21 ORLI COVITZ

Die graue und wolkige Welt Dremen war schon vor dem Hydroger-Krieg ihre Heimat gewesen, aber Orli Covitz hielt jeden anderen Planeten für besser, obwohl sie mit ihren vierzehn Jahren kaum Vergleichsmöglichkeiten hatte.

Ihr Vater hatte sie damals hierher gebracht, als sie erst sechs gewesen war, in der Absicht, einen Traum zu verwirklichen. Jan Covitz hielt die ganze Zeit über an einem unerschütterlichen Optimismus fest, doch Orli wusste inzwischen, dass die Anstrengungen ihres Vaters trotz seiner guten Absichten nie zu großen Ergebnissen führten. Sie liebte ihn trotzdem, denn sie wusste auch: Er glaubte fest daran, irgendwann den Topf Gold am Ende des Regenbogens zu finden, wenn er nur lange genug suchte.

Orli behauchte ihre kalten Finger, um sie zu wärmen, als sie mit ihrem Vater auf den schlammigen Feldern stand, die sie für sich in Anspruch genommen hatten. All dieses Land war verfügbar gewesen, weil sich die anderen Bauern auf Dremen nicht dafür interessierten. Das hätte der erste Hinweis sein sollen, aber Orlis Vater war sicher gewesen, dass sie beide etwas damit anfangen konnten. Jan und seine Tochter bildeten ein Team.

Sie waren als Nachzügler auf Dremen eingetroffen. Die ersten Familien hatten sich vor hundertzehn Jahren auf diesem Planeten niedergelassen und ihre Ansprüche angemeldet. Viele von ihnen führten sich bereits wie Snobs auf und hielten sich nach nur wenigen Generationen für echten Adel. Orlis Vater hatte dem hochmütigen Getue keine Beachtung geschenkt, das zur Verfügung stehende Land akzeptiert und versucht, das Beste daraus zu machen. Er ging mit großem Fleiß und viel Überschwang vor, aber ohne einen Plan. Achteinhalb Jahre lang hatte er hart gearbeitet und immer wieder gesagt: »Im nächsten Jahr wird es besser. Dann schaffen wir es bestimmt, Orli.«

Doch in diesem Jahr kam das Pilzfeld einer Katastrophe gleich.

Der Boden war feucht und matschig; hier und dort gab es Pfützen aus torfbraunem Wasser. Viele der Riesenpilze waren gefällt, die zarten Kappen geerntet, aber bei den meisten hatten sich die Lamellen geöffnet – die darin enthaltenen Sporen verdunkelten das Pilzfleisch mit tintenartigen Rückständen und gaben ihm einen unangenehmen Geschmack.

Jan schob seinen Spaten in den weichen, kalten Schlamm und lächelte zuversichtlich. »Wir retten einen Teil hiervon, Orli. Mindestens fünfzehn Prozent.«

Sie erwiderte das Lächeln. »Vielleicht sogar zwanzig Prozent, wenn das Wetter hält.«

Aber auf Dremen hielt das Wetter nie.

Orli wischte sich die Stirn ab und strich das dunkle Haar zurück. Sie hätte ihr braunes Haar gern so lang wachsen lassen wie einige der hochnäsigen Kolonistentöchter, aber mit ihrem spitzen Kinn, der kecken Nase und den großen Augen hätte langes Haar sie genauso aussehen lassen wie ihre Mutter auf den Bildern. Jan sprach nie über seine Frau in der Ferne – sie hatte sie vor langer Zeit verlassen, nachdem ein weiteres Projekt ihres Mannes gescheitert war. Orli wollte ihren Vater nicht an sie erinnern, und deshalb hielt sie ihr Haar kurz.

Sie wusste nicht, warum ihr Vater beschlossen hatte, sich ausgerechnet auf Dremen niederzulassen. Es war eine kalte Welt mit grauem Himmel. Die Leuchtkraft der veränderlichen Sonne hatte im Lauf von Jahrzehnten zugenommen und das Leben fast angenehm gemacht. An Wasser mangelte es Dremen nicht. Auf den Kontinenten gab es viele seichte Seen, deren Feuchtigkeit schnell und leicht verdunstete, wodurch sich oft Nebel und Regen bildeten. Holzpflanzen hatten sich hier nie entwickelt. Moose und ledrige Flechten bedeckten den Boden dort, wo sich keine kalten Sümpfe erstreckten.

Doch als Orli und ihr Vater eingetroffen waren, nahm die Leuchtkraft der veränderlichen Sonne ab. Jahr um Jahr war es kälter geworden, mit immer eisigeren Wintern. Während früherer abnehmender Phasen hatten sich Dremens Siedler auf Hilfslieferungen der Hanse verlassen können. Doch diesmal war wegen des Hydroger-Embargos alles anders.

Mit großen Hoffnungen hatte sich Jan mit Dremens Klima und Meteorologie befasst und einige Investoren davon überzeugt, dass sich in der feuchten, trüben Umgebung gentechnisch veränderte Pilze besser anbauen ließen als Getreide. Aus den importierten Sporen wuchsen große Blätterpilze, die essbares Fleisch lieferten, das zwar zäh und fad war, aber reich an Nährstoffen. Nach der Vorbereitung der Felder machte sich Jan mit allem Eifer ans Pflanzen. Wieder zeigte er zügellosen Optimismus.

Die erste Ernte ging weit über seine kühnsten Erwartungen hinaus, aber unglücklicherweise hatte er sich nicht darauf vorbereitet. Es gab nicht genug Arbeitskräfte oder automatische Maschinen, um die Pilze zu fällen, ihr Fleisch zu ernten und zu konservieren. Die Pilze wuchsen rasch, aber sie verwelkten ebenso schnell. Es kam auf das richtige Timing an.

Jan und Orli hatten rund um die Uhr geschuftet, bis zur Erschöpfung, doch die halbe Ernte war verfault. Jan war in die Stadt geeilt und hatte um Hilfe gebeten, konnte aber niemanden für die Arbeit auf den Feldern bezahlen. Schließlich war ihm nichts anderes übrig geblieben, als sein Land zu öffnen und allen Leuten die Möglichkeit zu geben, sich so viel zu nehmen, wie sie wollten – in der Hoffnung, wenigstens das Wohlwollen der anderen Kolonisten zu gewinnen, wenn er schon kein Geld bekam.

Die nicht geernteten Pilze auf den Feldern gaben ihre Sporen frei und sanken in den Morast. Während der nächsten Saison wuchsen noch mehr Pilze, reiften… und verfaulten.

Für Jan und Orli gab es zwar viel zu essen, aber sie hatten Dremens Nachfrage nach essbaren Pilzen überschätzt. Den Geschmack mochte eigentlich niemand, und nur wenige waren bereit, dafür zu bezahlen.

Dann brachte die abnehmende Phase immer kältere Winter, und aus dem bereits kalten Nebel wurde Graupel, und die Sümpfe verwandelten sich allmählich in Schneefelder. Während der letzten beiden Jahre war Orlis Welt ein frostiges, schmutziges Durcheinander gewesen. Als sie und ihr Vater jetzt über die Pilzfelder stapften, bedeckte eine dünne Eisschicht die Pfützen.

Orli blieb stehen und sah zu den Transportbehältern mit dem Pilzfleisch, das sie geschnitten und gestapelt hatten. »Wenn es wieder warm wird, sollten wir etwas anderes anbauen, Vater.«

»Ich habe schon darüber nachgedacht. Die traurige Tatsache ist: Wir werden diese Pilze nie wieder los. Wir müssten alles anzünden, um den Boden vorzubereiten und alle ruhenden Sporen abzutöten. Ich fürchte, wir sitzen auf den Pilzen fest.«

»Dann werde ich versuchen, neue Rezepte zu entwickeln.«

»Lass dich aber nicht zu lange von deiner Musik abhalten.« Jan wölbte die Brauen. »Eines Tages wirst du eine berühmte Konzertmusikerin sein, das weiß ich.« Sein Kompliment wärmte Orli das Herz, obwohl sie nicht wusste, wie sie auf Dremen den großen Durchbruch erzielen sollte.

Sie wollte seiner Fröhlichkeit jedoch keinen Dämpfer versetzen. »Eines Tages.«

Sie gingen zu den vollen Behältern und schlossen sie, um sie vor dem Wetter zu schützen. »Genug für heute, Mädchen. Lass uns heimkehren. Du verdienst eine Pause.«

»Und ich muss die Hausaufgaben erledigen.«

»Nach dem Essen nehme ich an einer Versammlung in der Stadt teil. Die hohen Tiere entscheiden dort darüber, wie die Probleme dieser Welt zu lösen sind.«

»Ich dachte, du hättest bereits alle Probleme gelöst.«

»Das habe ich, aber man hört nie auf mich. Das hat sich bei der letzten Wahl herausgestellt.« Jan zerzauste ihr so das Haar, als wäre sie noch ein kleines Kind.

In ihrem kleinen Haus am Rand des kalten Sumpfs fehlte Luxus, aber dafür gab es zahlreiche gemütliche Dinge. Orli war in den größeren Häusern von Kolonisten gewesen, die seit langem auf Dremen lebten, und sie hielt ihr eigenes Zuhause für wohnlicher. Sie nahmen die Rucksäcke ab, Jan schaltete die Heizung ein, und Orli machte sich daran, das Essen zuzubereiten.

Eine gedruckte Werbemitteilung über die neue Transportal-Kolonisierungsinitiative der Hanse erwartete sie. Jan Covitz gab vor, sie nicht zu bemerken, aber Orli sah, wie es in seinen Augen aufleuchtete.