BIBLISCHE GESCHICHTE
Das alte Ägypten hatte im Neuen Reich mit den Ramsessiden den Höhepunkt seiner Macht erreicht. In der Zeit der Seevölkerwanderung geriet der Nahe Osten in Bewegung. Die Kanaaniter waren hier gewissermaßen die Urbevölkerung. Ethnisch handelte es sich um niemand anderes als die Handel treibenden, größere und kleinere Stadtstaaten bewohnenden Phönizier. Seit 1200 v. Chr. bestand in Phönizien – oder Kanaan – ein Machtvakuum. Das Hethiter-Reich war untergegangen, Assyrien und Ägypten geschwächt. Die phönizisch-kanaanäischen Stadtstaaten, bisher eine Randkultur, blühten auf. Die für Palästina namengebenden Philister waren kurz zuvor eingewandert und dominierten den Süden (heute Gaza-Streifen und Umgebung). Es gab ferner (halb)nomadische Stämme wie Ammon, Edon, Moab und den Stammesverband der Israeliten.
ca. 1200 v. Chr.
EXODUS UND DIE ZEHN GEBOTE Mehr als zwei Jahrtausende lang haben gläubige Juden und Christen den dramatischen Bericht vom Auszug (lat.: exodus) des Volkes Israel aus Ägypten als einen historischen Tatsachenbericht gelesen. Demnach flohen die Israeliten nach düsteren Ankündigungen (»Sieben Plagen«) vor den Ägyptern durch das Rote Meer und lieferten sich anschließend im Sinai mit der Übergabe der Zehn Gebote einerseits und dem »Tanz ums Goldene Kalb« andererseits regelrechte »Glaubenskämpfe«.
Problematisch daran ist, dass weder aus der ägyptischen Geschichte noch aus der ägyptischen Kunst irgendein Hinweis, geschweige denn ein Nachweis über dieses Ereignis bekannt ist. Ja nicht einmal die (jahrzehntelange? jahrhundertelange?) Anwesenheit der Israeliten in Ägypten ist irgendwie belegbar. Auch im Hinblick auf den legendären Anführer dieser kleinen Völkerwanderung, Moses, streiten sich die Gelehrten vieler Sparten, ob er Israelit oder Ägypter war, ob er gelebt hat oder nur eine Legendenfigur ist. Unbestritten ist hingegen, dass die (nomadischen) Stämme, die später das Volk Israel bildeten, um 1200 v. Chr. in Kanaan einwanderten. Man weiß nur nicht, woher sie kamen. Die erste Erwähnung des Namens »Israel« findet sich auf der ägyptischen Stele des Merenptah (ca. 1220 v. Chr.), eines Sohnes von Ramses II.
Die biblische Geschichte verknüpft die Begründung der monotheistischen Jahwe-Religion und ihres Kultes aufs engste mit dem angeblichen Auszug aus Ägypten und mit Moses. JHWH habe sich ihm als Gott Abrahams offenbart, indem er ihm seinen Namen nannte, habe einen Bund mit seinem »auserwählten Volk« geschlossen und ihm die Zehn Gebote gegeben. An ihrem Anfang steht die Forderung, ausschließlich den einen Gott zu verehren (»Monotheismus«), dann folgen die Grundregeln für das menschliche Zusammenleben, die bis heute eine Grundlage für die Rechtsordnungen der abendländischen Kultur bilden. Laut dem Bericht der Bibel hat Moses das von Jahwe dem Volk Israel verheißene Land noch von Ferne gesehen, aber nicht mehr selbst betreten.
ca. 1200 v. Chr.
DAS GELOBTE LAND: KANAAN Die Phönizier oder Kanaaniter verehrten Lokalgottheiten namens Baal, El und Moloch, oft in Bäumen, Brunnen, hölzernen oder steinernen Kultsäulen. Ihr zivilisatorisches Niveau war höher als das der einwandernden nomadischen Israeliten. Aber durch die ägyptische Herrschaft und die ewigen Kriege zwischen den altorientalischen Großmächten zermürbt, leisteten sie diesen kaum Widerstand. Die Israeliten wiederum nahmen Teile der kanaanitischen Kultur auf. Beide Gruppen waren sprachverwandt, auch die durchaus ähnlichen Kulte bestanden nebeneinander. Die Israeliten waren seinerzeit noch keineswegs so streng monotheistisch. Hinweise auf andere Götter wurden erst bei den viel späteren Bibelredaktionen getilgt. Der strenge Monotheismus und die Messias-Vorstellung bildeten sich erst im Zusammenhang mit dem Babylonischen Exil (kurz nach 600 v. Chr.) heraus.
DAVID GEGEN GOLIATH Die Philister waren indogermanische Einwanderer, die zwischen 1200 und 1000 v. Chr. über See ins Land gekommen waren. Der Name Palästina (hebräisch pilishtim) leitet sich direkt von den Philistern ab. Höchstwahrscheinlich stammten sie aus dem Ostseeraum und hatten bei ihrem Zug über die Alpen die damals neu entwickelte Eisenverarbeitung kennengelernt. Vermutlich waren sie den bronzezeitlichen ortsansässigen Nomadenvölkern wie den Israeliten rüstungstechnisch überlegen.
Sie siedelten im Süden Palästinas hauptsächlich in den von Fürsten regierten Stadtstaaten Aschdod, Askalon, Ekron, Akkaron, Gath und Gaza, die einen lockeren Verbund bildeten. Mit dem Niedergang des ägyptischen Einflusses erlangten die Philister für rund 200 Jahre die Vormacht in diesem Raum. Sie waren durch ihr Eisenmonopol gut gerüstet und verfügten über Expeditionstrupps, mit denen sie unbotmäßige Nachbarn einschüchterten. Es ist möglich, dass die biblische Geschichte von David und Goliath eine Auseinandersetzung mit solch einem Expeditionskorps schildert. In der Erzählung vom Kampf des Hirtenjungen David gegen den Riesen Goliath werden die Israeliten als arme kleine Hirten mit Steinschleudern verniedlicht.
Was danach geschah: Möglicherweise versuchte der aus der Bibel, aber sonst nicht bekannte König Saul die israelitischen Stämme in Galiläa und um Jerusalem zu einen, um sich gegen die Philister zu behaupten. Bei dieser – möglichen – ersten Staatenbildung (ca. 1050–1000 v. Chr.) spielten die aufkommenden Propheten eine wichtige Rolle. Erst König David, dem Anführer des Südreiches Juda, gelang es, den Einfluss der Philister auf die israelitischen Stämme einzudämmen. Spätestens mit der Eroberung aller Länder an der Ostküste des Mittelmeers durch die Assyrer um 730 v. Chr. verloren die Philister ihre Selbstständigkeit.
ca. 1000 v. Chr.
KÖNIG DAVID Die Geschichte von David und Goliath fasst die militärische Wirksamkeit des vermutlich jungen Anführers und »Steinschleuderers« gegen die Philister legendenhaft zusammen. Vielleicht soll sie zum Ausdruck bringen, dass gegen die Hochrüstung der Philister nur mit Witz und Wagemut etwas auszurichten war. Es ist dieser junge Mann, den Michelangelo in göttlicher Nacktheit in einer der berühmtesten Marmorstatuen der Welt für den Rathausplatz von Florenz gemeißelt hat.
Nach dieser Heldentat wurde David (»der Geliebte«) keineswegs gleich zum König gemacht, vielmehr musste er sich angesichts der Eifersucht seines »Schwiegervaters« Saul jahrelang verstecken und wurde eine Art Robin Hood. Erst nach Sauls Tod, so die Bibel, stieg David zum König von Juda auf. Er vereinigte Juda (im Süden) mit Israel (im Norden) und machte Jerusalem um das Jahr 1000 v. Chr. erstmals zur gemeinsamen Hauptstadt.
Dass David eine historische Gestalt war, ist indes nicht erwiesen. Er könnte genauso legendär sein wie Moses, Agamemnon oder König Artus. Aus assyrischer oder ägyptischer Perspektive wäre er nicht mehr als ein Provinzfürst gewesen. Jerusalem hatte zu seiner Zeit schätzungsweise 1500 Einwohner.
950 v. Chr.
SALOMONISCHER TEMPEL Seine Glanzzeit erlebte Jerusalem unter Davids Sohn, dem weisen König Salomon. Dieser erbaute den nach ihm benannten Tempel für das Hauptheiligtum der Israeliten, die Bundeslade. Schon David hatte diese aus der alten kanaanitischen Königstadt Hebron herbeischaffen lassen. Salomon blieb eigentlich nichts anderes übrig als die Bauaufsicht, denn der Tempel wurde ohnehin nach Jahwes Bauplan errichtet, der in der Bibel ausführlich beschrieben ist.
Salomon ist wegen mangelnder Trennschärfe zwischen Legende und Historie genauso wenig verbürgt wie David. In der verklärenden Erinnerung an jene friedliche Königs-Epoche eines geeinten Reiches entwickelten die Israeliten spätestens während der für sie traumatischen Babylonischen Gefangenschaft um 550 v. Chr. die sehnsüchtige Vorstellung von der Rückkehr eines rettenden gesalbten Königs. »Der Gesalbte« heißt auf Hebräisch Messias, auf Griechisch Christos. Salomons Name ist direkt verknüpft mit dem hebräischen Wort schalom für »Frieden«.
Übrigens: Auf den Bau des Salomonischen Tempels führen die Freimaurer ihre Traditionen zurück.
Was danach geschah: Samaria wurde 722 v. Chr. von den Assyrern erobert, die, wie sie es immer taten, Zehntausende Menschen umsiedelten. Auch Juda war bedroht. Dort wurde 622 v. Chr. die »Zweite Gesetzgebung« (Deuteronomium) erlassen, die der fromme König Joshua und die Jahwe-Priesterschaft als auf Moses zurückgehend ausgaben, insbesondere durch die inszenierte Auffindung eines angeblich alten Gesetzestextes. Dieser erlaubte einzig den Jahwe-Kult im Tempel von Jerusalem, was bei einer monotheistisch angelegten Religion durchaus naheliegt, nach der man Gott nur an einer Stelle verehren kann – oder überall. Mit dem Untergang Assyriens (625 v. Chr.) setzten die Neubabylonier deren Großmachtpolitik in Rivalität mit Ägypten im Nahen Osten fort. 597 eroberten sie Juda, obwohl das Land von den Ägyptern unterstützt wurde. Im zweiten Anlauf nahmen sie 586 v. Chr. Jerusalem ein und verschleppten die Oberschicht nach Babylon.
um 950 v. Chr.
PHÖNIZIER II Ein Zeitgenosse König Davids und König Salomons war um 950 v. Chr. König Hiram I. von Tyros, dem nunmehr mächtigsten der phönizischen Stadtstaaten (und Mutterstadt des 150 Jahre später gegründeten Karthago). Hiram pflegte auch Handelsbeziehungen mit den Königen in Jerusalem. Andere bedeutende phönizische Zentren waren Byblos, Sidon sowie das nordsyrische Ugarit. Dieses war schon in den Schlägen des Seevölkersturms kurz nach 1200 v. Chr. untergegangen, der archäologische Platz ist jedoch wegen der dort gefundenen Keilschrifttafeln für die Geschichtsschreibung aufschlussreich. Ugarit war in seiner Blütezeit zwar den Hethitern tributpflichtig, ansonsten aber unabhängig. Es gab dort ein mykenisches Stadtviertel und die Stadt unterhielt intensive Handelsbeziehungen zu den Hyksos-Königen in Ägypten und selbstverständlich nach Mesopotamien. Ugarit war das Musterbeispiel einer für damalige Zeiten kosmopolitischen Stadt und Handelsdrehscheibe. Bei der allmählichen Herausbildung des phönizischen Alphabets hatten Ugarit und Byblos eine führende Rolle gespielt. Die kulturelle Eigenständigkeit der Phönizier endete mit der Eingliederung der Küstenstädte in das Reich Alexanders des Großen im Jahr 332 v. Chr. und des Nachfolgestaates der Seleukiden, der dann im Römischen Reich aufging.