64 SAREIN

Als Basil sie bei Sonnenuntergang in den Dachgarten bat, prickelte in Sarein mädchenhafte Freude über ein so romantisches Rendezvous. Sie fragte sich, ob er sie mit einem guten Essen überraschen wollte, vielleicht mit Salzteich-Kaviar von Dremen und theronischen Insektensteaks aus Rlinda Ketts letzter Gourmet-Lieferung.

Dieses Bild vor Sareins innerem Auge löste sich schnell wieder auf. Sie kannte den Vorsitzenden gut genug, um zu wissen, dass er nie einen Abend damit »vergeuden« würde, einfach nur Gefallen an ihrer Gesellschaft zu finden. Es gab immer Arbeit für ihn, und deshalb vermutete sie, dass er wichtige Angelegenheiten mit ihr besprechen wollte, in einem privaten Rahmen.

Sarein spürte kurze Enttäuschung und schalt sich deswegen. Basil war immer so gewesen. Seine Tatkraft und Kompetenz hatten sie gereizt, damals, als sie zum ersten Mal zur Erde gekommen war, um zu studieren.

Genau zur vereinbarten Zeit betrat sie das Dach der Hanse-Pyramide. Die Sonne war eine messingfarbene Kugel am westlichen Horizont. Basil stand am Rand des Gartens und kehrte Sarein den Rücken zu. Die weißen Blüten in Töpfen wachsender Orangen- und Zitronenbäume lockten summende Bienen an. Kiespfade führten durch den Garten, vorbei an Anpflanzungen, deren Muster auf die Kreativität asiatischer Gärtner zurückging.

»Auf dem Tisch steht eine Karaffe mit Eistee. Schenkst du jedem von uns ein Glas ein?«, fragte Basil, ohne Sarein anzusehen. Man sagte ihm nach, Augen im Hinterkopf zu haben. »Ich glaube, es ist dein Lieblingsgetränk.«

Sie kam der Aufforderung nach und versuchte sich daran zu erinnern, wann Basil sie gefragt hatte, welchen Tee sie am liebsten trank. Sie nahm den herben Geruch von Mango und Zimt wahr. Sarein empfand den unvertrauten Geschmack als sehr angenehm, doch es blieb ihr ein Rätsel, warum Basil glaubte, sie hätte eine besondere Vorliebe für diesen Tee. Vermutlich handelte es sich um eine Art Geste, um den Versuch, die Tonart des Gesprächs festzulegen. Er wollte etwas von ihr.

Durch Basil hatte Sarein gelernt, Menschen und Politik auf eine Weise zu manipulieren, die sich kein unschuldiger Baumbewohner von Theroc vorstellen konnte. Dafür bezahlte sie mit ihrem Körper und ihrer Gesellschaft, schließlich auch mit Rat und Unterstützung. Sie gab ihm auch ihre Liebe, obwohl das natürlich geheim bleiben musste. Nie hätte sie gedacht, dass ihre Beziehung fast ein Jahrzehnt dauern würde. Jetzt bildeten sie zweifellos ein Team, obwohl sich Basil gegen diese Erkenntnis zu sträuben schien.

Trotz seiner Macht war der Vorsitzende kein Frauenheld, und Sarein bezweifelte, dass er irgendwelche Konkubinen hatte, von denen sie nichts wusste. Natürlich hätte sie sich keineswegs Eifersucht erlaubt, und natürlich hätte Basil nicht auf den Hinweis verzichtet, dass er sich keineswegs das Recht nehmen ließ, andere Frauen zu haben. Vermutlich hielt er andere Frauen einfach für zu lästig. Sarein glaubte, dass es nicht in seiner Natur lag, nach angenehmer Zerstreuung zu suchen. Sie gab ihm alles, das er sich wünschte oder brauchte, und deshalb konnte er seine Kraft auf andere Dinge konzentrieren. So lautete ihre stillschweigende Übereinkunft.

Sarein machte sich nur selten daran, ihre wahren Empfindungen für den Vorsitzenden zu analysieren. Sie blieb bei ihm, weil sie es wollte, nicht nur deshalb, weil die Beziehung zu ihm Vorteile brachte. Basil achtete sehr darauf, dass sein Herz verschlossen blieb, und es gelang ihr nie, seine innersten Gedanken zu erraten. Sie wusste, dass ihm etwas an ihr lag – er bewies es, indem er sich zurückzog, wenn sie ihm zu nahe kam. Auf diese Weise schützte er sich.

Als sie nun auf dem Dach standen, blickten sie beide zum Flüsterpalast. Basils stahlgraues Haar war perfekt gekämmt. Sein förmlicher Anzug mochte angesichts eines privaten Treffens protzig wirken, aber er trug ihn so wie andere Leute Freizeitkleidung. »Es wird Zeit, dass wir unseren Vorteil nutzen, Sarein. Du bist dran.«

Sie hakte sich bei ihm ein. »Ich bin normalerweise bereit, jeden Vorteil zu nutzen, Basil. Aber du solltest mir genauer erklären, was du meinst.«

Er wandte sich ihr zu und seufzte ungeduldig, als hätte er damit gerechnet, dass die Antwort für sie offensichtlich war. »Deine Schwester Estarra ist die Königin, und du bist jetzt die älteste Angehörige der herrschenden Familie von Theroc. Deine beiden Brüder fielen den Hydrogern zum Opfer. Deinen Eltern liegt nichts daran, erneut die Regierungsverantwortung zu übernehmen, der sie nie besonders gut gerecht geworden sind.«

»Vielleicht fehlte ihnen das… Gen für politischen Ehrgeiz, aber sie haben versucht, ihr Bestes zu geben.«

»Zum Glück weiß ich, das du dieses Gen hast, Sarein. Ich habe gründlich darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gelangt, dass es für alle Beteiligten am besten wäre, wenn du nach Theroc zurückkehrst und Anspruch auf deinen Platz als… Mutter Sarein erhebst.«

Sie wandte sich verletzt ab. »Es geht nicht darum, auf irgendetwas Anspruch zu erheben, Basil. Meine Eltern wären froh und glücklich, mir den Thron zu überlassen.«

»Umso besser.« Er trank seinen Eistee und schien die Sache für erledigt zu halten.

Zu Anfang ihrer Beziehung hatte Sarein gewusst, dass Basil sie benutzte, um Einfluss auf die widerspenstigen Theronen zu nehmen. Doch als die Hydroger-Krise andauerte, ohne dass sich eine Lösung abzeichnete, fühlte sie sich immer mehr beiseite geschoben. Wollte Basil sie auf diese Weise loswerden? Hatte sie sich irgendetwas zuschulden kommen lassen?

»Ich weiß nicht, ob ich das möchte.« Sarein hatte die von den TVF-Rettungsschiffen aufgezeichneten Bilder gesehen. Ihr stand nicht der Sinn danach, zum verbrannten Wald zurückzukehren und zu beobachten, wie erschöpfte Überlebende einer hoffnungslosen Aufgabe nachgingen. »Wenn man meine gegenwärtige Rolle hier berücksichtigt, wäre das ein… Rückschritt.«

Der Blick von Basils grauen Augen durchbohrte sie. »Für dich vielleicht, aber nicht für die Hanse. Sei nicht egoistisch.« Er strich ihr sanft über den Arm, doch Sarein sah darin keine spontane Geste der Zuneigung, sondern eine ganz bewusste Berührung, dazu bestimmt, eine Reaktion bei ihr zu bewirken. Es kostete sie erhebliche Willenskraft, den Arm nicht fortzuziehen. »Unser Gleichgewicht steht auf dem Spiel, aber wenn wir alles richtig machen – damit meine ich mich selbst, dich und alle anderen, auf die ich mich verlasse –, könnte das Ergebnis aus einer stärkeren Hanse bestehen. Es wird alles bestens laufen.«

Der Geschmack des Tees gefiel Sarein nicht mehr. »Aber nur, wenn ich die nächste Mutter von Theroc werde?«

»Das könnte der wichtigste Faktor sein. Komm, lass uns ein wenig umhergehen.« Seite an Seite schritten sie über die kurvenreichen Wege und rochen den Duft der vielen Blüten. »Ich hatte immer eine große Vision für die Menschheit. Bevor die Hydroger kamen, war es ein Traum, ein langfristiger Plan. Als der Spiralarm noch eine unbekannte Weite und die interstellare Raumfahrt nur eine vage Möglichkeit waren, schickte die Erde elf Generationenschiffe ins All, wie flügge gewordene Vögel, die das Nest verlassen. Jetzt hat sich die Situation geändert. Wir stehen einem mächtigen Feind gegenüber und müssen zusammenhalten.«

Sarein war immer von Basils Leidenschaft und seinen Träumen beeindruckt gewesen. Nie zuvor hatte sie darauf geachtet, wie er zu ihr sprach, doch jetzt gewann sie den Eindruck, dass Basil sie zu manipulieren versuchte. Normalerweise war er nicht so ungeschickt. Aber seit einiger Zeit neigte er dazu, den einen oder anderen kleinen Fehler zu machen, was sich vermutlich auf Anspannung und Stress zurückführen ließ.

»Nachdem so viele Menschen gelitten haben und so großer Schaden angerichtet wurde, wird es Zeit, reinen Tisch zu machen«, fuhr Basil fort. »Ich sehe die echte Möglichkeit, alle Gruppen der Menschheit zu vereinen, die verlorenen Kinder zurückzuholen: Theronen, Roamer, die vielen Kolonien der Hanse. Es muss vollbracht werden! Wir können die gegenwärtige Situation als Katalysator für die Einigung der Menschheit gegen die Hydroger nutzen… oder gegen irgendeinen Feind. Wer weiß, was die Zukunft bringt?«

Basil ging weiter und verfluchte den früheren Vorsitzenden Bertram Goswell, der die Trennung der Roamer vom Rest der Menschheit zugelassen hatte – für jenen Fehler hatte die Hanse einen hohen Preis bezahlen müssen. Außerdem galt Basils Groll dem alten König Ben unter dem Vorsitzenden Malcolm Stannis, der so dumm gewesen war, den Theronen ihre Unabhängigkeit zu gewähren, bevor man die Bedeutung der Telkontakt-Kommunikation erfasst hatte.

»All diese Missverständnisse haben die Menschheit geschwächt«, sagte Basil. Er blieb neben einer steinernen Sitzbank stehen, nahm aber nicht Platz. »Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, all jene Fehler zu korrigieren und die einzelnen Stücke zu einem größeren Ganzen zusammenzuführen.«

Sarein berührte die Blüten eines Zitronenbaums und dachte an einen interessanten Vergleich. »Du siehst dich als eine menschliche Version des Weisen Imperators und versuchst, die verschiedenen Stränge eines politischen Thism zu bündeln.«

Basils Gesicht wirkte fast jungenhaft. »Hmm, das gefällt mir. Ich habe den klügsten Plan für eine gute, effiziente Zusammenarbeit von uns allen. König Peter kann unser Sprecher sein, und selbst der Erzvater des Unisono hat seinen Nutzen. Die wichtigen Entscheidungen treffe natürlich ich… nachdem ich den sachkundigen Rat meiner Experten eingeholt habe, darunter auch deinen, Sarein.«

»Solange ich auf Theroc bin und nicht hier.«

Wollte er sich von ihr distanzieren? Vielleicht versuchte er, so etwas wie geistige Schadensbegrenzung zu betreiben, weil er sah, wie um ihn herum alles zusammenbrach. Vielleicht war ihm klar geworden, dass er zu sehr von Sarein abhing oder sie sogar liebte – eine solche Erkenntnis hätte ihn entsetzt. Kein Wunder, dass er sie fortschickte. Typisch für ihn.

»Na schön, Basil. Ich kehre nach Theroc zurück und versuche, die nächste Mutter zu werden.« Basils Lächeln zeigte Erleichterung und Zufriedenheit, aber keine sichtbare Wärme. Ich tue es für dich, dachte sie.