DIE KONSTANTINISCHE WENDE
Einige Jahre nach Diokletians Tod rangen Konstantin, (Mit-)Kaiser seit 306, und sein Rivale Maxentius, Sohn von Diokletians Mitkaiser Maximian, um die Vorherrschaft im Reich. Dieser Streit wurde im engsten Umfeld der tetrarchischen Herrschaftsspitze ausgetragen. In der Schlacht an der Milvischen Brücke, der unmittelbar am nördlichen Stadteingang von Rom gelegenen Tiberbrücke, siegte Konstantin 312. Maxentius fiel. Auf dem Marsch zur Brücke soll dem Kaiser und seinem Heer eine kreuzförmige Lichterscheinung aufgefallen sein. Und in der Nacht vor der Schlacht sei Jesus Christus dem Kaiser im Traum erschienen und habe ihm – in bestem Lateinisch – gesagt: »In hoc signo vinces« – »In diesem Zeichen wirst du siegen«. Konstantin vertraute dem Christengott, lautet die Botschaft dieser Legende. Konstantin, nunmehr Alleinherrscher, leitete sogleich eine grundlegende religionspolitische Wende zugunsten des Christentums ein.
313
TOLERANZEDIKT VON MAILAND Im Jahr darauf bestätigte der Kaiser in Mailand 313 das Toleranzedikt. Dadurch wurden die Christen nicht nur anerkannt und nicht mehr verfolgt, sondern in der gleichen Weise begünstigt, wie es seit jeher für die heidnischen Priester galt: Der christliche Klerus war nun von Steuerabgaben und vom Militärdienst befreit. Konstantin förderte aktiv den Aufstieg des Christentums bis hin zum epochalen Konzil von Nikäa 325.
Was danach geschah: 380 nahm Kaiser Gratian die Priester außerdem aus der weltlichen Jurisdiktion heraus und unterstellte sie den bischöflichen Gerichten. Dank dieser kaiserlichen Maßnahmen wurde die Kirche reich und unantastbar.
SONNTAG – WEIHNACHTSTAG Konstantin bestimmte den bisherigen ersten Wochentag, den »Sonnentag«, zum »Tag des Herrn«. Den Wintersonnenwendtag am 25. Dezember, den höchsten Feiertag sowohl des heidnischen Mithras-Kultes wie des Sonnenkultes um den Sol Invictus (die »Wiedergeburt des Lichts«) machte er zum Tag der Geburt des Christengottes. So wurde auch der Kalender »christianisiert«. Praktisch alles, was die Kirche an weltlicher Macht erhielt und später selbst eroberte, verdankt sie Konstantin, der sich angeblich erst auf dem Sterbebett taufen ließ.
LATERAN Sitz des Papstes in Rom war seit der Antike und während des gesamten Mittelalters nicht der Vatikan mit dem Petersdom, sondern die etwas am Rande des antiken und erst recht des mittelalterlichen Roms gelegene Basilika S. Giovanni in Laterano, St. Johannes im Lateran, kurz »Lateran« genannt. Der Name geht zurück auf die ursprünglichen Eigentümer, die römische Familie der Laterani. Die dort gelegenen Grundstücke gelangten in den persönlichen Besitz der Familie Kaiser Konstantins. 314 stiftete dieser die Lateran-Basilika. St. Johann ist somit die älteste christliche Basilika und heute noch die Bischofskirche des Bischofs von Rom.
Da die ebenfalls von Konstantin gestiftete Basilika von St. Peter jenseits des Tibers und außerhalb der Stadtmauern lag, wurde der Lateran Sitz des Papstes. Der »Umzug« der Päpste in den Vatikan fand erst viel später nach der Rückkehr aus Avignon 1377 statt. Noch bis ins 19. Jahrhundert wurden die Päpste im Lateran gekrönt.
BASILIKA Bis zur Zeit Konstantins gab es gar keine »Kirchen« oder »christlichen Basiliken«, ja überhaupt keine »christliche Architektur« und kaum »christliche Kunst«. Die Lateran-Kirche ist die erste große Basilika der Christenheit. Das Wort leitet sich ab von basilike stoa (»königliche Halle« oder einfach »große Halle«) Der Name ist griechischen Ursprungs, das Baumuster hingegen römisch. Es geht auf die römischen Markt- und Gerichtshallen zurück. Diese wiederum waren keine »Hallen« im modernen Sinn, also einräumig, sondern dreischiffige Gebäude mit Fensteröffnungen im Obergaden des Mittelschiffs: das typische Merkmal einer »Basilika«.
325
DAS KONZIL VON NIKÄA Das Glaubensbekenntnis, das heute noch in allen christlichen Kirchen – ob katholisch, protestantisch oder orthodox – gebetet wird, bekennt sich zur Wesenseinheit von Gott Vater und Sohn im Gegensatz zur Wesensähnlichkeit. Darüber war zuvor zwischen den Vertretern der athanasischen und der arianischen Lehre aufs Heftigste gestritten worden. Auf dem ersten ökumenischen Konzil in Nikäa 325 beschlossen und verkündeten die Bischöfe dann das Dogma »eines Wesens mit dem Vater«. Die arianische Lehre wurde fortan als »häretisch« verdammt. Nikäa, das heutige türkische Iznik, liegt nicht weit von Konstantins neu gegründeter Hauptstadt Konstantinopel. Treibende Kraft hinter der Einberufung des Konzils war der Kaiser selbst, und er nahm an dessen Fortgang lebhaften Anteil. Den letztlich ausschlaggebenden Begriff homoousios (»wesensgleich«, »wesenseins«) hatte er selbst vorgeschlagen.
Ob aus staatspolitischem Kalkül oder aus persönlichen Motiven: Konstantin hatte klar erkannt, dass die Religionen der Antike ihre gemeinschaftsbildende Kraft durch den Kultur- und Kultpluralismus im Römischen Reich längst verloren hatten. Die antiken Kulte waren zum sinnentleerten Ritual erstarrt und hatten keine Botschaft; sie boten keine Antwort, keinen Trost für die Bedürfnisse der Menschen. Etwas lebendig Religiöses hatte sich aus all diesen Ansätzen seit langer, langer Zeit nicht mehr entwickelt. Deshalb war das Ringen um die Einheitlichkeit der Kirche so wichtig. Wenn es nur einen Gott gab, konnte es auch nur einen Glauben, einen Kult geben. Diese Haltung bestimmt seit Nikäa das Handeln der Kirche bis in die Gegenwart.
HÄRETIKER In Nikäa wurden nicht nur die entscheidenden religiösen Grundlagen gelegt, hier trat auch erstmals die außerordentliche Kampfbereitschaft der christlichen Kirche zutage, sich in endlosen ideologischen Konflikten mit anderen Strömungen und »Lehren« abzugrenzen, durchzusetzen und zu behaupten. In den ersten Jahrhunderten musste sich die Kirche mit Arianern, Gnostikern und Manichäern auseinandersetzen, die an dem ursprünglich zoroastrischen Gedanken einer Zweigeteiltheit der Welt in ein Reich des Lichtes und der Finsternis festhielten. Im Mittelalter waren es dann die Katharer und andere »Sekten«.
330
KONSTANTINOPEL, DIE NEUE HAUPTSTADT Die kleine griechische Siedlung Byzantion lag strategisch günstig am Bosporus, am engsten Übergang von Europa nach Asien, von der Donau wie vom Euphrat etwa gleich weit entfernt. Diesen Flecken ließ Konstantin in fünfjähriger Planungs- und Bauzeit zur Kaiserresidenz ausbauen. Am 11. Mai 330 weihte er die neue Hauptstadt ein, deren oströmische Kaiserpaläste sich in unmittelbarer Umgebung des Hippodroms, teilweise auf dem Gelände der heutigen Blauen Moschee, befanden. In griechischer Tradition wurde die prächtige Metropole nach ihrem Gründer und Erbauer benannt: So wie Alexandria nach Alexander hieß nun Konstantinopel nach Konstantin. Die Verlegung der Hauptstadt war praktisch und folgerichtig. Der wirtschaftliche Schwerpunkt des Reiches lag im Osten, auch das Christentum war im gesamten Osten bis nach Ägypten und Nordafrika bereits viel stärker verwurzelt. Alle diese Länder gehörten zu Ostrom.
329
THEODOSIANISCHES DEKRET Theodosius I. war von 379 bis 395 der siebte Nachfolger Konstantins. Er hatte sich keineswegs nach dem Kaiseramt gedrängt, aber zu seiner Lebens- und Regierungszeit überschlugen sich die Ereignisse nach einer verheerenden Niederlage für die Römer durch die Westgoten im Jahr 378. Theodosius (347–395) stammte aus einer Familie hochrangiger Offiziere aus Hispanien und war überzeugter Katholik. Völlig anders als der ungetaufte Kirchenförderer Konstantin am Anfang des Jahrhunderts wuchs Theodosius bereits innerhalb der eigenen Familie in eine gefestigte kirchliche Institution hinein. Schon sein Vater, ebenfalls Offizier, war überzeugter Nikäaner. Als Kaiser nahm Theodosius erstmals nicht mehr den Titel Pontifex maximus an. Das wurde fortan dem Papst überlassen.
392 erließ Theodosius ein Dekret, das die Ausübung aller heidnischen Kulte und die Schließung aller Tempel verfügte. Dazu zählten übrigens auch die Olympischen Spiele und die platonische Akademie in Athen. Damit ging die teilweise mehrtausendjährige religiöse Tradition der Antike endgültig zu Ende. Mithras, Astarte, Zeus, Jupiter, Isis und Osiris wurden sämtlich in den Ruhestand geschickt. Von Hunderten von Religionen und Kulten, die jahrtausendelang von Menschen ausgeübt worden waren, hat man nie mehr etwas gehört. Theodosius war kein Eiferer. Doch sein Dekret markiert den tiefsten Einschnitt in die geistig-kulturelle Welt der Antike, auch wenn es nicht sofort überall und konsequent umgesetzt wurde.