Stabilität und Ordnung der Elemente
Zu den großen und grundlegenden Ideen zählen die Vorstellungen von Atomen und Elementen. Sie gehören eng zusammen, obwohl sie verschiedenen Wissenschaften zugeordnet werden, aus verschiedenen Sprachen stammen und vor allem unterschiedlich erfahrbar und sinnlich greifbar sind.
Die Atome bleiben unsichtbar, sie tragen einen griechischen Namen, der ausdrückt, dass sie als unteilbar gelten, und erforscht werden diese Grundbausteine der Natur von der Physik. Die Elemente hingegen – etwa in Form von Eisen und Schwefel – kann man in die Hände nehmen und ertasten, man kann sie riechen, schmecken und sehen, sie werden mit dem lateinischen Wort für »Grundstoff« bezeichnet und der Chemie zugerechnet, die sie charakterisiert oder in der Art von »Wahlverwandtschaften« miteinander verbindet.
Im Verlauf des 19. Jahrhundert hatte man verstanden, dass es möglich ist, die in der Natur vorgefundenen und unserer Wahrnehmung zugänglichen Elemente aufgrund von chemischen Ähnlichkeiten in eine periodische Ordnung zu bringen. Man hatte darüber hinaus erkannt, dass das dazugehörige Schema aus der Tatsache resultierte und erklärt werden musste, dass sich die konkret vorliegenden chemischen Grundstoffe aus abstrakt bleibenden physikalischen Atomen zusammensetzen, auch wenn die so bezeichneten Gebilde sich jeder direkten Wahrnehmung und folglich dem – wörtlich verstandenen – Begreifen entzogen. Man kann Chlor riechen, aber nicht an einem Chloratom schnuppern. Man kann Nickel anfassen, aber kein Nickelatom in Händen halten. Man kann den Glanz von Chrom bestaunen, aber kein Chromatom sehen.
Trotz dieser merkwürdigen Halbwirklichkeit von Atomen konnten sich die Naturforscher nach und nach von der Existenz dieser seit der Antike erdachten Grundbausteine der Materie überzeugen; es blieb Albert Einstein vorbehalten, 1905 die entscheidende Beweisführung vorzulegen. Ihm gelang der Nachweis, dass sich das zittrige Wackeln von winzigen Körnchen auf einer wässrigen Oberfläche höchst genau durch die Annahme erklären ließ, dass die unruhigen Partikel unentwegt von Atomen aus dem Inneren der Flüssigkeit bombardiert und verschoben wurden. Mit Einsteins Hilfe konnte man Atome schließlich sogar zählen, und spätestens damit verwandelten er und seine Kollegen aus der Physik die philosophische Spielerei der Antike in den wissenschaftlichen Ernst der Neuzeit.
Vor diesem historischen Hintergrund stellten sich den Naturforschern zu Beginn des 20. Jahrhunderts enorm schwierige Aufgaben, deren Lösung genau in dem Moment Ruhm versprach, als Bohr in Kopenhagen sein Studium aufnahm. Es galt zu verstehen, wie die Atome die uns umgebende Materie ermöglichen, stabil halten und bilden. Es ging zum einen darum, konkret zu bestimmen, wie ein Atom grundsätzlich aussieht, wie es seine Masse bekommt und wie die Ladungen in ihm verteilt sind; erst vor Kurzem, 1897, hatte J. J. Thomson das Eigenleben der negativen Elektronen entdeckt. Und es galt zum anderen präzise zu klären, wie sich einzelne Atomsorten unterscheiden – etwa Gold- von Silberatomen – und im elementaren Verbund von Atomen ihre sinnliche Vielfalt bekommen, die sich wahrnehmbar in ihren chemischen Qualitäten niederschlägt.
Es war schließlich Niels Bohr, der diese lange Zeit unlösbar scheinenden Fragen mithilfe der ihn umgebenden Wissenschaftler in den zehn Jahren nach seiner Promotion fast im Alleingang beantwortete und damit seinen rasch einsetzenden Weltruhm begründete. Folgerichtig und zeitig wurde er 1922 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet, wobei die offizielle Begründung der Schwedischen Akademie Bohrs »Verdienste um die Erforschung der Struktur der Atome und der von ihnen ausgehenden Strahlung« würdigte. Um die dabei gewonnenen Einsichten und die mit dieser Kenntnis mögliche Begründung für die Ordnung und den Aufbau der Elemente geht es in diesem Kapitel – um die wissenschaftlichen Entwicklungen, mit denen das Tor zum Atomzeitalter mit seinen politischen und sozialen Folgen unumkehrbar geöffnet wurde.