DIE NIEDERLÄNDER UND ENGLÄNDER IN IHREN KOLONIEN

Für den Ehrgeiz des spanischen Königs Philipp II., möglichst gleichzeitig alle Protestanten in Europa und die Türken zu bekämpfen, reichte alles Gold und Silber aus den Kolonien nicht aus. Das meiste hatte sowieso bereits sein Vater Karl V. für kostspielige Kriege in Italien gegen König Franz von Frankreich sowie gegen die deutschen Protestanten ausgegeben. Philipp belegte nun Spanien selbst mit Steuern, Zwangsanleihen und Münzverschlechterung, verkaufte Ämter und unterdrückte in seinem Land despotisch jegliche Opposition. Gleichwohl musste er 1557 den Staatsbankrott Spaniens erklären, der erste im modernen Europa.

1531

BÖRSE    Schon 1409 hatte in der flandrischen Handelsstadt Brügge die Kaufmannsfamilie Burse ein Haus eigens für den Abschluss von Handelsgeschäften eröffnet. Im benachbarten Antwerpen an der Scheldemündung begann nach der Verleihung der Stadtrechte 1291 wegen des florierenden Tuchhandels und der Lage der Stadt im Zentrum der westeuropäischen Handelsströme eine Blütezeit. Im Jahr 1531 entstand hier die erste europäische Börse im modernen Sinn für den Handel mit Wertpapieren. 1556 wurde das zum Habsburgerreich gehörende Antwerpen zwar im Zuge der Reformation protestantisch, doch als die Stadt 1585 von den Spaniern erobert wurde, emigrierten viele Protestanten in den Norden. Von nun an war Amsterdam der führende Börsen- und Bankenplatz in Europa.

1602

AKTIENGESELLSCHAFT    Andeel ist das niederländische Wort, unter dem das, was wir bis heute unter Aktie verstehen, erstmals in der Geschichte auftaucht. Nach der Afrikaumsegelung Vasco da Gamas im 16. Jahrhundert hatten die Portugiesen den lukrativen »Ostindienhandel« mit seinem Hauptprofitbringer Gewürze monopolisiert. Sie hielten die Kenntnisse von den Seewegen um Afrika herum und im Indischen Ozean geheim. Ein holländischer Sekretär in portugiesischen Diensten in Goa kopierte heimlich die Karten, brachte sie 1592 nach Holland und veröffentlichte anschließend einen »Reisebericht« mit den ausführlichen Informationen.

Holländische Seekaufleute gründeten nun Kaufmanns-»Compagnien«, die Bau oder Kauf und Ausrüstung von Schiffen finanzierten. Die ersten vier Schiffe kehrten 1597 nach Amsterdam zurück. Nach jeder Reise wurde Kasse gemacht und die jeweilige Compagnie wieder liquidiert. Innerhalb weniger Jahre wurden so 65 Schiffe zu 15 Flotten ausgesandt, von denen immerhin erstaunliche 50 beladen wieder zurückkamen. Das Geschäft war hochriskant. Im Indischen Ozean und im Atlantik erwartete die Schiffe das Sperrfeuer der Spanier, Portugiesen und Araber, Wetter und Piraten taten ein Übriges und überdies bekriegten sich die »Compagnien« untereinander. Unter diesem Druck schlossen sich 1602 die »Vorkompanien« zu einer großen nationalen Gesellschaft unter dem Namen »Vereinigte Ostindische Compagnie« (VOC) zusammen. Sie wurde bald darauf die größte Handelsgesellschaft der Welt. Die VOC und die kurz zuvor gegründete britische East India Company waren die ersten multinationalen Konzerne der Welt.

Entscheidend für den Erfolg der Kapitalbeschaffung war der Beschluss der Gründer, die Kapitalzeichnung für das breite Publikum zu öffnen. Entsprechend wurden (Aktien-)Anteile (Andeel) meist zu einem Nennwert von 3000 Gulden zügig platziert. Jeder Holländer konnte sie kaufen und auch wieder verkaufen. Auf diese Weise kam ein Aktienkapital von sage und schreibe 6424588 Gulden zusammen, eine ungeheure Summe für die damalige Zeit. In den Grundzügen funktionieren Aktiengesellschaften auf diese Weise bis heute.

Ausgestattet mit staatlichen Privilegien und Hoheitsrechten trat die VOC an den Palmenstränden der asiatischen Insel- und Küstenwelt mit allen Attributen einer Kolonialmacht auf, man kannte keinerlei Skrupel. Daheim in Holland brach das Gouden Eeuw (das »Goldene Zeitalter«) an, welches das Bild der alten holländischen Städte und ihrer musealen Schatzkammern bis heute prägt. In den Niederlanden selbst war die VOC eine Art »Staat im Staat«. Über 100 Jahre lang stieg deren Aktienkurs unaufhaltsam bis zu seinem Höhepunkt bei 1200 Prozent im Jahr 1720. Die Dividenden waren üppig im zweistelligen Bereich. Innerhalb eines solchen halbstaatlichen Trusts und Global Players kommt es irgendwann unweigerlich zur Misswirtschaft und Redlichkeitsdefiziten der »leitenden Angestellten«. Per 31. 12. 1799 wurde die Gesellschaft aufgelöst. Der niederländische Staat übernahm 110 Millionen Gulden Schulden. In Holland buchstabierte man VOC fortan: V(ergaan) O(nder) C(orruptie).

Was danach geschah: Der Aufstieg der VOC war die eigentliche Begründung des niederländischen Kolonialreiches in Südostasien. Die bis dahin dominierenden Portugiesen wurden in mehreren Seeschlachten nach und nach verdrängt. Schließlich nahmen die Niederländer den Portugiesen auch noch den Handel mit China und Japan ab. Vertreter der VOC waren seit 1641 die Einzigen, die auf einer kleinen Hafeninsel vor Nagasaki mit dem hermetisch abgeriegelten Japan Handel treiben durften. Noch im 19. Jahrhundert war dies nur einzelnen Holländern erlaubt. 1600 war die Britische Ostindien-Kompanie durch einen Freibrief von Königin Elisabeth I. gegründet worden; sie war aber keine Aktiengesellschaft. Die East India Company spielte die wesentliche Vorreiterrolle bei der britischen Kolonisierung Indiens; nach 1700 gewann sie erheblichen politischen Einfluss im Mogul-Reich. Die der Company eingeräumten Rechte gingen im 19. Jahrhundert auf die englische Krone über, Indien wurde Kronkolonie und Königin Victoria später »Kaiserin von Indien«.

1610

VIRGINIA-TABAK    Mit dem stillschweigenden Einverständnis der englischen Königin unternahm Walter Raleigh (ca. 1553–1618) Kaperfahrten auf dem Atlantik, die sich gegen spanische Schiffe richteten. 1585 gründete er die erste englische Siedlung Roanoke auf dem nordamerikanischen Kontinent, die aber bald wieder aufgegeben wurde. Sie befand sich an einer Küste, die Raleigh Virginia nannte, zu Ehren der »jungfräulichen« Königin.

Die erste dauerhafte englische Siedlung war dort seit 1607 Jamestown. Hier landeten englische Siedler, darunter der Farmer John Rolfe. Seinen Zuchtbemühungen verdankt Virginia eine auf den englischen Geschmack abgestimmte Tabaksorte, die sich zum größten Exportschlager entwickelte. Genau dieser John Rolfe war auch der Ehegatte der anmutigen indianischen Häuptlingstochter Pocahontas, die als »Indianer-Prinzessin« 1616 sogar in London bei Hofe empfangen wurde. 1619 kamen erste afrikanische Sklaven in Jamestown an.

1620

PILGERVÄTER    Eine Gruppe strenggläubiger Puritaner, denen der Reformationseifer der anglikanischen Kirche nicht weit genug ging und die als »Separatisten« in England nicht wohlgelitten waren, segelte mit Frauen und Kindern vom südenglischen Hafen Plymouth 1620 mit dem Schiff Mayflower in die Neue Welt.

Erster Landeplatz der Mayflower war die äußerste Spitze von Cape Cod, der Ort Provincetown, im Indianergebiet der Masschusett – heute ein sehr beliebter Badeort. Als die Pilgerväter merkten, dass man in dieser sandigen Gegend nichts zu essen anbauen konnte, siedelten sie sich weiter landeinwärts an. Zunächst hieß die Siedlung God’s Own Country – etwas frei übersetzt: Gottesstaat. Auch heute ist diese Bezeichnung bei patriotischen Amerikanern – ironisch oder ernst gemeint – ein völlig gängiger Begriff. Die Pilgerväter sind die Prototypen jener weißen, angelsächsischen, protestantischen Amerikaner, die als wirtschaftlich, politisch und kulturell führende Oberschicht die späteren USA entscheidend prägten.

1626

MANHATTAN    1621 war in den Niederlanden für den Seehandel auf dem Atlantik mit Afrika und Amerika die Niederländische Westindien Compagnie (WIC) gegründet worden. Nur wenige Jahre nach der Ankunft der Pilgerväter in Cape Cod gründete die WIC zwischen 1624 und 1626 eine ganze Reihe von Siedlungen, darunter Breukelen (Brooklyn) und Hoboken und an der Südspitze einer Granitfelsenhalbinsel den wichtigen Hafen Nieuw Amsterdam. Den Namen der Halbinsel übernahm man von der indianischen Ortsbezeichnung Manna-hata. Manna-hata wurde den Indianern für Naturalien im Gegenwert von 60 Gulden abgekauft.

Die WIC beanspruchte ein großes Gebiet vom St.-Lorenz-Strom bis in die Höhe des späteren Washington, das heute neun amerikanische Bundesstaaten umfasst, als Kolonie Nieuw Nederland. Wichtigstes Handelsprodukt waren zuerst Pelze, dann auch Tabak. 1647 kam der Friese Peter Stuyvesant als Generaldirektor der WIC und Gouverneur der Kolonie nach Nieuw Amsterdam. Er hatte zuvor die WIC-Kolonien Curaçao, Aruba und Bonaire in der Karibik geleitet und machte sich auf seinem neuen Posten durch herrisches Auftreten unbeliebt.

Inzwischen betrieben auch die Engländer eine aktive, bei anderer Wortwahl aggressive Kolonialpolitik. Zuerst annektierten sie 1664 das neuniederländische Gebiet in Nordamerika per Regierungsdekret: Karl II. übertrug den Landbesitz einfach seinem Bruder James. Im gleichen Jahr erschienen englische Kriegsschiffe im Hafen von Nieuw Amsterdam. Die Niederländer wollten nicht für sich und ihren unbeliebten Gouverneur zu den Waffen greifen. Peter Stuyvesant trat Nieuw Nederland kampflos an die Engländer ab. Nieuw Amsterdam wurde nun nach dem neuen Landesherrn benannt. James trug zu der Zeit den Titel Herzog von York.

Was danach geschah: Nach 1647 konzentrierte sich die WIC auf die karibischen Antillen (Curaçao, Aruba). Hauptsächlicher Geschäftszweck war der Sklavenhandel zwischen Afrika und Amerika, ein streng reglementiertes Transportgewerbe, für das annähernd 400 Schiffe im Einsatz waren. Die schwarzen Arbeitskräfte wurden auf den Zuckerrohrplantagen benötigt. Größere Sklavenschiffe konnten gut 500 Sklaven transportieren. Auf der Rückfahrt brachten sie den Zucker in die Niederlande.

1652

BUREN    Eher durch Zufall, weil ein Schiff der Vereinigten Ostindischen Compagnie vor dem südafrikanischen Kap gekentert war, wurden 1652 von Niederländern Kap-Stadt und die Kapkolonie gegründet. Sie wurde von niederländischen, aber auch deutschen und hugenottischen Auswanderern aus Frankreich besiedelt. Die Hugenotten brachten den Weinanbau ans Kap. Der Begriff »Buren« entstand erst später, leitet sich aber von dem niederländischen Wort boer (»Bauer«) ab. Ihre niederländische Sprache entwickelte sich durch die Isolierung vom Mutterland zu einer eigenständigen Sprache, dem Afrikaans. Die Buren waren hauptsächlich Viehzüchter und zogen mit ihren Herden immer weiter ins Landesinnere.

Die mit den Viehtrieben einhergehende territoriale Ausdehnung führte unweigerlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Bantu-Völkern im südlichen Afrika, den sogenannten Kaffernkriegen ab 1780. »Kaffer« (arabisch Kafir: »Ungläubiger«) ist ein abwertendes Buren-Wort für die Bantu, insbesondere die Xhosa, ihre Hauptgegner.

Wann tranken die Türken ihren Kaffee vor Wien?: Weltgeschichte - alles, was man wissen muss
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