EIN NEUER PROPHET
Mit dem Propheten Mohammed (»der Vielgelobte«) aus Mekka erschien im arabischen Raum eine neue monotheistische Religion, die auch einen neuen Gottesnamen verbreitete: Allah. Alaha war das Wort der syrischen Christen für »Gott« und natürlich war »Allah« kein »neuer Gott« (wie vielleicht die Römer in Mithras einen »neuen Gott« kennengelernt hatten). So etwas kann es in einer universalen, monotheistischen Religion nämlich nicht geben: Gott war schon immer und wird immer sein und ist für alle Menschen da, im Christentum wie im Islam.
um 570–632
MOHAMMED Als jüngster unter den großen Religionsstiftern ist Mohammed (um 570–632) mit Sicherheit eine historische Person. Er stammte aus dem Clan der Koreischiten, die zur Oberschicht der Stadt Mekka zählten. Durch seine Heirat mit der 15 Jahre älteren Kaufmannswitwe Chadidscha wurde er wohlhabend. Als Karawanenunternehmer lernte er die Welt des Nahen Ostens bis hinauf nach Syrien kennen. Mit Chadidscha hatte er eine Tochter, Fatima, die Stammmutter aller Nachfahren des Propheten.
Mohammed verabscheute die polytheistischen Kulte seiner Heimat, erkannte nur das uralte Kaaba-Heiligtum in Mekka an und verkündete die Lehre vom einen einzigen Gott. Nach dem Tod Chadidschas hatte er in Mekka nicht mehr genügend einflussreiche Beschützer und floh 622 ins benachbarte Medina. Diese »Hedschra« war der Beginn der islamischen Zeitrechnung (nach dem Mondkalender). Aktuell (2010) leben wir im Jahr 1431 des islamischen Kalenders.
In Medina schwang sich Mohammed zum politischen Führer der Stadt auf und nannte sich nun »Prophet« und »Gesandter Gottes«. Als politischer, militärischer und geistlicher Führer kehrte er 630 nach Mekka zurück.
Die Stadt wurde ohne viel Blutvergießen erobert. Von hier aus leitete Mohammed als geistliches und weltliches Oberhaupt die Expansion seiner Herrschaft wie seiner Religion. Bei seinem Tod beherrschte er schon Arabien.
ISLAM bedeutet »Ergebung in Gottes Willen« und ist das oberste Gebot Gottes, wie es Mohammed offenbart wurde. Konkret bezieht es sich auf Abrahams Gehorsam gegenüber Gottes Befehl, den Sohn Isaak zu opfern. Mohammed, davon zutiefst beeindruckt, machte es zum Ausgangspunkt seiner Gottesvorstellung.
Im Gegensatz zum Christentum sieht die islamische Religion den Menschen nicht als von der Erbsünde belastet und daher von Grund auf verdorben an. Der Mensch bedarf also auch keiner Erlösung oder eines Aktes der Befreiung von allen Sünden, wie ihn der christliche Gott mit dem Kreuzestod vollzog – das Opfer, an das täglich in der Messe erinnert wird. Der Islam sieht kein prinzipielles Hindernis für den Menschen, in die Seligkeit Gottes einzugehen, sofern er sich an die Gebote des Korans hält.
KORAN Das ursprünglich syrische Wort für die Heilige Schrift des Islams bedeutet »Lesung, rezitierender Vortrag«. Wie alle Religionsstifter hinterließ Mohammed keine eigenhändigen Schriften. Die Texte sind nach islamischem Glauben Gottesworte, dem Propheten durch den Erzengel Gabriel eingegeben. Sie dürften aber aus unterschiedlichen Quellen stammen, wurden gesammelt, »redigiert« und ungefähr 20 Jahre nach Mohammeds Tod unter dem dritten Kalifen Osman in kanonischer Form herausgegeben. Der Koran besteht aus 114 Suren in arabischer Sprache. Er enthält historische Teile, Glaubensgrundsätze, Vorschriften und Rechtsgrundsätze. Die Suren sind einfach ihrer Länge nach angeordnet. Die längsten stehen am Anfang, die kürzesten am Schluss. Deswegen ist der Koran »unsystematisch«.
SCHARIA Diejenigen Passagen des Korans, die sich mit den Verhaltensweisen der Menschen beschäftigen, sind Grundlage der Scharia, des islamischen Rechts. Ausdrücklich verboten sind: Diebstahl, Unzucht, Unzucht zwischen Männern, Verleumdung wegen angeblicher Unzucht und Alkohol. Als göttliches Recht ist das islamische Recht unveränderbar.
DSCHIHAD ist ein vieldeutiger Begriff, bedeutet wörtlich »Anstrengung«, »Kampf« und daher nicht nur »Heiliger Krieg«. Gemeint ist vielmehr das moralische Gebot, Gutes zu tun, und die innere Anstrengung, sich tugendhaft zu verhalten.
ARABER Bis zu ihrer Islamisierung hatten die semitischen Beduinen der Arabischen Halbinsel nur eine bescheidene, lokale Rolle gespielt. »Araber« ist verwandt mit dem hebräischen Wort ereb, »gemischte Menge«. Die Araber überrannten und verwandelten die gesamte südliche Mittelmeerwelt und den Osten zunächst bis ins Hochland von Iran. Das Arabische wurde die Handels-, Verwaltungs- und Gelehrtensprache bei Aramäern, Persern, Ägyptern, und es ist natürlich die heilige Sprache des Korans. Die Araber verwandelten als erobernde neue Oberschicht zwar das äußere Erscheinungsbild der orientalischen Zivilisationen, nicht aber die jahrtausendealten kulturellen Traditionen und die gewachsene, in sich ruhende, hochentwickelte Zivilisation dieser Länder und Völker. Da auch keine Zwangsbekehrungen stattfanden, funktionierten diese bruchlos weiter. Treibende Kraft der islamischen Expansion zu einer Großmacht waren die Nachfolger des Propheten, die sogenannten Kalifen (arabisch kalif = Nachfolger). Der zweite Kalif Omar (592–644) rang den Byzantinern den Nahen Osten ab und brachte das Persische Reich der Sassaniden ganz unter islamischen Einfluss.
KOREISCHITEN Mohammed und Abu Bakr (573–634) – er war der erste Kalif, Freund und Schwiegervater des Propheten – gehörten beide zum Stamm der Koreischiten, einem Clan von Fernhändlern, der die Kontrolle über die Stadt Mekka und das Kaaba-Heiligtum innehatte. Das waren keine nomadischen Beduinen, sondern städtische Aristokraten, die sich in den syrischen, mesopotamischen und persischen Metropolen auch sogleich wie zu Hause fühlten. Nur ihre Krieger rekrutierten sich aus den Wüstennomaden und übertrafen wie alle Nomadenvölker die sesshaften Bauernkulturen und gewachsenen Stadtzivilisationen an Kampfgeist.
Die Zugehörigkeit zum Koreischiten-Stamm gilt bis heute in der islamischen Welt als sehr prestigeträchtig. Dazu gehören als Teilzweig beispielsweise auch die Haschemiten, das heutige jordanische Königshaus, aber auch der von einem Pakistaner abstammende englische Schriftsteller Hanif Kureishi (Mein wunderbarer Waschsalon). Auch die erste richtige arabische Dynastie, die das Kalifenamt in Familienerbfolge weitergab, die Umaijaden, stammte noch aus diesem Umfeld der mekkanischen Aristokratie und bestand ursprünglich aus Koreischiten.
634
ARABISCHE EXPANSION Abu Bakrs Nachfolger war der Koreischite Omar, der von 634 bis 644 regierte. Omar hatte das Kriegshandwerk gelernt und war ein erfahrener Kaufmann. Unter Omars Führung und der seiner Gefährten, alles Freunde des Propheten aus dem Stamm der Koreischiten, eroberten die Araber 634 Palästina, 635 Syrien, 636 Irak, 638 Jerusalem und 639 bis 642 Ägypten. Die persischen Sassaniden wurden 642 endgültig bezwungen. Die Expansion wurde aber nicht immer durch Kriege und Schlachten erreicht, sondern auch durch Verhandlungen und Verträge.
Die arabische Expansion verlief auch deswegen so schnell und relativ unblutig, weil die Araber in den von ihnen eroberten Gebieten nicht, wie die Byzantiner oder die Sassaniden, als Fremdherrscher empfunden wurden. Die Araber erwiesen sich als religiös tolerant. Sie zwangen den Völkern den Islam nicht auf, allerdings wurde den Menschen der Übertritt durch das Steuersystem erleichtert: Nicht-Muslime mussten eine Kopfsteuer entrichten, Muslime nicht. Ansonsten ließ man die Andersgläubigen in Ruhe. Omar war es, der die heute gültige islamische Zeitrechnung im Jahr der Hedschra 622 beginnen ließ. Er wurde 644 ermordet.
656
SCHIITEN Die Zeit des dritten Kalifen, des Koreischiten Osman von 644 bis 656, war von Streitigkeiten innerhalb des arabischen Führungskerns gekennzeichnet, an denen sich auch Aischa, die zweite Frau und Witwe des Propheten beteiligte. Es ging um die Verteilung der Beute, um Statthalter- und Heerführerposten. 24 Jahre nach Mohammeds Tod kam es zur Spaltung des Islams. Osman wurde von seinen Gegnern ermordet.
Schon bei dessen Wahl hatte sich Ali, der Schwiegersohn des Propheten, übergangen gefühlt. Er hatte Fatima, die Tochter Mohammeds, geheiratet und war überhaupt der treueste aller Gefährten. Es ist nicht klar, ob Ali an dem Mordkomplott gegen Osman beteiligt war, nun aber wurde er zum vierten Kalifen gewählt.
Ali nahm den Titel nicht an, sondern nannte sich nur »Emir« (»Anführer«, »Befehlshaber« der Gläubigen). Noch im selben Jahr 656 kam es zur Kamelschlacht bei Basra (einem der Hauptkampforte im letzten Golfkrieg der Amerikaner im Irak). Ali siegte, wurde aber dennoch nicht vom koreischitischen Wortführer Muawiya anerkannt. Noch einmal spaltete sich eine Glaubensgruppe ab (die Charidschiten). Diejenigen, die Ali als einzigen wahren Nachfolger des Propheten akzeptieren, werden Shi’at Ali genannt, Anhänger Alis, oder »Schiiten«.
Ali wurde 661 von einem Charidschiten ermordet, sein Grab wird in Nadschaf im Irak verehrt und ist bis heute ein Wallfahrtsort der Schiiten.
Nun wurde Muawiya fünfter Kalif und vereinbarte mit dem älteren Sohn Alis, Hassan, einen Verzicht auf dessen Ansprüche. Doch weil Muawiya entgegen der Vereinbarung seinen eigenen Sohn Yazid zum Nachfolger machen wollte, nahm der jüngere Sohn Alis, Hussein, den Kampf wieder auf. Die Brüder Hassan und Hussein waren durch ihre Mutter Fatima immerhin Enkel des Propheten. Hussein wurde 680 in der Schlacht bei Kerbala von Yazid getötet. Er gilt den Schiiten als Märtyrer. Sein Grab wird in Kerbala verehrt, wo die Schiiten das alljährliche Gedenken beim Aschura-Fest mit Prozessionen, Bußritualen und Selbstgeißelungen begehen. Aufgrund dieser Tradition sind Iran und Teile des Irak traditionell schiitisch.
660
OMAIJADEN Muawiya hatte als junger Mann dem Propheten als Sekretär gedient. Im Zuge der arabischen Expansion war er Statthalter in Syrien mit Sitz in Damaskus geworden und der Anführer des omaijadischen Familienzweigs der Koreischiten. Ali erkannte er nicht an, weil er ihn für mitbeteiligt an der Ermordung Osmans hielt. Durch Muawiyas Wahl zum fünften Kalifen wurde Damaskus nun das Zentrum der islamischen Welt, und das Kalifenamt wurde fortan bis 750 innerhalb der Omaijaden-Familie weitergegeben. Sie bildeten also eine Dynastie.
Der sechste Omaijaden-Kalif al-Walid regierte von 705 bis 715. Er errichtete den größten und bedeutendsten frühislamischen Sakralbau, die Moschee in Damaskus – nach dem Vorbild der Hagia Sophia. Al-Walid trieb auch die zweite große Expansionswelle voran, diesmal nach Westen bis nach al-Andalus.
Was danach geschah: Die Omaijaden werden 750 von den Abbasiden abgelöst, die umgehend Bagdad gründen. Ein Omaijaden-Spross errichtet das Emirat von Córdoba. Beide Städte werden die blühenden Zentren der arabischen Gelehrsamkeit im Mittelalter.