Die Ganzheit
In dieser von Bohr beschriebenen radikalen Revision der Einstellung zur physikalischen Realität kündigt sich eine seltsame Korrelation an, die man mit dem Begriff »Ganzheit« kenntlich machen kann. Bohr hatte sich bereits gleich zu Beginn der neuen Atomphysik auf diese »Eventualität« eingestellt und sie in einem am 18. April 1925 verfassten Brief an Heisenberg als »Kopplung der Quantenprozesse in entfernten Atomen« bezeichnet. Im nächsten Satz hatte er dann sofort eingeräumt, dass die Kosten dieser Annahme »sich nicht in der gewöhnlichen raum-zeitlichen Beschreibung ermessen lassen« und also eher ins Metaphysische hineinreichen. Diese Einschätzung bestätigte sich nun ein Jahrzehnt später in aller Deutlichkeit.
Die von der klassischen Physik beschriebene Welt konnte stets in ihre Einzelteile zerlegt werden, die sich anschließend isoliert betrachten ließen. Die Quantenwelt ist aber völlig anders. Offenbar kann sie nicht vollständig reduziert werden. Wenn zwei Teilchen miteinander in Wechselwirkung treten – in Einsteins Beispiel stoßen sie zusammen –, dann werden sie Teil eines physikalischen Systems (eines Ganzen), das nicht mehr erfasst werden kann, wenn man nur seine Einzelteile beschreibt. Mit anderen Worten: Es gibt Wirkungen in der Realität, die nicht zur Physik gehören und somit per definitionem metaphysisch sind.
Wir können nun nach dem Grund fragen. Denn schließlich bewegen sich die Teilchen voneinander weg, nachdem sie zusammengestoßen sind. Woher kommt die (weniger physische und mehr metaphysische) Korrelation, wenn die (eigentlich physikalische) Wechselwirkung aufgehört hat?
Die Antwort klingt seltsam, aber bei Bohr sind wir an solche Wendungen schon gewöhnt: Die Korrelation besteht nicht zwischen den wirklich vorhandenen Teilchen, sie besteht zwischen den Quantenzuständen, die mit diesen Teilchen verbunden sind; genauer gesagt: zwischen den Wahrscheinlichkeitsverteilungen, die festlegen, wie die Teilchen sich verhalten können. Im Rahmen der Quantenmechanik können diese Korrelationen die messbaren Eigenschaften der Teilchen auch dann noch beeinflussen, wenn sie selbst längst getrennt sind und nicht mehr miteinander in Wechselwirkung stehen.