Das Korrespondenzprinzip
In seinen ersten Monaten als Lehrstuhlinhaber in Kopenhagen bemühte Bohr sich vor allem um ein besseres Verständnis der Atome beziehungsweise seines Aufbauprinzips der chemischen Elemente. Zu diesem Zweck ersann er das sogenannte Korrespondenzprinzip, mit dem er zwar selbst offenbar artistisch jonglieren konnte, das viele voller Bewunderung zitierten, aber lieber nicht verfolgten.
Bohrs Prinzip verlangte, dass es eine Korrespondenz zwischen der neuen Physik mit Quanten und der alten Physik ohne Plancks Hilfsgröße geben müsse, was bedeutet, dass die Vorhersagen der Quantentheorie mit den Vorhersagen der klassischen Physik in den Bereichen übereinzustimmen haben, in denen Plancks Konstante durch ihre Winzigkeit an Bedeutung verliert oder die Quantenzahlen so groß werden, dass sich die Quantensprünge eher unmerklich vollziehen. Zwar feierte Bohr selbst seine Idee gern als »rationale theoretische Basis« für die Anordnung der Elektronenbahnen in Atomen, um seiner Zahlenspielerei den mystischen Beigeschmack zu nehmen, der ihr anzuhaften schien. Aber das Korrespondenzprinzip ruhte weniger auf einem physikalischen als vielmehr auf einem philosophischen Fundament. Bohr versuchte mit Vorsicht zu beschreiben, wie es bei den Atomen zum Tragen kommt: »Unter den Vorgängen, die denkbar sind und die gemäß der Quantentheorie in einem Atom ablaufen können, werden wir solche zurückweisen, deren Auftreten wir nicht als konsistent mit einer Korrespondenz der erforderlichen Natur ansehen können.«
Was Bohr vermutlich sagen und durch einen philosophischen Ausdruck absegnen lassen wollte, hängt mit der unklaren und zwiespältigen Lage seiner Wissenschaft zusammen. Er bewunderte zwar die mathematischen Ansätze, etwa von Sommerfeld, traute ihnen aber nicht zu, mit komplexer werdenden Atomen fertigzuwerden. Hierzu sah er nur das selbst praktizierte, intuitive Vorgehen in der Lage, dem er eine Richtschnur geben wollte, um es anwendungsfähig für andere zu machen – eben als Korrespondenzprinzip. Er setzte es zum Beispiel virtuos in Szene bei den Beschreibungen der Übergänge zwischen zwei stationären Zuständen, die dem Atom seine Form geben. Was Bohr und seine Kollegen interessierte, ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Übergangs. Mit dem Korrespondenzprinzip konnte Bohr sie elegant an die harmonischen Schwingungen der klassischen Form seiner Wissenschaft anknüpfen und die dabei auftretenden Amplituden berechnen, wie sie in Atomen nach den Vorstellungen der alten Theorie einer Physik ohne Quanten auftreten müssen.
Einstein hat das Korrespondenzprinzip in seinen frühen Anwendungen und Einsätzen sehr gelobt und seinen Begründer und Verfechter deswegen bewundert. Aber die weiteren Entwicklungen der Physik, die weg von der bald alten Quantentheorie, die wir Bohr verdanken, hin zu der neuen Quantenmechanik führten, die zwischen 1925 und 1928 vor allem von der jüngeren Generation mit Heisenberg als Vorreiter entworfen wird, lassen die Erinnerungen an das Bohr’sche Hilfsmittel in den kommenden Jahren eher verblassen – vor allem auch weil der dahinter stehende philosophische Gedanke der Zusammenführung von zunächst nicht Zusammengehörendem in einem umfassenden Kontext seit der Mitte der 1920er Jahre von Bohr neu und umfassender bedacht und dann auch ganz anders benannt wurde.