»Nur um zu lernen«
Bohr war also für jeden Spaß zugänglich und im Umgang mit Menschen äußerst neugierig. Dies kam vor allem im Gespräch zum Vorschein, wenn es um die Fragen ging, die ihn als Physiker fesselten. Dann verspürte Bohr keine Müdigkeit mehr, er hörte ungeheuer konzentriert zu und versuchte, alle ihm gegebenen Erklärungen im Detail zu verstehen – was zunächst einmal bedeutete, dass er mit wachsendem Vergnügen in seinen Gedanken mit dem Gegenteil des gerade Gehörten experimentierte und zu erkunden versuchte, ob die entsprechende Position eventuell stimmig sein könnte. Seinen oft verzweifelten und bald erschöpften Gesprächspartner beruhigte Bohr dann mit den legendären Worten: »Wir sind viel mehr einig, als Sie denken.« Schließlich setzte er seine bohrende Skepsis in Gang, »nicht um zu kritisieren«, wie er ebenfalls wiederholt betonte, sondern »nur um zu lernen«. Letztendlich hatte er in der Physik oft die Erfahrung gemacht, dass die Annahme einer anderen Sicht tatsächlich dazu führen kann, dass von diesem entgegengesetzten Standpunkt aus betrachtet die Dinge an Klarheit gewinnen. Dass zwei gegenteilige Ansichten im Wechselspiel mehr bringen als eine einseitige Festlegung, wie es etwa auch die Richter handhaben, die erst nach Anhören von Rede (Anklage) und Gegenrede (Verteidigung) Recht sprechen.
Unangenehm wurde es im Gespräch mit Bohr, wenn die einzigen Worte, die er äußerte, »sehr interessant« lauteten. Bald sagte er dann nur noch »sehr, sehr«, und spätestens jetzt musste sein Gegenüber merken, dass er wenig gesagt hatte, das Bohr tatsächlich interessant genug fand, um sich weiter damit zu befassen.
Bohr sah den Menschen in solch einem Spannungsfeld. Für ihn agiert der Mensch sowohl als Zuschauer als auch als Mitspieler in dem Theater, in dem unser Leben spielt. Dabei lässt er offen, wer für ihn als Autor des Dramas infrage kommt, das unsere Existenz darlegt. Vermutlich bereitet ihm selbst die Antwort darauf keine Mühe. Der Autor – die poetische Kraft – steckt in jedem von uns. Wir schreiben unser Leben selbst. Deshalb können wir auch davon erzählen.