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Henning Larsson verriegelte den Wagen mit einem
Piep und blickte an der Fassade des alten Rundturms hinauf. Die
Justizkanzlei lag an der Nordspitze von Riddarholmen mitten im
Fjord. Henning fühlte eine Wesensverwandtschaft mit dem Turm, der
der Sage nach an der Stelle stand, wo einst die auf dem Wasser
treibende Holzplanke an Land getrieben war. Das hatte Stockholm
seinen Ursprung und seinen Namen eingebracht. Trotz der vier Etagen
wirkte der Turm breit und gedrungen, weil er zu beiden Seiten von
stattlichen Gebäuden umschlossen wurde. Das gelbe Haus, das an den
Turm anschloss, gehörte auch zur Kanzlei.
Wenn es möglich war, kam Henning immer durch die
Hintertür. Deswegen hatte er hier am Ufer geparkt und musste jetzt
eine enge Steintreppe hinaufsteigen, um zum Eingang zu gelangen.
Die Holztür war nicht verschlossen, aber als Henning die
Eingangshalle betrat, bremste ihn eine Panzerglaswand, die die
Halle in einem Viertelkreis durchschnitt. Er hatte nicht damit
gerechnet, hier eine Baustelle vorzufinden. Der Boden war mit Pappe
bedeckt, und vor den Türen hingen Schutzfolien, die den Baustaub
davon abhalten sollten, in alle Räume zu ziehen. Es roch nach
feuchtem Mörtel. Aus dem Turm drang der Krach einer
Kreissäge.
Henning wandte sich dem kleinen Fenster in der Wand
zu. Dahinter lag die Kammer für Post und Rezeption. Henning konnte
keinen Menschen entdecken und klopfte gegen die Glaswand, erst mit
dem Knöchel seines Zeigefingers und bald mit der flachen Hand.
Nichts rührte sich. Als er gerade in Versuchung geriet, sich über
die Ausgabe von Dagens Industri herzumachen, die auf dem Wartetisch
lag, huschte jenseits der Glaswand eine Frau vorbei. Henning hüpfte
wie ein Kind, das aus dem Kindergarten abgeholt werden will.
Die Frau schrak zusammen und eilte zur Tür. Henning
hielt ihr seinen Ausweis hin.
»Entschuldigung! Im März ist ein Verrückter mit
einem langen Messer drüben durchs Hofgericht gelaufen. Da haben
auch wir hier eine Scheibe bekommen. Ludmilla Kaleberg. Ich führe
die Kanzlei.«
Sie gaben sich die Hand.
»Wir sind alle unten im Keller«, fuhr Ludmilla
fort. »Da hören wir dich natürlich nicht.« Sie reichte ihm die Hand
und führte ihn zur Wendeltreppe.
Es herrschte mittelalterliche Enge. Der Baulärm
allein genügte, einen in den Wahnsinn zu treiben, dachte Henning,
nun kamen noch die schlechten Nachrichten dazu. Auf der Treppe
musste er sich zur Seite drehen, ducken und bücken wie eine
Schrankwand beim Umzug. Er fragte sich, was aus Schweden würde,
wenn die Regierung einen wie ihn zum Justizkanzler ernannte. Er
wäre unbestechlich, könnte aber sein Büro nicht betreten. Am Ende
des Kellers drang schwaches Licht aus einem runden Durchgang.
»Das ist unser Archiv.«
Mit eingezogenem Kopf folgte Henning in das
niedrige Gewölbe. Obwohl das Gebäude so nah am Wasser stand, roch
es hier unten wie in einem stickigen Dachstuhl. Sieben Leute,
beinahe die Hälfte der Belegschaft, standen, saßen oder knieten vor
den Regalen und waren in Akten vertieft. Rosenfeldt stand lesend
da. Zwischen seinen Scheitel und die Decke passte gerade eine
flache Hand.
»Was ist geschehen?«, fragte Henning. »Was habt ihr
herausgefunden?«
»Wir glauben, dass Josefin hier unten gewesen ist«,
sagte Rosenfeldt mit großer Konzentration. Um seine Augen lagen
trichterförmige Schatten. »Jonas erinnert sich, dass er an jenem
Tag Licht im Keller gesehen hat.«
Ein junger Mann, der dicht vor einem Regal auf dem
Boden kniete, nickte und stand auf. »Ich bin der Referent. Mein
Büro liegt unten im Erdgeschoss. An jenem Tag haben nur vier Leute
gearbeitet. Bei der Treppe schien Licht herauf, als ich vorbeiging.
Ich dachte erst, jemand hätte es aus Versehen angelassen. Bevor ich
das Licht ausschaltete, hörte ich jedoch Geräusche.«
»Hast du sie denn gesehen?«, fragte Henning.
»Ich bin ihr an dem Tag überhaupt nicht
begegnet.«
»Das kam erst vorhin raus«, erklärte Rosenfeldt.
»Wir haben versucht, die Zeit ihres Besuches zu rekonstruieren.
Niemand von uns war an diesem Tag hier unten.«
»Und die Bauarbeiter?«
»Die arbeiten im Turm und schaffen einen Durchgang
zum Hauptgebäude.«
»Und ihr glaubt, dass sie im Archiv gewesen ist?
Ist das eure Entdeckung?«
»Nein, das ist die Schlussfolgerung. Komm
mit.«
Henning folgte Rosenfeldt die Wendeltreppe hinauf
in das Obergeschoss. Rosenfeldt erklärte ihm, dass der angrenzende
Turm bisher noch gar nicht genutzt wurde. Erst wenn die Arbeiten
fertig waren, würde er sein Arbeitszimmer dorthin verlegen. An
seinem jetzigen Büro war nur die Aussicht auf das Stadthaus und die
Westbrücke in weiter Ferne spektakulär. Rosenfeldt rief Ludmilla
Kaleberg und bot Henning mit einer Geste an, auf dem Besucherstuhl
vor dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Auch Rosenfeldt setzte sich.
Er nahm das aufgeschlagene Ringbuch, das vor ihm lag, und drehte es
zu Henning.
»Das hier ist mein Kalender.«
Die Doppelseite war in fünf Spalten für die
Arbeitstage der kommenden Woche gegliedert. Sie waren alle leer,
nur der Montag war belegt von einem Eintrag, der nur aus einem Wort
bestand: Jossan.
»Ist das ihre Handschrift?«
Rosenfeldt nickte.
»Sie war kurz im Büro«, sagte Ludmilla. »Nur da
kann sie es eingetragen haben.«
Rosenfeldt deutete auf den Kalender. »Ich wollte am
Sonntag zurückkommen. Für die erste Woche waren keine Termine
vorgesehen.«
»Ist es denn üblich, dass sie Termine mit dir
vereinbart?«
Ȇberhaupt nicht. Sie muss nur anrufen, wenn sie
mich sehen will, oder kann einfach vorbeikommen. Das ist der
offizielle Kanzleikalender. Sie würde ihn nie anrühren. Wir
befürchten, dass sie erpresst worden sein könnte und Daten
entwendet hat.«
»Kennt sie sich denn dort unten aus?«
»Leider ja«, antwortete Rosenfeldt. »Sie hat ein
Praktikum gemacht und hilft gelegentlich in der Registratur aus,
wenn wir jemanden brauchen. Es gibt noch zwei Angestellte mit
studierenden Kindern, und wir bevorzugen aus Gründen der Diskretion
immer Aushilfen, die wir kennen.«
»Heißt das, dass wir ihre Fingerabdrücke auf jeden
Fall dort unten finden werden?«
Rosenfeldt nickte.
Henning blickte auf den Kalender und blätterte zur
folgenden Woche weiter. Dort gab es schon einige Termine.
»Entwendet? Kann sie nicht auch etwas kopiert haben?«
»Der Kopierer steht oben«, sagte Ludmilla. »Das
hätten wir bemerkt.«
Henning spürte, wie sich ein Druck von allen Seiten
auf seinen Brustkorb legte. Er hatte sich verschätzt. »Ich glaube
es nicht.«
»Dass sie etwas entwendet hat?«
Henning nickte und tippte auf Josefins Eintrag im
Kalender. »Ihr solltet lieber prüfen, ob sie etwas hinzugefügt
hat.«