89 WEISER IMPERATOR JORA’H
Als der Weise Imperator nach seiner Rückkehr von Dobrc wieder im Chrysalissessel saß, galt es, wichtige Veränderungen einzuleiten. Jora’h beauftragte einen Kurier seine Tochter Yazra’h zu holen. Er wollte mit ihr über etwas sprechen, das ihn mehr interessierte als die endlose Folge viel zu ehrfürchtiger ildiranischer Pilger, die sich nichts mehr wünschten, als ihn zu sehen. Seit einiger Zeil schienen recht viele von ihnen von Hyrillka zu kommen; vermutlich handelte es sich um Händler, die Schiing brachten.
Die ersten Bittsteller dieses Tages warteten bereits vor dem Empfangssaal der Himmelssphäre, und Yazra’h ging an ihnen vorbei. Jeder Schritt wirkte geschmeidig. Die drei gelbbraunen, muskulösen Isix-Katzen begleiteten sie, und dabei zeigten ihre Bewegungen erneut perfekte Synchronisation. Die ildiranischen Adligen wichen furchtsam vor den Raubtieren zurück.
Der Weise Imperator setzte sich auf und lächelte. »Musst du die Katzen immer mitnehmen? Sie verängstigen meine Funktionäre.«
Yazra’h ging zum Podium empor und bedachte die Höflinge mit einem verächtlichen Blick. »Bin ich verantwortlich für ihre dumme Furcht, Herr? Ich halte die Katzen unter Kontrolle.« Als sie auf der obersten Stufe stehen blieb, setzten sich die Isix-Katzen, jeweils eine rechts und links, die dritte hinten, mit dem Rücken zu ihr. Die pantherartigen Geschöpfe waren schlank, und ihre Schnauzen liefen spitz zu, wie bei terranischen Windhunden. Wenn sie liefen, erreichten sie hohe Geschwindigkeiten – sie konnten blitzschnell angreifen und töten.
Jora’h lächelte erneut. »Trotz all der gegenwärtigen Krisen, Yazra’h… Ein Blick auf dich genügt, um mir zu zeigen, dass unser Volk die Kraft hat, mit jedem Feind fertig zu werden. Ich bedauere all jene, die es wagen, sich gegen dich zu wenden.«
Yazra’h nahm das Lob ruhig entgegen, ohne sich zu sehr darüber zu freuen. Die meisten adligen Frauen waren schöne, verwöhnte Kurtisanen, deren makellose Haut durch die Anwendung von Lotionen und photoaktiven Farben glänzte. Sie schmückten den kahl geschorenen Kopf, Hals und Schultern mit Wirbeln aus veränderlichen Pigmenten, wie Chamäleonstreifen. So hatte auch Liloa’h ausgesehen, Jora’hs erste intime Partnerin.
Yazra’h hingegen bot ein ganz anderes Erscheinungsbild. Sie hatte ihr bronzefarbenes Haar zu einer langen, offenen Mähne wachsen lassen. In ihren Rauchtopasaugen schimmerte ein wildes Licht. Zwar hatte sie immer Gelegenheit, sich unter adligen Frauen aufzuhalten, aber sie trainierte lieber mit Ildiranern des Soldaten-Geschlechts, entwickelte ihre Reflexe, verbesserte ihr Kampfgeschick und sorgte dafür, dass ihr Körper schlank und kräftig blieb. Ihre Aktivitäten hätten eine andere Adlige zu einer Ausgestoßenen gemacht, aber der Tochter des Weisen Imperators sah man solche Exzentrizitäten nach.
Jora’h wusste, dass Yazra’h gut mit Waffen umgehen konnte, obwohl sie körperlich nicht so stark war wie ein Soldat. Sie hatte sich viele intime Partner genommen, alles Ildiraner des Soldaten- oder Wächter-Geschlechts. An Adligen, schwachen Beamten oder gedankenverlorenen Angehörigen des Linsen-Geschlechts zeigte sie kein Interesse. Einmal hatte Jora’h sie darauf angesprochen und zur Antwort bekommen: »Ich fürchte, sie zu zerbrechen, Vater.«
Yazra’h schüttelte ihr langes Haar zurück und begegnete Jora’hs Blick. »Es ehrt mich immer, wenn du mich zu dir rufst. Wie kann ich dir heute zu Diensten sein, Vater?« Der Weise Imperator empfand es als erfrischend, dass sich jemand direkt an ihn wandte. Draußen standen noch immer die Pilger von Hyrillka, und die Adligen gingen wieder ihren Pflichten nach, obwohl sie gelegentlich besorgt zu den Isix-Katzen sahen.
Jora’h beugte sich im gepolsterten Chrysalissessel vor. »Ich möchte von dir hören, was du von der gegenwärtigen Rolle der Frauen in der ildiranischen Gesellschaft hältst, Yazra’h. Ich glaube, du hast in dieser Hinsicht etwas andere Vorstellungen als die meisten Ildiraner.«
»Das stimmt. Die Frauen der niedrigen Geschlechter wie zum Beispiel der Arbeiter, Bediensteten und Soldaten werden als Ebenbürtige behandelt und leisten ebenso viel Arbeit wie die Männer. Aber sieh dir nur die höheren Geschlechter an, die Adligen und Beamten…« Yazra’h blickte voller Verachtung durch den Saal. »… die Höflinge. Was machen ihre Frauen? Sie sind nicht mehr als… Dekoration, und sie sind auch noch stolz darauf. Wenn sie wirklich so hoch entwickelt und intelligent sind, sollten sie mehr für die Gesellschaft leisten.«
Jora’h lächelte einmal mehr und wusste, dass diese Worte bei vielen Ildiranern Entsetzen bewirkt hätten. »Und was ist mit dir selbst, Yazra’h? Glaubst du, der Gesellschaft gute Dienste leisten zu können?«
»Das habe ich bereits, und so soll es auch weiterhin sein.«
»Also sollten wir vielleicht bei dir beginnen. Unser Reich ist in Schwierigkeiten. Durch das Thism spüre ich, dass viele Dinge falsch laufen. Selbst hier im Prismapalast werden Stimmen laut, die mir raten, auf der Hut zu sein. Ich bin geneigt, diesen Rat zu beherzigen, obgleich ich mir nicht vorstellen kann, dass sich mein Volk gegen mich wendet.«
»Nach dem, was ich in der Saga gelesen habe, kam es in unserer Vergangenheit zu vielen unvorstellbaren Ereignissen«, sagte Yazra’h.
Jora’h lehnte sich im Chrysalissessel zurück und freute sich darüber, dass seine Tochter die Saga selbst las, anstatt sich nur mit den dramatischen Erzählungen der Erinnerer zu begnügen. »Yazra’h, viele Ildiraner des Wächter-Geschlechts wachen über mich, aber mein Vater wählte Bron’n als seinen persönlichen Leibwächter. Bron’n war letztendlich für die Sicherheit des Weisen Imperators verantwortlich. Ich habe noch nicht bekannt gegeben, wer mir solche Dienste leisten wird.«
Yazra’hs Blick war ernst. »Du solltest nicht zu lange warten, Herr. Ich biete dir meinen Rat an. Ich kenne viele Wächter und kann dir sagen, wer die zuverlässigsten und stärksten sind, wer sich am besten für dich eignet.«
Jora’h winkte mit der einen Hand. »Ich bin nicht an ihnen interessiert. Meine Wahl steht bereits fest.« Yazra’hs Gesicht zeigte weder Ärger noch Enttäuschung darüber, dass ihr Vater sie nicht konsultiert hatte. »Ich habe mich für dich entschieden, Yazra’h. Du sollst meine persönliche Leibwächterin sein.«
In den Augen der jungen Frau rangen Sorge und Hoffnung miteinander. »Aber, Vater… es gibt viele besser geeignete Kämpfer.«
»Ich habe dich beim Training beobachtet, Yazra’h. Ich weiß, dass du ausgezeichnet mit Waffen umgehen kannst.« Jora’h lächelte stolz. »Außerdem: Würde eine Tochter nicht alles tun, um ihren Vater zu schützen? Das Thism zeigt mir, dass an deiner Loyalität kein Zweifel besteht.«
Yazra’h erhob keine weiteren Einwände. Sie beide wussten um die offensichtlichen Nachteile. Die Wahl einer Frau zur persönlichen Leibwächterin des Weisen Imperators – noch dazu einer Frau, die nicht dem Soldaten-Geschlecht angehörte, sondern dem des Adels – würde zu erregten Debatten im Reich führen. Die Adligen im Prismapalast waren bereits bestürzt, weil Jora’h mit der Tradition brach: Er saß nicht die ganze Zeit über im Chrysalissessel und ging auf seinen eigenen beiden Füßen im Palast umher; er verließ Ildira, um Dobro zu besuchen; und jetzt wählte er seine Tochter für einen Posten aus, der immer einem anderen Geschlecht vorbehalten gewesen war.
Yazra’h vollführte eine knappe Geste, und sofort standen die Isix-Katzen auf. Muskeln zuckte unter ihrem goldenen Fell, als sich die drei Tiere dem Weisen Imperator zuwandten. »Es ist mir eine große Ehre, deine Leibwächterin zu sein, Herr«, sagte Jora’hs Tochter. »Ich werde dich nie enttäuschen und dich bis zum letzten Atemzug verteidigen. Ich werde dafür sorgen, dass du stolz auf mich sein kannst.«
»Ich weiß. Deshalb habe ich dich gewählt.«