PEST-ZEIT

Mitte des 14. Jahrhunderts wütete in Europa die Pest. Der Begriff »Schwarzer Tod« wurde damals nicht verwendet; er entstand erst um 1830. In Deutschland sprach man eher von »Pestilenz«, damit eng verknüpft ist der sprichwörtliche »pestilenzialische Gestank«. Dessen Bekämpfung mit Räucherwerk war denn auch eine der typischen hilflosen »ärztlichen« Maßnahmen der Zeit.

Die Pest wurde aus Asien wahrscheinlich mit Schiffen über das Schwarze Meer eingeschleppt. Konstantinopel mit seinen katastrophalen hygienischen Verhältnissen blieb einer der Hauptherde. Entlang der Schifffahrtsrouten breitete sich die Seuche demzufolge am schnellsten und am intensivsten aus. Teile Italiens und Südfrankreichs sowie Norddeutschland waren daher immer wieder stärker betroffen. In Florenz, wo die Pest besonders heftig wütete, starben mehr als drei Viertel der Bewohner. Insgesamt tötete die Pest ein Drittel der europäischen Bevölkerung, rund 20 bis 25 Millionen Menschen, in Deutschland schätzungsweise zehn Prozent.

ca. 1350

TOTENTANZ – GEIßLERZÜGE – BRUNNENVERGIFTER    Begleiterscheinung der Pest war ein übersteigertes Büßer- und Geißlertum, in der Kunst dargestellt als »Totentanz«, in Frankreich als Danse macabre. Die Geißler- oder Flagellantenzüge hatten sich, ausgehend von Italien, blitzartig in ganz Europa verbreitet. Bis ins 19. Jahrhundert hielt man Krankheiten oft für eine »Strafe Gottes«, so kam es zu dieser »religiösen« Bekämpfung der Seuche. Eine andere Begleiterscheinung waren teilweise massive Pogrome gegen Juden. In Deutschland fielen ihnen Tausende zum Opfer, noch mehr wurden vertrieben. Die Beschuldigung lautete meistens, Juden hätten Gift in die Brunnen geträufelt. Papst Clemens VI., der so willfährig nach Avignon übergesiedelt war, sah allerdings keinen Zusammenhang, da die Pest auch dort wütete, wo keine Juden lebten, und beschützte sie in seinem Machtbereich.

1356

GOLDENE BULLE    Prag war einer der Orte, der von der großen Pestepidemie verschont blieb. Der spätere Kaiser Karl IV. aus dem Hause Luxemburg wurde 1316 hier geboren und ursprünglich auf den böhmischen Namen Wenzel getauft. Er wuchs am französischen Hof auf und war als junger Mann lange durch Italien gereist; der sehr gebildete junge Prinz sprach fünf Sprachen. In der Nachfolge seines Vaters wurde Wenzel als Karl IV. 1347 böhmischer König und 1349 deutscher Kaiser. Kurz nach seinem Regierungsantritt gründete er 1348 in Prag die erste Universität nördlich der Alpen. Er machte Prag zu einem Zentrum der spätmittelalterlichen Kultur. Mit der Goldenen Bulle erließ er eines der wichtigsten Grundgesetze für das Heilige Römische Reich.

Bullen waren die aus Wachs oder Blei bestehenden Siegel, mit denen man die Echtheit wichtiger Urkunden verbriefte. Sie sind der Vorläufer des Amtsstempels auf Führerschein, Baugenehmigung und dergleichen. Man bezeichnete aber auch das gesamte Dokument – hauptsächlich die Urkunden der Päpste – als Bulle. Im deutschsprachigen Raum bezieht sich »Goldene Bulle« eigentlich immer nur auf die von Karl IV. erlassene Bulle von 1356. Sie blieb bis zum Ende des Heiligen Römischen Reiches (1806) in Kraft, regelte endgültig die Wahl des »römischen« Kaisers und bestätigte vor allem die sieben Kurfürsten, die sich bis dahin herausgebildet hatten, in ihrem (alleinigen) Wahlrecht.

Die Goldene Bulle schuf im Wesentlichen kein neues Recht, sondern schrieb eine überkommene Praxis für die Zukunft fest. Neu war allerdings, dass die Berechtigung zum Führen des Kaisertitels nicht mehr von der Zustimmung des Papstes abhing. Endgültig seit der Goldenen Bulle war damit der deutsche König auch automatisch »römischer Kaiser«. Dementsprechend verloren die Papstkrönungen an Bedeutung. Der letzte deutsche König, der von einem Papst gekrönt wurde, war Karl V.

HEILIGES RÖMISCHES REICH DEUTSCHER NATION    Bis in die Zeit der Ottonen sprach man nur vom Regnum Francorum oder vom Regnum Teutonicum. Während der Zeit der Salier wird erstmals die Bezeichnung Imperium Romanum aktenkundig (1034). Im Zusammenhang mit den um das Jahr 1000 umlaufenden apokalyptischen Weltuntergangsszenarien gab es eine mittelalterliche Geschichts»theorie«, die auf einer Bibelstelle im Buch Daniel beruhte und eine Abfolge von Weltreichen: Babylon-Perser-Alexander-Rom postulierte. Durch die Übertragung der Kaiserwürde an Karl den Großen sei die römische Kaiserwürde bei den fränkischen Herrschern und letztlich bei den Deutschen angekommen. So wurde das Regnum Francorum begrifflich gesehen zum Imperium Romanum.

Als sich Friedrich Barbarossa in Italien in der Auseinandersetzung mit dem Lombardischen Bund und der Sancta Ecclesia des Papstes zu behaupten versuchte, überhöhte sein Kanzler das Imperium Romanum zum Sacrum Imperium Romanum (Heiliges Römisches Reich). Wesentlicher Bestandteil dieses Propagandafeldzuges war übrigens die Übertragung der Reliquien der Heiligen Drei Könige (Könige!) aus dem besiegten Mailand nach Köln. Für deren Aufbewahrung wurde der prächtige Dreikönigsschrein in Auftrag gegeben. Außerdem veranlasste die Reichskanzlei die Heiligsprechung Karls des Großen einschließlich einer feierlichen Umbettung von dessen Gebeinen. Bei dieser Zeremonie spielte Barbarossa die zentrale Rolle. So wurde das Kaisertum sakralisiert, »heilig« gemacht. Unter Karl IV. trat bei der Ausfertigung der Goldenen Bulle ausdrücklich der Zusatz hinzu, dass es »deutsche Nationen«, deutschsprachige Fürsten waren, die den »römischen« Kaiser wählten: das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.

1378–1417

ABENDLÄNDISCHES SCHISMA    Wegen des Exils der Päpste in Avignon war Italien in Anarchie versunken. Die heilige Katharina von Siena reiste daher in die Provence und bewog 1376 Papst Gregor XI. zur Rückkehr.

Gregor XI. starb 1378. Nachfolger wurden Urban VI. auf der einen (römischen) Seite und Clemens VII. auf der Seite Avignons. Die Römer wollten keinen französischstämmigen Papst mehr, Urban war Italiener. Die Mehrheit der Kardinäle war aber französisch. Beiden fehlten Macht und Wille, die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Italien zu beenden – im Gegenteil, man schürte sie teilweise noch. Das Schisma spaltete ganz Europa. Die Gegenpäpste aus Avignon hatten natürlich kein Interesse, es zu beenden. Der Papst aus Avignon wurde von den iberischen Königreichen Kastilien, Aragón, Portugal und von Neapel-Sizilien anerkannt. Hinter dem römischen Papst standen das Reich, England, Ungarn und Polen. Das Abendländische Schisma wurde erst auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) beigelegt. Inzwischen hatte man auch in Frankreich eingesehen, dass die Spaltung des Papsttums auf die Dauer nicht aufrechterhalten werden konnte, und den deutschen König und späteren Kaiser Karl IV. um Vermittlung gebeten. Dessen Bruder, König Sigismund, war auf dem Konzil die treibende Kraft zum Ausgleich. Im Konstanzer »Konzilsgebäude« wurde 1417 Martin V. als von allen anerkannter Papst gewählt. Der einigte sich 1429 mit dem letzten Gegenpapst über dessen Rücktritt.

ca. 1415

HUSSITEN    In Konstanz wurden auch die als ketzerisch verurteilten Lehren des Engländers John Wyclif (der bereits gestorben war) und des Böhmen Jan Hus verurteilt. Hus (1370–1415) hatte in seinen Schriften Wyclif ausgiebig zitiert. Auch kritisierte er, was später Luther gegen die Amtsträger der Kirche aufbrachte: »Die Priester predigen wohl gegen unsere Unzucht und unsere Laster, aber von den ihrigen sagen sie nichts.« Priester und Mönche galten als Inbegriff der Heuchelei. In Böhmen war Hus sehr populär, er predigte auf Tschechisch und beflügelte das Nationalbewusstsein der Tschechen, die sich von der deutschen Oberschicht diskriminiert fühlten. (Prag war damals Residenz der Kaiser.) Hus war 1415 gegen die Zusage von freiem Geleit nach Konstanz gekommen, wurde aber festgenommen und als Ketzer verbrannt. Nach seinem Tod wurde die Hussiten-Bewegung eine bürgerkriegsähnliche Bedrohung von Brandenburg über Sachsen, Böhmen und Bayern bis Ungarn und Polen. Das Zentrum der hussitischen »Ketzer« blieb Böhmen. Die Truppen von Kaiser Sigismund wurden bei ihren »Kreuzzügen« regelmäßig von den hussitischen geschlagen, bis sich die Hussiten spalteten. Die Mischung aus »Religionskrieg« und tschechischem Nationalaufstand war ein Vorspiel des Dreißigjährigen Krieges.

ca. 1450

BUCHDRUCK    Nach den schlimmsten Wellen der Pest, im auslaufenden Spätmittelalter und fast schon an der Schwelle zur Renaissance auch nördlich der Alpen, gelingt Johannes Gutenberg (ca. 1397–1468) zunächst in etwas mühsamer handwerklicher Erfinderarbeit, aber letztlich erfolgreich die epochale Innovation des Buchdrucks. Jahrhundertelang hatte es keinen vergleichbaren technischen Fortschritt gegeben und es sollte lange dauern, bis eine ebenbürtige Neuerung folgte. Die kulturellen Folgen dieser technischen Erfindung können gar nicht überschätzt werden. 1962 prägte der einflussreiche kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan, der auch das Schlagwort »Globales Dorf« erfunden hat, das Wort von der Gutenberg-Galaxis für das seither in schriftlicher Form leicht zu vervielfältigende Weltwissen.

Die gesamte Technik des Buchdrucks besteht nicht nur aus dem einzigen Vorgang des Pressens, deshalb ist die oft anzutreffende Bezeichnung Johannes Gutenbergs als »Erfinder der Druckerpresse« nicht besonders genau. Das Druckverfahren besteht aus mehreren Einzelschritten vom Herstellen bzw. Gießen der Lettern über das Einschwärzen mit Druckerfarbe bis zum Pressen. Gutenberg hat für alle Produktionsstufen entscheidende Verbesserungen vorgenommen. Bis dahin wurde auch schon gedruckt – Holzschnitte zum Beispiel –, aber auf umgebauten Most- oder Weinpressen. Das Entscheidende war die Kombination von in beliebiger Anzahl herstellbaren, »beweglichen« Lettern, die mit der Presse in einen Winkelrahmen »gesetzt« wurden.

Das Verfahren hatte unglaublichen Erfolg. Zwischen 1470 und 1490 erhöhte sich die Zahl der Druckorte in Europa von 17 auf 204. Die wichtigsten Druckwerke waren zunächst Ablassbriefe und Kalender. Man hat die schnelle Verbreitung der Reformation mit dem »neuen Medium« in Verbindung gebracht. Auch die Alphabetisierung der Bevölkerung in den nachfolgenden Jahrhunderten wäre ohne massenweise gedruckte Bücher nicht denkbar. Der Buchdruck ist das erste »industrielle« Herstellungsverfahren eines Produkts, das mehrmals vervielfältigt wird.

Mit seinem Hauptwerk, der 42-zeiligen Gutenberg-Bibel, einer lateinischen Bibelausgabe schuf der äußerst sorgfältige Handwerker und Buchkünstler Gutenberg in Mainz nach Meinung vieler Kenner nicht nur das erste bedeutende gedruckte Buch, sondern auf Anhieb das bis heute schönste – oder wenigstens eines der schönsten.

Wann tranken die Türken ihren Kaffee vor Wien?: Weltgeschichte - alles, was man wissen muss
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