Das Leben wie das Licht
Auch wenn sie tödlich wirken kann, die Kernspaltung verdankt ihren Namen der Wissenschaft vom Leben. Wie wir gehört haben, war es ein bis heute anonym gebliebener Pflanzenphysiologe, der 1939 in der Gruppe um den ungarischen Chemiker George de Hevesy an Bohrs Institut arbeitete und das seiner sich mit der Zellteilung befassenden Forschung entstammende Wort der »Spaltung« für die Zerteilung eines Atomkerns vorgeschlagen und damit diesen Begriff für den Bereich der Physik und die Sphäre des Politischen geöffnet hatte.
Man mag sich vielleicht darüber wundern, was ein Biologe im Haus der Physik am Blegdamsvej zu suchen hatte. Die Antwort findet sich in einer autobiographischen Notiz, in der Niels Bohr sich 1958 ausdrücklich an die zahlreichen interdisziplinären Debatten erinnert, denen er um die Jahrhundertwende als junger Mann beiwohnen durfte. In einer Art wissenschaftlichem Gesprächskreis tauschte sich sein Vater Christian als Physiologe mit dem Philosophen Harald Høffding, dem Philologen Vilhelm Thomsen und dem Physiker Christian Christiansen aus. Bei den gemeinsamen Erörterungen kamen allgemeine fachliche Fragen aus den Blickwinkeln der jeweiligen Fächer zur Sprache. Das Quartett machte sich beispielsweise umfassend Gedanken darüber, ob sich das Leben und seine Besonderheiten nur mithilfe der Einsichten von Chemie und Physik verstehen ließen oder ob das Organische und Vitale über eigene, bislang unerklärliche Eigenschaften verfügten – über etwas geheimnisvoll Vitalistisches, wie der Philosoph Høffding der Runde als Thema vorschlug und selbst infrage stellte.
Die Professoren diskutierten auch immer wieder über die uralte Frage, wie es dem menschlichen Gehirn gelingen kann, neuartige Qualitäten von Geist zu zeigen oder Geistiges zu generieren. Steckt das Psychische schon im Physischen? Erzeugt der Körper den Geist, oder reagiert er mit ihm und entfaltet sich in der Evolution auf ihn zu?