DIE LETZTEN RITTER

Das nahezu unversehrt erhalten gebliebene spätmittelalterliche Gepräge der reichen Handelsstadt Brügge und die weltbekannten Kalenderbilder aus dem Stundenbuch des Herzogs von Berry geben einen lebendigen Eindruck von der ausgesprochen kultivierten Adels- und Bürgerwelt Burgunds. »Burgund« reichte damals von der Nordsee bis an die Savoyer Alpen und umfasste die gesamten Niederlande, Flandern, Brabant (Belgien), Luxemburg, Lothringen und das heutige Burgund. Es war neben Italien das fortschrittlichste und wohlhabendste Gebiet Europas.

1477

KARL DER KÜHNE UND KAISER MAXIMILIAN    Burgunds letzter Herzog war Karl der Kühne, der letzte einer Reihe von »vier großen Herzögen«, die in der europäischen Politik ein wichtiges Wort mitzureden hatten. Sie agierten wie souveräne Fürsten. Im Hundertjährigen Krieg zwischen England und Frankreich paktierten sie mit beiden Seiten und spielten so das Zünglein an der Waage.

In jenem »Herbst des Mittelalters« stilisierte man das Hof- und Militärleben noch nach den Vorgaben eines idealisierten Rittertums von Fairness, Zweikampf, Ruhm und Tapferkeit, gerade in Burgund. So bestand Karl der Kühne darauf, dass an bestimmten Tagen jeder Bittsteller sein Anliegen direkt beim Herzog vortragen könne und zwar in Anwesenheit des gesamten Hofes – wie man es sich von mittelalterlichen Herrschern vorstellte. Karl hielt sich viel auf seine persönliche Tapferkeit zugute.

Seine einzige Tochter und Erbin war Maria von Burgund, angeblich eine der schönsten Frauen der damaligen Zeit und zweifellos die beste Partie in Europa. Da nur Maria Burgund erben konnte, war die Wahl ihres Ehemannes entscheidend für die Zukunft des Herzogtums. Karl der Kühne wollte durch eine Verbindung mit den Habsburgern verhindern, dass Burgund an Frankreich fiel. Dazu hatte er sich schon 1473 mit Kaiser Friedrich III. in Trier getroffen und die Verheiratung von Maria mit Friedrichs Sohn Maximilian verabredet.

Nachdem Karl der Kühne Anfang des Jahres 1477 bei Nancy gefallen war, wurde im August die Trauung Marias mit Maximilian in Gent vollzogen. Nach allen Berichten der Zeit soll es eine Liebesheirat gewesen sein. Auch der Renaissancefürst Maximilian stellte sich noch in die ritterliche Tradition, beispielsweise in Schau-Turnierkämpfen, die er glänzend bestand. 1482 hatte Maria einen Reitunfall und erlitt drei Wochen später eine Fehlgeburt, an der sie starb. Burgund fiel an die Habsburger.

1479 und 1494

DIE KATHOLISCHEN KÖNIGE    Natürlich gab es seit dem Merowinger Chlodwig (Taufe in Reims 492) nur noch katholische Könige in Westeuropa, aber es gibt nur ein Königspaar, das als »Katholische Könige« bezeichnet wird: Isabella von Kastilien (1451–1504) und Ferdinand von Aragón (1492–1516). Nach etlichen Versuchen, die jugendliche Isabella zu verehelichen, suchte sie sich als erwachsene Frau ihren Gatten selbst aus und ihre Wahl fiel auf Ferdinand von Aragón, einen Mann mit ritterlichen Tugenden.

Sie heirateten 1469 und vereinigten 1479 ihre beiden Reiche zu einem spanischen Königreich und zum ersten Nationalstaat im modernen Sinn, den sie gemeinsam regierten. Ihre Tochter Johanna erbte das vereinigte spanische Königreich und daraufhin deren Sohn Karl V.

Der Ehrentitel »Katholische Könige« wurde ihnen 1494 wegen der endgültigen Vertreibung der Mauren aus Spanien von dem spanisch-stämmigen Papst Alexander VI. (Borgia) verliehen.

1472

SPANISCHE INQUISITION    Spätestens seit der Vertreibung der Juden aus Palästina nach der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 gab es in Spanien und Portugal große jüdische Gemeinden. Die spanischen Juden werden Sephardim genannt. Legendär ist die muslimisch-jüdisch-christliche Symbiose in Toledo und in Córdoba. Die christlichen Königreiche waren weniger tolerant. Die Juden wurden dort nur geduldet, wenn sie sich bekehren ließen.

1472 wurde die Spanische Inquisition mit dem Ziel begründet, die vielen zwangsbekehrten Juden in Spanien, die angeblich weiterhin heimlich ihrem Glauben anhingen, ausfindig zu machen und auf den Scheiterhaufen zu bringen. Treibende Kraft war der Dominikaner Tomás de Torquemada (1420–1498), der erste Großinquisitor und Beichtvater der Königin Isabella.

1492

RECONQUISTA III – DER FALL VON GRANADA    Nach der Eroberung von Sevilla (1236) und Córdoba (1248) sowie einiger anderer Orte hauptsächlich im andalusischen Süden bis 1250 war die Reconquista zum Stillstand gekommen. Von der einstigen muslimischen Pracht und Herrlichkeit war nur noch das Emirat von Granada als letzter muslimischer Kleinstaat auf spanischem Boden übrig geblieben. Isabella und Ferdinand gingen nun mit neuer Energie und Schärfe daran, die letzten Muslime – und die Juden – von spanischem Boden zu vertreiben.

Die Spanier konnten 1487 Málaga und 1489 Almería einnehmen. Dann folgte 1491 die Belagerung von Granada, die gut ein halbes Jahr dauerte. Gegen die Zusicherung von freiem Geleit für sich und sein Volk kapitulierte im November des Jahres der letzte Nasriden-Herrscher Mohammed XII., genannt Boabdil. Mit einem Abschiedsblick und seinem berühmten »letzten Seufzer des Mauren« übergab er am 2. Januar 1492 die Schlüssel der Alhambra an Isabella und Ferdinand. Damit war die siebenhundertjährige Herrschaft der Araber, die Al-Andalus in einen Garten Eden verwandelt hatten, beendet. Isabella und Ferdinand triumphierten.

1496

»DU GLÜCKLICHES ÖSTERREICH HEIRATE«    Auch die Heirat des ältesten Sohnes von Maximilian und Maria, Philipp, war wohl eine Liebesheirat: Philipp ließ angeblich schon nach dem ersten Blick auf Johanna sogleich einen Priester kommen, der die beiden traute, woraufhin sie im Schlafzimmer verschwanden. Wie auch immer: Es war keine arrangierte Hochzeit, wie sonst in Fürstenhäusern üblich. Politisch gesehen waren die Brautleute die Erben von Österreich + Ungarn + Böhmen + Burgund auf der Seite des Bräutigams sowie Spaniens auf der Seite der Braut. Johanna war die Tochter von Isabella und Ferdinand. Und unter dieser Krone wurde soeben eine ganz neue Welt erobert. Dies alles erbten Philipps und Johannas Söhne Karl und Ferdinand: Kaiser Karl V. und nach dessen Abdankung sein Bruder Ferdinand I.

»Mögen andere Kriege führen, Du glückliches Österreich heirate« – Der Matthias Corvinus zugeschriebene Spottvers war das Motto der Habsburger-Dynastie. So brachten es die Habsburger innerhalb von vier Generationen von ostmitteleuropäischen Herzögen zu Kaisern von konkurrenzlos europäischem Rang und Weltherrschern, in deren »Reich die Sonne nie unterging«. Zwar vergaßen die Habsburger in den darauffolgenden Jahrhunderten das Kriegshandwerk keineswegs und wehrten beispielsweise zweimal (1527 und 1683) den Angriff der Türken auf Wien ab, aber sie betrieben auch erfolgreich Heiratspolitik, vor allem zuletzt die Kaiserin Maria Theresia.

Wann tranken die Türken ihren Kaffee vor Wien?: Weltgeschichte - alles, was man wissen muss
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