48
Kjell riss beherzt die Tür auf und trat in Verhörraum drei, mit nichts anderem als dem zusammengerollten Plakat in der Hand und ein paar flüchtigen Ideen im Kopf. Zuerst fragte er sich, ob der schwarze Pullover wirklich ihr gehörte. Amelie hatte ihn schon im Haus getragen. Kjell nahm ihr gegenüber Platz und rollte das Plakat auf.
»Wir möchten alles über die Vierte Schwesternschaft von dir wissen«, sagte er.
Amelie Heidvall schnaufte auf eine Weise durch die Nase, die der von Linda in solchen Situationen ganz ähnlich war. »Das hat nichts mit der Sache zu tun«, behauptete sie nach vier Sekunden.
Sie war schnell im Denken, vielleicht, weil sie so entschieden war. Das hatte er ihr schon im Haus angesehen. Dass die Dinge ihr so früh klar waren, wurde ihr jetzt zum Verhängnis. Was für eine glückliche Fügung, erkannte Kjell. Weil Sofi und er so überrascht gewesen waren, einen hohen Richter zu finden, hatten sie ihre Aufmerksamkeit im Haus ganz auf ihn gerichtet. Amelie war gelassen dagesessen und hatte genau beobachtet. Und daraus die falschen Schlüsse gezogen.
»Es ist genau umgekehrt«, erwiderte Kjell, obwohl er das noch nicht mit Sicherheit wissen konnte. »Ahnlund hat nichts mit der Sache zu tun. Ich möchte von dir wissen, was diese Schwesternschaft ist, wer dazugehört und wie viele von diesen Plakaten existieren.«
»Vierhundert.«
Das Plakat war anscheinend nicht so wichtig, überlegte Kjell. Wenn er doch nur diese lästige Unruhe abstreifen könnte. Amelies Haare glänzten in dem künstlichen Licht umso schwärzer. Das Schwarz war auch künstlich und hatte keine Ähnlichkeit mit dem von Sofi. Im Gesicht war sie eine strenge Schönheit, und es fiel ihr bestimmt nicht schwer, alle Männer dazu zu bringen, an ihrer Seite unglücklich sein zu wollen. Wahrscheinlich hatten sie all diese Faktoren ganz zielstrebig zu ihrem jetzigen Leben geführt, die Ideologisierung und Verklärung dieser Lebensführung war wie bei den meisten Menschen ein später Anbau. Obwohl er sie in einem ungeschminkten Moment verhaftet hatte, funktionierten ihre Gesten eindrucksvoll gut.
»Vierhundert Exemplare gibt es also davon, verstehe ich dich richtig? Zu welchem Zweck?«
»Es ist ein Kunstprojekt.«
»Schon klar. Du hast dir bestimmt viel Mühe gegeben. Ich will dennoch wissen, was dahinter steht.«
»Provokation.«
»Amelie, du solltest nicht mit mir hier allein in diesem Raum sein, wenn ich mich richtig provoziert fühle.«
»Ich will sofort mit einem Anwalt sprechen. Außerdem will ich wissen, was mir eigentlich vorgeworfen wird.«
Das war jetzt ihr letztes Aufgebot.
»Der Reichsankläger hat dich als verdächtige Person eingestuft. Wir glauben, dass du Teil einer Organisation bist, die für die Entführung von Josefin Rosenfeldt verantwortlich ist.«
»Josefin Rosenfeldt. Ich kenne überhaupt keine Josefin Rosenfeldt.«
»Josefin Rosenfeldt ist die Tochter des Justizkanzlers Lennart Rosenfeldt, und in ihrem Zimmer hängt dieses Plakat hier. Ich will von dir wissen, wie es dorthin gekommen ist.«
 
Sten Haglund stand einen Schritt vor Barbro und Henning ganz dicht an der Spiegelscheibe und wippte mit den Fersen auf und nieder. Sofi saß auf dem Stuhl in der dunkelsten Ecke und war damit beschäftigt, geräuschlos die Folie von ihrem Schokoladenriegel zu reißen. Es war schon der zweite.
Schweigend folgten alle dem Verhör, das genau den Verlauf nahm, den sie erwartet hatten.
»Verdammt!«, zischte Barbro leise. »Sie weiß nichts.«
»Doch, doch«, flüsterte Henning. »Sie weiß schon etwas. Aber sie wird es nicht so leicht preisgeben.«
Sten trat einen Schritt zurück. »Wir müssen das heute noch herausbekommen. Ihr seid schon im siebten Ermittlungstag. Das mit der Schwesternschaft holt ihr heute aus ihr raus.«
Sten drehte sich zum Gehen. In der offenen Tür wandte er sich noch einmal um. »Ach ja, Setterlind, deine Flitterwochen mit Oskar Rosenfeldt sind ab sofort beendet. Beim nächsten Bericht kannst du deine Sachen packen und wieder in die neunte Klasse gehen, wo du mit Leuten deiner Reife zusammen sein kannst. Ist das klar?«
»Ja«, antwortete Barbro wie aus der Pistole geschossen. Sie stand reglos da, mit durchgedrücktem Kreuz.
Henning legte Barbro seine Hand auf den Rücken. »Hast du nicht daran gedacht, dass die Säpo an ihm klebt?«
Barbro antwortete nicht und starrte durch die Scheibe.
Henning legte jetzt den ganzen Arm um sie. »Was machst du denn?«, brummte er.
Ihre Stimme klang hart. »Ich habe jemand gefunden, der wie ich ist.«
»Aber Oskar ist nicht wie du.«
»Ich weiß auch nicht.«
»Barbro!«, flüsterte Sofi von ihrem Stuhl aus. »Dein Stichwort ist gerade gefallen.«
Barbro löste sich von Henning und drückte die Glastür auf.
Barbro ging in gerader Linie zum Tisch und setzte sich neben Kjell. Sie öffnete die Mappe mit den Präsentationsfolien und drehte sie in einem perfekten Schwung in Amelies Richtung.
»Wir haben in deiner Wohnung komplette Aufbereitungen der Presseberichte zu neunzehn Rechtsfällen aus diesem Jahr gefunden. In all diesen Fällen geht es um sexuelle Nötigung oder mehr. Uns ist aufgefallen, dass in all diesen Fällen ein ungeklärtes Element in der Ermittlungskette auftritt. Du verstehst sicherlich, wovon ich rede. In zwölf Fällen haben wir es mit bewaffneten Überfällen auf Personen zu tun, die wegen Sexualdelikten verurteilt oder angeklagt waren. Darüber hinaus haben wir eine recht umfangreiche Liste von E-Mail-Adressen bei dir gefunden. Diese hier gehört einer Siri Wardsjö aus Halmstad. Sie steht im Verdacht, vor zwei Jahren mit drei anderen Frauen in ihrem Alter den Naturkundelehrer ihrer Schule überfallen und dabei verletzt zu haben. Das ist nur ein Beispiel. Wir werden uns alle Leute auf dieser Liste ansehen, sie observieren und im Verhör danach fragen, ob sie auch wie du als Prostituierte arbeiten. Wir haben alle deine Freizeitfreunde aufgesucht und Anzeige gegen sie wegen Verstoßes gegen das Prostitutionsverbot erhoben. Schönen Abend noch!«
Barbro stand mit einem Ruck auf, raffte ihre Sachen zusammen und verließ den Raum. Amelie war Barbros Blitzvortrag mit eifriger Pupillentätigkeit gefolgt und beim Hinterhersehen erstarrt, auch nachdem Barbro die Tür hinter sich geschlossen hatte.
Kjell lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, was den stumpfen Schmerz in seinem Rücken ein wenig linderte. Die Folgen des Herumsuhlens auf dem feuchten Waldboden hatten sich erst auf der Rückfahrt richtig bemerkbar gemacht.
»Amelie Heidvall, ich sage dir jetzt mal was. Wir suchen nach Josefin Rosenfeldt. Das Plakat da hat etwas zu bedeuten, und wir wollen wissen, was das ist. Du hast es entworfen. Wir werden keine Ruhe geben, bis wir Josefin gefunden haben. Es ist eine ganz einfache Erpressungssituation. Du erzählst mir alles, was mich zu Josefin führt, dann bin ich zufrieden und mache mir ein Bier auf. Andernfalls lasse ich von einem zehnköpfigen Team jede Sekunde deines Lebens rekonstruieren. Etwas sagt mir, dass es dir sehr leichtfallen wird, dich für uns zu entscheiden. Wir sehen uns in einer Stunde.«
Die Falsche Tote
scho_9783641017156_oeb_cover_r1.html
Section0001.html
scho_9783641017156_oeb_toc_r1.html
scho_9783641017156_oeb_fm1_r1.html
scho_9783641017156_oeb_ata_r1.html
scho_9783641017156_oeb_fm2_r1.html
scho_9783641017156_oeb_fm3_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c01_r1.html
scho_9783641017156_oeb_p01_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c02_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c03_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c04_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c05_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c06_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c07_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c08_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c09_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c10_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c11_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c12_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c13_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c14_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c15_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c16_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c17_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c18_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c19_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c20_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c21_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c22_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c23_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c24_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c25_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c26_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c27_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c28_r1.html
scho_9783641017156_oeb_p02_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c29_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c30_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c31_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c32_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c33_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c34_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c35_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c36_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c37_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c38_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c39_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c40_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c41_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c42_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c43_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c44_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c45_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c46_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c47_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c48_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c49_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c50_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c51_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c52_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c53_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c54_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c55_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c56_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c57_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c58_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c59_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c60_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c61_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c62_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c63_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c64_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c65_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c66_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c67_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c68_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c69_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c70_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c71_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c72_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c73_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c74_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c75_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c76_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c77_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c78_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c79_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c80_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c81_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c82_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c83_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c84_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c85_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c86_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c87_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c88_r1.html
scho_9783641017156_oeb_c89_r1.html
scho_9783641017156_oeb_bm1_r1.html
scho_9783641017156_oeb_tea_r1.html
scho_9783641017156_oeb_cop_r1.html