Das Haus, das Bohr baute

In den zehn Jahren, die zwischen dem 1912 erfolgten Beginn von Bohrs Arbeit an der Trilogie über den Aufbau der Atome und der Entgegennahme des Nobelpreises für Physik 1922 in Stockholm liegen, trieb Bohr nicht nur seine Wissenschaft voran und machte Karriere als Hochschullehrer in Kopenhagen. Er schenkte darüber hinaus in einer ihn bis an den Rand der Erschöpfung bringenden Anstrengung seiner Wissenschaft etwas Wunderbares und Besonderes: das seit 1917 als Institut für Theoretische Physik geplante Gebäude, das heute als Niels-Bohr-Institut nach wie vor unter der Adresse Blegdamsvej 17 in Kopenhagen firmiert. Am 3. März 1921 hielt Niels Bohr die Ansprache zur offiziellen Einweihung des Hauses, und in seiner Rede gab er den Grund für seinen Stolz an: Die Theoretische Physik stellte dank ihrer Erfolge in der Atomforschung eine neuartige, eigenständige Disziplin dar, die sich der traditionellen Experimentalphysik gleichberechtigt an die Seite stellen konnte.

Mit den Planungen seines Instituts hatte Bohr begonnen, kurz nachdem er – mitten im Ersten Weltkrieg – mit seiner Frau Margrethe von Manchester nach Kopenhagen zurückgekehrt und sein erster Sohn, Christian, geboren war. Bereits 1917 richtete er eine erste Anfrage an die Universitätsleitung, und als wieder Friede in Europa herrschte, stimmte die Verwaltung dem Vorhaben zu. Es spielte sicher eine Rolle, dass Bohr angekündigt hatte, auch von privater Seite »große Summen« eintreiben zu können. Es ging dabei um 10 000 US-Dollar, die einer seiner früheren Klassenkameraden, inzwischen ein führender dänischer Industrieller und zu Wohlstand gelangt, beisteuern wollte.

Tatsächlich reichten die Mittel, die unter anderem mit großzügiger Hilfe der Carlsberg-Stiftung aufgestockt werden konnten, für den Bau eines schlichten Hauses im neoklassischen Stil aus. Von außen lassen sich vier Stockwerke – ein Dachgeschoss eingerechnet – erkennen, von denen das erste teilweise in den Boden eingelassen ist. Wer in das Universitets Institut for Teoretisk Fysik eintritt, findet sich in einem großen Flur wieder, der nach rechts zu dem Hörsaal führt, in dem ab 1929 die legendären Frühjahrssitzungen stattgefunden haben.

In Bohrs Haus gab es natürlich eine Bibliothek, einige kleine Büros und eine Art Gemeinschaftsraum, in dem immer Kaffee und Knabbereien bereitstanden. Im ersten Stock gab es eine Wohnung für die Familie Bohr, und man erzählt, dass Bohrs Söhne das besondere Privileg genossen, mit den begabtesten Theoretikern der damaligen Zeit Fußball spielen und auf Segeltouren gehen zu können, und einige der Atomphysiker übernahmen auch hin und wieder die Rolle eines Babysitters.

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Bild 5

Das Niels-Bohr-Institut besteht längst nicht mehr nur aus dem einen Haus, das Bohr hat errichten lassen. Das nach ihm benannte Institut verteilt sich heute auf etwa zehn Gebäude, die zwischen dem Blegdamsvej und dem Fælledpark liegen, wobei die meisten von ihnen durch unterirdische Tunnels miteinander verbunden sind. Das Niels-Bohr-Institut ist eine Institution der Forschung auf den Gebieten der Kernphysik, Hochenergiephysik, Biophysik, Quantenoptik, Astrophysik und weiteren Teildisziplinen. Nach Bohrs Tod im Jahr 1962 übernahm das Institut auch die Aufgaben eines Archivs für die Wissenschaft, und seit 1985 – seit seinem hundertsten Geburtstag – gibt es das Niels-Bohr-Archiv als unabhängige Einrichtung am Blegdamsvej.

Nach der Einweihung dauerte es ein paar Monate, bis der Institutsbetrieb in Schwung kam, wobei immer wieder Geldmittel besorgt werden mussten, da Bohr die Theoretische Physik nicht vollkommen losgelöst von Experimenten betreiben und sich vor allem die »spektroskopische Forschung« vornehmen wollte – »um Auskünfte über die Zusammensetzung der Materie und der verschiedenen Elemente« zu erhalten, wie er bei der Eröffnung 1921 sagte. In diesem Zusammenhang bedankte er sich bei dem Direktor der Carlsberg-Stiftung, der »mehrere 1000 Kronen« für ein begehrtes Gitterspektroskop zur Verfügung gestellt hatte, was Bohr veranlasste, seinen Zuhörern die Wirkungsweise eines Gitters zu demonstrieren und zugleich zu erläutern, wie man mit diesem Instrument »Einsicht in die Gesetze« erlangen kann, »die für die Bewegung von Teilchen in den Atomen gelten«.

Bohrs Institut verdankte seine Förderung verschiedenen Quellen. Da ist zum einen der 1923 in den USA gegründete International Education Board (IEB) zu nennen, der Geld aus dem Vermögen der Familie Rockefeller bekam und damit Wissenschaften und Wissenschaftler in aller Welt in der angenehmen Absicht fördern sollte: »to promote the well-being of mankind throughout the world«. Die Verwaltung des IEB reagierte unmittelbar auf Bohrs wachsenden Ruhm und half seinem Institut kräftig – unter anderem mit einem ersten Betrag von 40 000 US-Dollar –, möglichst viele neue Geräte anzuschaffen, um immer wieder die Gelegenheit zu haben, das theoretisch Konzipierte im quantitativen Experiment zu überprüfen.

Bohr gelang es des Weiteren, den dänischen Staat dazu zu bringen, die Gehälter der fest angestellten Institutsmitarbeiter – etwa Sekretärinnen und Bibliothekare – zu übernehmen, und er fand immer wieder private Stiftungen, die zunächst den ein- oder zweijährigen Aufenthalt von jüngeren Physikern am Blegdamsvej finanzierten und später Geld für die Frühjahrskonferenzen im kleinen Kreis bereitstellten.

Als er im Lauf der Zeit die Richtung der Forschungen an seinem Institut ändern wollte – zum Beispiel von den Atomen erst zu den Atomkernen und dann zu biologischen Fragen –, galt es, bei immer wieder anderen Stiftungen Anträge einzureichen, was von der nie erlahmenden Willensanstrengung Bohrs zeugt, die das erfolgreiche Wirken seines Hauses sicherstellte. Es ist keine einzige Ablehnung eines von ihm gestellten Antrags bekannt. Im Gegenteil, viele um Fördermittel Gebetene waren eher der Meinung, dass Bohr stets zu geringe Summen veranschlagte, und gaben ihm manchmal sogar mehr als das, was er angefragt hatte.

Bohr war des Weiteren in der Lage, auf einige »große Schenkungen« auch »aus unbekannter Hand« zu verweisen, die ihn alle verpflichteten, unablässig für den Erfolg seines Instituts zu arbeiten. Als er 1922 den Nobelpreis erhielt, erfuhr die ganze Welt von seinem Haus für die Wissenschaft, zu dem fortan immer mehr Besucher drängten. Sie kamen aus den Niederlanden, England, Deutschland, Japan, den USA, Österreich, Russland und vielen anderen Ländern und erfüllten schon bald Bohrs Wunsch, sein Haus zu einem internationalen Treffpunkt der Wissenschaft zu machen, wie er es bei Rutherford in Manchester so angenehm und inspirierend erfahren hatte. In Gesprächen mit den Institutsgästen konnte sich Bohr endlich von der Verwaltungsarbeit erholen und der Physik zuwenden, die nun in ihre entscheidende Phase trat und bald völlig neu aussehen würde.

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
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