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»Sie soll im Krankenhaus warten.«
»Kjell sagt, du sollst im Krankenhaus warten«, trug
Barbro weiter und legte bald auf. Dann saßen sie erstmal nur da.
Kjell hatte alles über die Lautsprechertaste mit angehört und sein
Gesicht in die Handflächen gelegt.
Zweimal gleich innerhalb weniger Tage musste er das
mitmachen. Für Männer war es noch viel schlimmer, erst nach der
Gefahr von allem zu erfahren. Der Beschützerdrang konnte sich dann
direkt in eine solche Wut verwandeln, dass er Lust und Energie
verspürte, ins Sankt Görans zu fahren, um Sofi eine Ohrfeige zu
verpassen. So groß war sein unerfüllter Wille, sie zu
beschützen.
Sie hatten geglaubt, dass Sofi im dritten Stock
eine warme Dusche nahm.
»Was hätte sie schon tun sollen?«, sagte Barbro und
seufzte.
Er rieb sich mit den Handflächen über das Gesicht.
Er hatte auf nichts mehr eine Antwort.
Barbro nahm den Hörer ab, um beim Einsatzkommando
anzurufen. Die beiden Säpo-Agenten, die seit Tagen vor Rosenfeldts
Haus nur ein paar Schritte vom Ufer entfernt parkten, hatten den
Alarm ausgelöst. Sie mussten direkt in der Schusslinie gesessen
haben. Inzwischen hatten die Techniker begonnen, das Ufer zu
untersuchen und bereits herausgefunden, dass der Schuss aus einiger
Entfernung abgegeben worden sein musste.
Barbro fragte sich laut, welchem Ziel das Treffen
hatte dienen sollen. Sofi war mit der Erwartung aufgebrochen, dort
etwas übergeben zu bekommen. Doch bei dem Jungen hatte man nichts
gefunden, und der Täter konnte nicht in seine Nähe gekommen
sein.
»Vielleicht wollte er eigentlich zu Rosenfeldt«,
vermutete Kjell. »Oder zum Polizeigebäude. Dann hat er bemerkt,
dass ihm jemand auf den Fersen war. Also beschloss er, lieber im
Schutz der Spaziergänger zu bleiben und die Polizei zu ihm zu
locken.«
»Ob Josefin auch dort war?«, fragte Barbro.
»Frag dich lieber, wer der Tote aus dem
Kronobergspark war.«
»Klaras Mörder. Das behauptet jedenfalls der
Junge.«
Der Junge, der behauptete, Aisakos zu sein.
Kjell legte die Hand auf das Fax. »Was hat das
alles mit dieser Agentur zu tun?«
»Wenn der Junge Aisakos ist und die Briefe
geschrieben hat, dann muss er etwas mit der Agentur zu tun haben,
oder?«
»Ich muss mit dem Ankläger sprechen, kannst du zu
Sofi fahren?«
Nach Barbros Aufbruch rief Kjell sogleich Ragnar
an, wo doch jetzt alles auf eine Firma hinauslief. Ragnar leitete
wie Kjell eine der autonomen Ermittlungsgruppen, die sich jedoch
mit Wirtschaftskriminalität beschäftigte. Er besaß die Fähigkeit
und Fantasie, in kurzer Zeit zu durchblicken, was in einer Firma
vor sich ging. Kjell fand das verwunderlich, denn Ragnar war ein
Mann, dem man seine moralischen Grundsätze äußerlich ansah. Er
sprach stets mit Ernsthaftigkeit über alles und trug dabei eine
Brille mit bernsteinfarbenem Horngestell auf der Nasenspitze.
Ragnars Stimme klang müde. Er war bereits in einem
Alter, wo die Kurve zu einer gewissen Uhrzeit steil abfiel. Im
Hintergrund erkannte Kjell die Spätnachrichten. Wahrscheinlich
hatte er ein Glas warmer Milch in der Hand.
»Wie schnell kannst du hier sein?«, fragte Kjell
und wies dann noch auf den Ernst der Lage hin. Nach dem Auflegen
eilte er zum Ankläger, um die nötigen Unterschriften zu bekommen.
Zuerst musste er herausfinden, ob der Junge aus Skarpnäck mit dem
Namen David Schumann für Jernberg, Fägerskiöld &
Maurizon arbeitete oder ob es eine andere Möglichkeit gab, wie
er an die Schrift gekommen sein konnte. Bereits nach einer
Viertelstunde erschienen zwei Mitglieder aus Ragnars Gruppe im
Büro.
Nach einer genauen Lektüre des Firmenprofils und
aller anderen Auskünfte auf der Internetseite der Firma hätte Kjell
nicht einmal grob sagen können, womit das Unternehmen sein Geld
verdiente. Dort war von Risikomarkt, Investorenbeziehungen,
Kapazitäten, Ratings, finanzieller Performance, Marktteilnehmern
und Einschätzungen die Rede. Ob Ragnars Leute mit diesen Begriffen
etwas anzufangen wussten, blieb offen, denn sie kannten das
Unternehmen ohnehin bereits. Wenn im Ostseegebiet Frachtgut,
Schiffe und Mannschaft versichert werden mussten, was immer der
Fall war, dann handelte JFM die Versicherung aus. Dazu benötigte
die Agentur Büros in Stockholm, Malmö, Göteborg, London und
Amsterdam. Zudem besaß sie kleine Niederlassungen in den großen
Häfen dieser Welt, wie in Casablanca, Genua oder Sydney.
»Traditionell sind sie im Ostseegeschäft«, sagte
Sigurd, einer der älteren Ermittler, der zwei Wochen vor der
Pensionierung stand. »Sie versichern das ganze Fährgeschäft. Die
Firma wurde 1971 gegründet und durch sehr langfristige Verträge mit
Schiffs- und Fluggesellschaften aus den Anfangsjahren sehr
wohlhabend. Fägerskiöld ist bereits Ende der Achtziger ausgetreten.
Maurizons Anteil hat sich vor sieben Jahren von 33 Prozent auf zehn
verringert, wahrscheinlich ist er nur noch stiller Teilhaber. Die
drei müssen alle recht alt sein. Als Geschäftsführer ist Stavros
Jernberg eingetragen. Das ist der Sohn von Yngve Jernberg, der Ende
der Neunziger die Führung an ihn übergeben hat.«
Wenn die Buchhaltung am Sergels Torg lag, überlegte
Kjell, dann ließ sich auch nur dort erfahren, ob David Schumann bei
der Agentur angestellt war. »Versuch mal, diesen Jernberg
anzurufen.«