DER ERSTE WELTKRIEG UND SEINE FOLGEN
Im Ersten Weltkrieg waren erstmals Länder und Kriegsteilnehmer praktisch aller Kontinente in das Geschehen miteinbezogen: Der Hauptschauplatz war Europa, aber auch in den Kolonien Afrikas wurde gekämpft. Indische, australische und kanadische Truppen standen in Europa, die Engländer bekämpften das Osmanische Reich im Nahen Osten, der Kriegseintritt der USA 1917 wirkte sich entscheidend aus, Japan führte gleichzeitig einen Krieg im pazifischen Raum. So schrecklich jeder einzelne Krieg der Weltgeschichte bisher war – im Vergleich damit blieben sie regional überschaubar. Die umfassende Technisierung und Industrialisierung, der Weltverkehr und die globalen Interessen der Kolonialmächte hatten im 19. Jahrhundert die Voraussetzungen für diesen weltweiten Krieg geschaffen.
1914
ATTENTAT VON SARAJEWO Auslösendes Moment für den Ersten Weltkrieg war die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares am 28. Juni 1914 durch einen serbischen Nationalisten in der bosnischen Hauptstadt Sarajewo. Die Serben strebten nach einem südslawischen Großstaat auf dem Balkan, wurden darin vom damals noch zaristischen Russland unterstützt und damit auch von der Triple Entente (Russland, Großbritannien, Frankreich). Österreich auf der anderen Seite hatte die Unterstützung des Deutschen Reichs. Nach der Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli 1914 traten aufgrund der damaligen Bündnissysteme die bereits mobilisierten europäischen Mächte binnen weniger Tage in den Krieg ein. Die österreichisch-serbische Lokalkrise wurde in kürzester Zeit zum Großkrieg.
MATERIALSCHLACHT Die Unmengen an herangeführtem Material, neuer Kriegstechnik (Panzer, Luftwaffe, U-Boot, Maschinengewehr, Gas) und Menschenmassen (über 70 Millionen Mobilisierte) stellten eine völlig neue Dimension der Kriegführung dar. Begriffe wie »Materialschlacht«, »Grabenkämpfe«, »Stellungskrieg«, »Trommelfeuer« charakterisieren den Kriegsverlauf, der ungeheure Gelder in allen Ländern verschlang. Der Krieg war eine einzige Katastrophe ohne irgendein »positives« Ergebnis, eine ungeheure gegenseitige Zermürbung auf allen Seiten mit kolossalen Menschenverlusten (ca. 15 Millionen Soldaten und Zivilisten). Praktisch die gesamte junge Generation Europas verblutete auf den Schlachtfeldern.
1916–1917
VERDUN UND ISONZO Trotz eines gigantischen Einsatzes an Soldaten und Material kam es im Ersten Weltkrieg so gut wie nie zu einer militärischen Entscheidung oder zu einem »Durchbruch«. Das ist eines der Hauptkennzeichen dieses europäischen Völkermordens. Die deutschen Armeen drangen zu Kriegsbeginn nach Flandern und Nordfrankreich vor. Dort verharrte die Front trotz vieler verlustreicher Gefechte jahrelang in den sprichwörtlichen Grabenkämpfen. 1916 versuchte die deutsche wie die französische Seite von Ende Februar bis Dezember fast ein Jahr lang, bei Verdun eine Entscheidung herbeizuführen – ohne Ergebnis. Über 300000 Soldaten auf beiden Seiten verloren dabei ihr Leben, ganz zu schweigen von den Verwundeten und Verstümmelten. »Verdun« wurde zum Inbegriff sinnlosen Schlachtens. Gleichfalls ohne Ergebnis verlief der anschließende britisch-französische Großangriff an der Somme.
Im Süden kämpfte Österreich-Ungarn ebenfalls jahrelang hauptsächlich gegen Italien in Südtirol und im Friaul. Zwischen 1915 und 1917 wurden in der Gegend des Flusses Isonzo im heutigen Slowenien zwölf größere Schlachten ausgetragen. Die Umstände und die Ergebnisse der gegenseitigen Abnützung und Erschöpfung waren ähnlich wie in Flandern.
Nur im Osten gelang es dem damaligen Generaloberst Hindenburg, die russischen Angriffe auf Ostpreußen schon zu Kriegsbeginn in drei Schlachten 1914 und 1915 abzuwehren. Als »Sieger von Tannenberg« erwarb Hindenburg einen Nimbus, der ihn 1925 in das Amt des Reichspräsidenten der Weimarer Republik trug.
ZUSAMMENBRUCH Als Folge der russischen Februarrevolution hatte Zar Nikolaus II. am 15. März 1917 abgedankt. Das Zarenregime konnte sich angesichts der Not und der aussichtslosen militärischen Lage nicht mehr halten. Nach der anschließenden Oktoberrevolution 1917 akzeptierte Lenin Anfang März den für Sowjetrussland demütigenden Frieden von Brest-Litowsk, der die Kämpfe an der Ostfront beendete.
Zwar konnte die deutsche Heeresleitung die dadurch frei gewordenen Kräfte im Frühjahr 1918 für eine neue Offensive im Westen nutzen. Sie traf aber auf Seiten der Westalliierten auf entschlossenen und militärisch unter General Foch gut organisierten Widerstand, dieses Mal unterstützt von den USA, die 1917 in den Krieg eingetreten waren.
Ende Oktober 1918 überwanden die Briten endgültig das Osmanische Reich in Palästina, gleichzeitig durchbrachen die Alliierten die Isonzo-Front. Am 3. November bat die Regierung in Wien um Waffenstillstand.
Nach ersten Sondierungen der deutschen Reichsregierung wegen eines Waffenstillstandes im Oktober führte die Revolution in Deutschland Anfang Oktober ganz ähnlich wie in Russland zur erzwungenen Abdankung des Kaisers und zur Ausrufung der Republik am 9. November sowie zum Waffenstillstand am 11. November 1918.
1919–1920
PARISER VORORTVERTRÄGE Die Verhandlungen über die Kriegsfolgen wurden in Paris geführt. Den Verlierern (Deutschland, Österreich, Osmanisches Reich) legten die Siegermächte Frankreich, Großbritannien und USA ohne deren Beteiligung an den Verhandlungen im Sommer und Herbst 1919 und 1920 Verträge vor, die sie akzeptieren mussten. Die Verträge wurden in Palästen in verschiedenen Vororten von Paris unterzeichnet.
Als völlig neue Staaten entstanden: Tschechoslowakei und Jugoslawien. Ungarn wurde unabhängig, verlor aber zwei Drittel seines Territoriums, vor allem Siebenbürgen ging an Rumänien (Vertrag von Trianon). Südtirol ging an Italien (Vertrag von St. Germain-en-Laye). All das gehörte vorher zur Monarchie der Habsburger. Der französische Ministerpräsident Georges Clemenceau sagte: »L’Autriche c’est ce qui reste« (»Österreich ist das, was übrig bleibt«).
Für Deutschland galt der Versailler Vertrag: Elsass-Lothringen fiel an Frankreich, Ostpreußen wurde vom Reichsgebiet abgetrennt. Die Reichswehr wurde drastisch reduziert, das Reich musste hohe Reparationen zahlen. Im Vertrag von Sèvres verlor die Türkei den gesamten Nahen Osten. Teils unter britischer, teils unter französischer Mandatshoheit zeichnete sich dort die Entstehung der modernen Staaten Syrien, Libanon, Irak, Palästina (später aufgeteilt in (Trans-)Jordanien und Israel) und Ägypten ab.
Auf ehemals russischem Boden entstanden Finnland, Estland, Lettland und Litauen. Außerdem wurde durch den Versailler Vertrag das gegen Kriegsende neu begründete Polen anerkannt. Ein polnischer Staat hatte von 1795 bis 1918 nicht existiert.
WEIMARER REPUBLIK UND WEIMARER VERFASSUNG Schon vor dem Waffenstillstand hatten sich Anfang November deutsche Matrosen geweigert, noch zu Kriegseinsätzen auszulaufen. Von dieser Meuterei sprang ein revolutionärer Funke auf das ganze Land über; schwerwiegende Unruhen waren zu befürchten. Um Schlimmeres zu verhüten, forderte die Reichsregierung den Kaiser auf zurückzutreten, was Wilhelm II. aber nicht tat. Daraufhin verkündete Reichskanzler Max von Baden am 9. November Wilhelms Abdankung. Die Situation war angespannt. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief gegen Mittag vom Reichstag ziemlich eigenmächtig die Republik aus und proklamierte Friedrich Ebert als Reichskanzler. Es galt, etwaigen Umsturzversuchen der äußersten Linken zuvorzukommen.
Von da an herrschten teilweise bürgerkriegsähnliche Zustände, weil die extreme Linke vielerorts doch noch versuchte, die Macht an sich zu reißen und Räterepubliken zu bilden. Ein Höhepunkt dieser Ereignisse war der Spartakusaufstand in Berlin, ein massiver Streik Mitte Januar, in dessen Verlauf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet wurden. Angesichts dieser Zustände wich der am 19. Januar 1919 neu gewählte Reichstag zu seiner konstituierenden Sitzung nach Weimar aus. Im Nationaltheater Schillers und Goethes traten die Abgeordneten am 6. Februar erstmals zusammen und beauftragten den linksliberalen Verfassungsrechtler Hugo Preuß mit der Ausarbeitung einer Verfassung, die am 31. Juli ebenfalls in Weimar verabschiedet wurde und am 11. August in Kraft trat.
DIKTATFRIEDEN In Deutschland wie in Österreich wurden die Pariser Vorortverträge als »Diktat« bezeichnet. Schon im Jahr darauf galten die deutschen Unterzeichner und die von ihnen vertretenen Parteien, besonders die SPD, als »Novemberverbrecher«, die bürgerlichen Parteien, die die Bedingungen des Versailler Vertrages nach Möglichkeit erfüllen wollten, später als »Erfüllungspolitiker«. Alsbald machte die »Dolchstoßlegende« die Runde, wonach die deutsche Armee, »im Felde unbesiegt«, durch »rote Aufrührer«, Republikaner und die »Zivilbevölkerung« »von hinten erdolcht« worden sei. Diese Begriffe waren in aller Munde, nicht zuletzt wegen der nationalkonservativen und nationalsozialistischen Propaganda. Die deutsche Außenpolitik erzielte unter Gustav Stresemann (1923–1929) Erfolge in der Revision des Versailler Vertrages.
JUNGTÜRKEN II Die Anführer der türkisch-nationalistischen Reformpartei der Jungtürken besetzten in der letzten Phase des Osmanischen Reiches wichtige Ministerien. Enver Pascha war von 1914 bis 1918 Kriegsminister, Talat Pascha Innenminister und zuletzt Großwesir.
Angesichts des drohenden Kriegsverlustes initiierten beide den Terror gegen die Armenier und andere Minderheiten und zwangen insbesondere die Armenier 1915 zu einer verheerenden Deportation von Hunderttausenden Männern, Frauen und Kindern in die syrische Wüste mit dem erklärten Ziel, sie unterwegs oder spätestens dort umkommen zu lassen. Diese große Deportation eines ganzen Volkes fand während des Ersten Weltkrieges im Sommer 1915 statt. Franz Werfel hat der Tragödie mit seinem Roman Die vierzig Tage des Musa Dagh ein literarisches Denkmal gesetzt.
Kemal Atatürk, der mit seiner Nationalbewegung teilweise ähnliche Ziele verfolgte wie die Jungtürken, distanzierte sich nach dem Ersten Weltkrieg gerade wegen der Armeniergräuel entschieden von den Jungtürken und schaltete sie politisch aus.
1922
KEMAL ATATÜRK – DER VATER DER TÜRKISCHEN REPUBLIK Kaum jemand hat einen Staat so tiefgehend verändert wie Mustafa Kemal (1881–1938) die aus den Trümmern des Osmanischen Reiches hervorgegangene Republik Türkei. Das Osmanische Reich gehörte als Verbündeter des Deutschen Reichs und Österreich-Ungarns zu den Verlierern des Ersten Weltkrieges. Das verbliebene Gebiet (hauptsächlich Anatolien) sollte teilweise an Griechenland, Italien und Armenien gehen. Danach wäre die Türkische Republik nur etwa halb so groß geblieben wie der heutige Staat. Kemal führte gegen diese Pläne einen regelrechten Befreiungskrieg. Er endete 1922 mit der Einnahme der mehrheitlich von Griechen bewohnten uralten kosmopolitischen Metropole Smyrna (Izmir) in der Ägäis. Aufgrund des Vertrages von Lausanne verließen anderthalb Millionen Griechen die Türkei und eine halbe Million Türken wanderte aus dem griechischen Thessalien, Makedonien und von den Inseln in die Türkei. Das ging nicht friedlich vonstatten. Damit endeten auf traumatische Weise 3000 Jahre griechische Kultur in Kleinasien.
1922 wurde das Sultanat abgeschafft, 1924 das Kalifat durch einen Beschluss der Nationalversammlung. Die Familie Osman musste das Land verlassen, das sie über 600 Jahre lang regiert hatte. Atatürk wandelte die türkische Gesellschaft nach westlichem Vorbild um. Das Tragen von Fes, Pluderhosen, Schleier und Kopftuch wurde verboten. Die allgemeine staatliche Schulpflicht wurde eingeführt, die Religionsschulen abgeschafft. Mann und Frau wurden gleichgestellt, ein modernes Scheidungsrecht eingeführt und Frauen erhielten Zugang zu den Universitäten und das Wahlrecht. Atatürk übernahm das schweizerische Familien- und Erbrecht, das deutsche Handelsrecht und das italienische Strafrecht. Die Einführung der lateinischen Schrift sowie die Einführung von Nachnamen bedeutete eine grundlegende kulturelle Veränderung für die türkische Gesellschaft. Mustafa Kemal erhielt per Gesetzesbeschluss den Nachnamen Atatürk (»Vater der Türken«).
1926/1931
COMMONWEALTH Auf der London-Konferenz von 1926 erhielten die britischen Übersee-Dominions praktisch die Unabhängigkeit. Damit wurde aus dem Britischen Empire das »Commonwealth«. Der Begriff findet sich erstmals in der Schlussakte dieser Konferenz, die auch als zweite Balfour-Deklaration bezeichnet wird. Dieser Beschluss wurde 1931 durch ein Gesetz des Parlamentes in Westminster vollzogen. Dadurch erhielten Kanada, Australien, Südafrika, Neuseeland, Irland und Neufundland die eigene gesetzgeberische Unabhängigkeit.