KLOSTER UND KIRCHE
Monte Cassino wurde zum Ausgangspunkt der für das Mittelalter so überaus prägenden Klöster. Sie waren Mittelpunkt des religiösen Lebens, aber auch des technischen Fortschritts, durchorganisierte Wirtschaftseinheiten und somit Schrittmacher der Zivilisation im nördlichen Europa. Nicht zuletzt waren sie Hort der Gelehrsamkeit, wovon die prachtvollen Klosterbibliotheken zeugen.
ca. 530
ORA ET LABORA »Bete und arbeite« steht zwar nirgendwo ausdrücklich in der Regula Benedicti, der Ordensregel, die Benedikt von Nursia (ca. 480–547) der von ihm gegründeten Klostergemeinschaft auf dem Monte Cassino zwischen Neapel und Rom gegeben hat. Aber sie fasst deren Leitgedanken treffend zusammen. Ähnlich wie vor ihm der Eremit Antonius in Ägypten oder der Kirchenvater Augustinus suchte der junge Gutsbesitzersohn Benedikt alternative Lebensformen und zog sich mit einigen Gefährten in die abgeschiedene Bergwelt Kampaniens zurück – angewidert vom Lotterleben seiner Zeitgenossen.
Die Regel verlangt vom Mönch Einfachheit, Schlichtheit, Verzicht. Natürlich müssen Mönche unverheiratet sein, die Mahlzeiten sind asketisch und karg, die Zeiten für Gebet, Lesung, Arbeit und Schlaf genau vorgeschrieben. Völlig neu und ohne Beispiel ist indes Benedikts Forderung an die Brüder, zu arbeiten – in einer Gesellschaft wie der spätantiken und der darauffolgenden mittelalterlichen, wo Arbeit ausschließlich eine Angelegenheit der Unterschichten war.
540
KLOSTERBIBLIOTHEK Die Bibliothek, neben Kirche und Kreuzgang das Herzstück jedes Klosters und Quelle aller abendländischen Gelehrsamkeit, war eine Erfindung des römischen Staatsmannes und Gelehrten Cassiodor, der unter Theoderich wichtige Staatsämter innehatte. Er zog sich 540 in das von ihm gegründete Kloster Vivarium in Kalabrien zurück und beauftragte seine Mönche mit dem Sammeln und Abschreiben antiker Manuskripte. Die großen berühmten Bibliotheken der Spätantike waren untergegangen oder zerstört worden: Alexandria, Pergamon, Augustus’ Palastbibliothek in Rom, die Celsus-Bibliothek in Ephesos. Die Gründe dafür waren vielfältig: Brand, Raub, Verrottung von Papyri. Außerdem säuberten die Christen in der Kirchenväter-Zeit die Bibliotheken besonders gründlich von »heidnischen« Schriften. Schätzungsweise hat nur ein, maximal zehn Prozent des gesamten antiken Schrifttums überlebt.
Aus der Zeit bis zur Kaiserkrönung Karls des Großen sind etwa 1800 Manuskripte in lateinischer Sprache überliefert. Auf ihnen beruht ein Großteil dessen, was wir über das Altertum wissen.
600
KIRCHENSTAAT Papst Gregor (reg. 590–604) stammte aus altem römischen Senatsadel und war der erste Mönch auf dem Papstthron, aber er war zuvor auch schon Stadtpräfekt (»Bürgermeister«) von Rom gewesen. Der als Intellektueller, Musenfreund, Theologe, Administrator und Herrscher vielseitig begabte Patrizier ordnete die Ländereien der Päpste völlig neu und schuf damit die Grundlage des späteren Kirchenstaats. Da sich die oströmischen Kaiser nicht mehr um die Bevölkerung Roms kümmerten, nahm Gregor aus den gestrafft organisierten Erträgen der päpstlichen Güter die für die ärmeren Schichten wichtige Getreideversorgung in die Hand. Schon seit Längerem nahmen die Päpste aufgrund solcher und ähnlicher Aufgaben die politische Führungsfunktion in der Stadt wahr.
600
GREGORIANISCHER CHORAL Mittelalterliche Chronisten waren der Meinung, Papst Gregor habe die Choräle selbst komponiert, und in den Buchmalereien jener Zeit wird er oft so dargestellt. Das tat er eher nicht. Aber er nahm besonderen persönlichen Anteil an dieser musikalischen Neuentwicklung in der päpstlichen Hofkapelle und ordnete eine umfassende Sammlung und Neuordnung an. Die in der katholischen Kirche noch heute häufig verwendeten einstimmigen Gesänge ohne Musikbegleitung entwickelten sich über einen Zeitraum von Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten, und wurden später vor allem in den Klöstern gepflegt.