über echte Verteidigungsmöglichkeiten verfügten sie kaum. Nach der Entdeckung des Hurricane-Depots durch die TVF saßen die Roamer in der Falle.

»Unser Krieg gegen die Hydroger gibt uns das Recht, dringend benötigtes Kriegsmaterial zu konfiszieren«, erwiderte General Lanyan. »Großzügig ausgelegt gehört euer Abschaum zur Menschheit. Ihr solltet euch schämen, weil ihr eure Pflicht nicht erfüllt.«

»Und Sie sind ein strahlendes Beispiel für Anstand und Ehre der Hanse, wie? Ihr seid nichts weiter als gemeine Diebe.«

Der auf dem Bildschirm sichtbare Lanyan lächelte kühl. »Diebe lassen sich in erster Linie von Habgier leiten. Wir hingegen haben einen legitimen Anspruch auf diese Ressourcen, und das Gesetz ist auf unserer Seite.«

»Das Gesetz? Wessen Gesetz?«

»Die Verträge, die Ihre Vorfahren unterzeichnet haben, bevor sie mit der Kanaka aufbrachen.« Lanyan zitierte die entsprechenden Texte und erklärte, welche Verpflichtungen die Ahnen der Roamer eingegangen waren. »Daran sind Sie noch immer gebunden. Auf dieser Grundlage beschlagnahmen wir Ihre Ekti-Vorräte und die Raumschiffe, die wir militärisch nutzen können.«

Manta-Kreuzer näherten sich der Station, und Lanyan fuhr fort: »Ich rate Ihnen, uns Zugang zu den Hangars zu gewähren. Wenn Sie auf stur schalten, benutzen wir unsere Jazer, um Ihr Depot wie eine Blechbüchse aufzuschneiden, und dann nehmen wir uns, was herauskommt.«

Roberto schluckte. Lanyan meinte es ernst, kein Zweifel. »Die Luken öffnen«, wies er die Hangarcrews an. »Lasst die Schurken herein.«

Ein weiteres Schiff versuchte zu entkommen, aber Remoras fingen es ab. Die kleinen Patrouillenschiffe feuerten mit ihren Jazern, zerstörten das Triebwerk des Frachters und nahmen ihn anschließend ins Schlepptau. Der Kommandant des Transporters setzte sich mit seinen Waffen zur Wehr, aber es war zwecklos. Die Tiwis übernahmen sein Schiff und verhafteten die Besatzungsmitglieder.

Roberto stöhnte. Die Mantas hatten bereits angelegt, und uniformierte Tiwi-Soldaten drangen in die Station vor, begleitet von imposanten Soldaten-Kompis. Oben glitt die zweite Hälfte des Planetoiden über das Depot hinweg und warf einen Schatten auf die Aussichtskuppel. Das Geräusch von Schritten kam aus dem Korridor – die TVF-Eindringlinge hatten das Kontrollzentrum gefunden.

Kurze Zeit später stand General Lanyan in der Tür. »Lassen Sie uns dies nicht schwerer machen als nötig.«