MONGOLEN IN CHINA UND EUROPA
um 1206
DSCHINGIS KHAN Nach einem romanhaft abenteuerlichen Leben einigte der Clanführersohn Temüdschin seit 1190 mit geschickter Diplomatie die mongolischen Nomadensippen. Durch eine Art Heeresreform ersetzte er die bisherige Struktur von Stammes- oder Clanverbänden samt ihrer adligen – intriganten – Führungsschicht durch einen auf militärische Disziplin gegründeten Absolutismus. Im Grunde schuf er dadurch erst das »Volk« der Mongolen. Im Alter von etwa 45 Jahren – 1206, mitten in der Zeit der staufisch-welfischen Thronwirren – wurde er zum Großkhan der Mongolen mit dem Titel »Ozeangleicher Herrscher«, mongolisch Dschingis Khan, gewählt.
Dschingis Khan, sein Sohn Ödogei und seine Enkel Kublai Khan und Batu Khan schufen innerhalb von 30 Jahren das flächenmäßig mit Abstand größte und bevölkerungsreichste Weltreich. Zunächst unterwarf Dschingis benachbarte Steppenvölker, insbesondere die turksprachigen Tataren. 1215 eroberte er Peking. Gegen die Mongolen hatten die chinesischen Abwehrwälle also nicht standgehalten. In Peking war damit der Boden für die baldige Ablösung der dort herrschenden Chin-Dynastie durch die mongolische Yüan-Dynastie mit Ödogei und Kublai auf dem Himmelsthron 1234 bereitet. Um 1260 wurde die Mongolenresidenz aus der Steppenhauptstadt Karakorum südlich des Baikalsees nach Peking verlegt. An der Westeroberung der Mongolen nahm Dschingis Khan nicht teil. Sie begann erst nach seinem Tod 1227 unter seinem Enkel Batu Khan.
1234–1368
KUBLAI KHAN Der Dschingis-Sohn Ödogei wurde 1229 Großkhan der Mongolen. Zwischen 1231 und 1234 führte er erneut eine mongolische Armee nach Peking und war seitdem auch Kaiser von China, jedenfalls im Norden. Sein Sohn und Nachfolger Kublai Khan, der von 1260 bis 1294 regierte, überwältigte dann die noch im Süden regierenden Sung und vereinigte auf diese Weise ganz China. Dies gilt den Chinesen als wichtiges Ereignis in ihrer Geschichte, und sie sehen Kublai als bedeutenden Herrscher. Kublai selbst sah sich eher als chinesischen Kaiser denn als mongolischen Großkhan. Wie sein Großvater Dschingis Khan zeichnete er sich durch religiöse Toleranz und Aufgeschlossenheit für »Wissenschaften« und Gelehrsamkeit gleich welchen Ursprungs aus. In China konvertierten die Mongolen von ihrem angestammten Schamanismus zum buddhistisch-tibetischen Lamaismus. Kublai fand, die buddhistischen Priester mit ihren pompösen Liturgien besäßen mehr Zauberkraft als alle anderen Schamanen und Priester.
1274/1281
KAMIKAZE ist ein japanisches Wort, das erst Jahrhunderte später zum Weltbegriff wurde. Es bedeutet »Göttlicher Wind«. Kublai Khan versuchte zweimal, 1274 und 1281, das japanische Inselreich zu erobern, scheiterte aber beide Male am Kamikaze, an dem vom Wind aufgepeitschten stürmischen Meer. Die Japaner verstanden das als göttliche Vorsehung. Japan wurde in der Tat nie von Chinesen erobert, allerdings von der chinesischen Kultur tief beeinflusst.
Seitdem war Japan nie mehr von einer Invasion bedroht. Die japanischen Kamikaze-Piloten, die während des Zweiten Weltkrieges mit ihren Flugzeugen amerikanische Schiffe angriffen, gaben sich in Erinnerung an die gescheiterte chinesisch-mongolische Bedrohung diese Bezeichnung.
CHATEY UND ZIPANGO Es ist diese mongolisch-chinesische Yüan-Dynastie, über deren Glanz am Hofe Kublai Khans der venezianische Chinareisende Marco Polo am Ende des Jahrhunderts mit seinem Bericht Il milione (1298) die europäische Öffentlichkeit in Erstaunen versetzte. China wurde im Spätmittelalter und noch lange danach in den auf rein legendären Vorstellungen beruhenden Kartenwerken »Chatey« genannt. Das noch legendärere Japan hieß »Zipango«.
Marco Polo hielt sich nach eigenen Angaben von 1275 bis 1291 am Hof und im Reich des mongolischen Großkhans und Kaisers Kublai Khan auf, nachdem bereits sein Vater und Onkel auf einer Reise 1266 bis 1269 dorthin gelangt waren. Sein Bericht – ob wahr, teilweise wahr oder unwahr – dürfte der berühmteste Reisebericht der Welt sein. Jahrhundertelang prägte er die Vorstellungen, die man sich in Europa vom Fernen Osten machte. Die von angeblich mit Gold und Edelsteinen gepflasterten Straßen angeregte europäische Fantasie war so nachhaltig berührt, dass noch Christoph Kolumbus 200 Jahre später sich von tiefem Verlangen nach den Schätzen Chateys getrieben in westlicher Richtung auf den unbekannten Ozean hinauswagte. Marco Polos Buch führte er auf der Santa Maria mit sich.
SEIDENSTRAßE II Die Tatsache, dass sowohl Marco Polos Vater wie auch er selbst und kurz zuvor bereits zwei Franziskanermissionare wohlbehalten in die Mongolei und nach China und wieder zurück reisen konnten, verdankt sich der Pax mongolica. Die Mongolen hielten die Seidenstraße offen. Aufgrund der stabilen politischen Verhältnisse und geringer Zölle während der eurasischen Herrschaft der Mongolen vom Chinesischen Meer bis zum Schwarzen Meer, also bis vor die Tore von Konstantinopel und Europas, florierte die Seidenstraße wie nie zuvor. Mit dieser Berührung und den ersten tastenden Versuchen, Kenntnisse über den Fernen Osten zu erlangen, begann die systematische Erforschung der Erde. Nichts hatte die Europäer darauf vorbereitet. Es gab keinerlei »Vorkenntnisse« aus der Antike. Die Neugier, ferne Länder, Völker und Reichtümer zu erkunden, war auch getrieben von der Absicht, das Wissen wirtschaftlich nutzbar zu machen. Die Europäer verfügten mittlerweile über genügend Unternehmungsgeist, Expansionsstreben, geistige und räumliche Mobilität, diese Herausforderung anzunehmen. Das war der Beginn der Globalisierung.
1238–1242
MONGOLENSTURM Für die mongolischen Reiterkrieger war die Aussicht auf reiche Beute das mächtigste Motiv. Dschingis Khan wandte sich nach der Eroberung Pekings nach Westen. Von 1219 bis 1223, innerhalb von nur vier Jahren, bewegte er sich durch das heute afghanische, pakistanische und iranische Hochland. Die Seidenstraßen-Städte Buchara und Samarkand wurden zerstört. In der heutigen Ukraine kam es zu einer ersten militärischen Auseinandersetzung mit den Russen, die diese trotz dreifacher zahlenmäßiger Überlegenheit verloren. Doch die Mongolen zogen sich zunächst wieder zurück. Dschingis Khan starb 1227 an den Folgen eines Reitunfalls.
Die Ursache für die unglaublich rasche und erfolgreiche Ausdehnung der Mongolen war neben Disziplin, Schnelligkeit, Ausdauer und meisterhafter Logistik die Schwäche und Zerstrittenheit aller sie umgebenden Fürsten- und Königtümer und der sesshaften und trägen Ackerbaugesellschaften von China über Iran bis Russland und Polen. Überall trafen die Mongolen auf ein Machtvakuum und veraltete Militärstrategien. Dabei folgte Dschingis Khan keinem Welteroberungsplan, sondern reagierte meist auf lokale Herausforderungen, selbst bei der Eroberung Pekings.
ab 1235
GOLDENE HORDE Mit Dschingis Khans Tod war der Mongolensturm für Europa nicht vorbei. Er setzte eigentlich jetzt erst ein. 1235 wurde in der von Dschingis gegründeten Hauptstadt Karakorum der Westfeldzug der Goldenen Horde beschlossen. Deren Anführer war der Dschingis-Enkel Batu Khan (1205–1255). »Goldene Horde« ist der Name von Batus mongolischem Teilreich in der südrussischen Steppe mit Schwerpunkt an der Wolga und bedeutet im Mongolischen so viel wie »Palast des Herrschers«, wobei mit »Palast« kein Gebäude, sondern ein prunkvolles Palastzelt gemeint ist.
1237 wurde Moskau erobert. Die Goldene Horde stand 1241/1242 vor Breslau und Krakau. Die Mongolen schlugen ein polnisches Ritterheer bei Liegnitz. Sie standen vor Wien und erreichten die Adria, kehrten aber wegen des Todes ihres Großkhans, Batus Onkel Ödogei, um. Die meisten Krieger Batu Khans waren indessen keine Mongolen mehr, sondern rekrutierten sich aus den benachbarten, ebenfalls nomadischen Turkvölkern. So gerieten die russischen Teilfürstentümer nun fast 250 Jahre lang von 1240 bis 1480 unter die tributpflichtige Oberherrschaft der »Tataren« der Goldenen Horde.
Ursprünglich der Name eines mongolischen Stammes, war Ta-ta bei den Chinesen ein Pauschalbegriff für »die Mongolen«. Die Russen empfanden die mongolische Oberhoheit als bittere Fremdherrschaft, als »Tatarenjoch«. Diese verlangten das Übliche: Steuern, Tribute, Truppen, Zersplitterung in kleinere Herrschaften. Parierten die russischen Fürsten nicht, wurden sie von kriegerischen Horden gezüchtigt. Durch die Fixierung auf die Mongolen verlor Russland den Anschluss an die europäische Entwicklung im Spätmittelalter. Die von den Bürgern getragene Entfaltung der städtischen Gesellschaften und des Bildungswesens fand hier nicht statt.
BAGDADS ENDE Seit 1251 regierte der Dschingis-Enkel Möngke als vierter Großkhan. Er beauftragte seinen Bruder Hülegü mit der Süderweiterung des Mongolenreichs, die dieser mit schrecklicher Durchschlagskraft ausführte. Zuerst beendete Hülegü die Herrschaft der Seldschuken in Anatolien. Seine Absicht, die syrisch-palästinensische Levante zu erobern, vereitelten die Mameluken aus Ägypten. Sie konnten Syrien halten (und beherrschten den Nahen Osten anschließend jahrhundertelang). Hülegü wandte sich daraufhin nach Osten und nahm im Handstreich die »uneinnehmbare« persische Assassinen-Festung Alamut ein.
Das wirtschaftlich und innenpolitisch längst geschwächte Bagdad war wehrlos, aber der Abbasiden-Kalif verweigerte hochmütig die Unterwerfung. So wurde das mittelalterliche Bagdad, neben Konstantinopel die zweitgrößte Stadt der alten Welt, 1258 durch den Mongolensturm völlig zerstört, ja entvölkert. Hülegüs Truppen erschlugen 250000 Menschen, die Bibliothek des Hauses der Weisheit wurde in den Tigris geworfen. Die Mongolen vernichteten das jahrtausendealte Bewässerungssystem im Zweistromland. Dies war der Beginn der Ver-Wüstung Mesopotamiens. Auch unter den Osmanen war Bagdad ab 1534 nie mehr als eine Provinzhauptstadt. Ein gewisser Aufschwung kam erst wieder im 19. Jahrhundert.
Unter der Oberhoheit des Großkhans errichtete Hülegü in den von ihm eroberten Gebieten das Reich der Ilchane (1256–1335). Obwohl das Ilchan-Reich politisch schnell instabil wurde, blühten im persischen Kernland Wirtschaft, Fernhandel, Kunsthandwerk (Architektur, Buchmalerei) und Kultur.
1250
MAMELUKEN Ursprünglich waren Mameluken gekaufte Sklaven. Schon seit der Zeit der Abbasiden wurden sie in Bagdad als Elitesoldaten eingesetzt. Auch Saladins Leibgarde bestand aus Mameluken. Saladins Familie, die kurdischen Ajjubiden, beherrschte seit der Zeit des Zweiten Kreuzzugs Ägypten und den Nahen Osten. Nach dem Tod des letzten Ajjubiden-Sultans heiratete der Mameluken-General Aybak dessen Witwe und übernahm die Macht in Ägypten. Nach der Eroberung Bagdads durch Hülegü 1258 zog der nunmehr machtlose Abbasiden-Kalif nach Kairo um – ein beträchtlicher Prestigegewinn für die Mameluken in der islamischen Welt.
Was danach geschah: Von den Ajjubiden Saladins übernahmen die Mameluken also die Herrschaft in Ägypten und die Vorherrschaft in Palästina und Syrien. Sie verbündeten sich sogar mit den Kreuzfahrern, um Syrien gegen die Mongolen zu behaupten. 1517 mussten sich die Mameluken der osmanischen Oberherrschaft beugen, de facto aber regierten sie in ihrem angestammten Gebiet weiter. Um 1680 schüttelten die Mameluken die Osmanen wieder ab und regierten Ägypten und den Nahen Osten – während der europäischen Barock- und Aufklärungszeit sogar Irak – bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Im Grunde also verharrt seit dem Spätmittelalter der heute so explosive Nahe Osten spannungslos, friedlich und selbstzufrieden im orientalischen Gleichmaß seiner Tage unter der mamelukischen oder osmanischen Glocke, allerdings auch ohne sich seither in irgendeiner Weise zu entwickeln.