SIEBZIG
Teddy starrte auf den Infusionsbeutel, der über einen Ständer auf Rädern geschlungen war. Er sah den bernsteinfarbenen Ton des Morphiums. Seine Augen glitten den Schlauch entlang zur Nadel in seinem Arm. Der Schmerz in seiner Schulter musste von all der Aufregung zurückgehalten worden sein, dachte er. Er hatte ihn in Triscos Haus überhaupt nicht gespürt. Stattdessen erwartete der Schmerz ihn im Krankenhaus, als sein Adrenalin verbraucht war. Er traf ihn mit voller Gewalt, hüllte seinen Arm ein und schoss in Wellen quer durch seine Brust und zurück. Als der Arzt Morphium anordnete, hatte Teddy diesbezüglich gemischte Gefühle, bis die Nadel in seine Haut stach und die Droge am Ende den heftigen Schmerz verjagte.
Das Krankenhauszimmer machte ihm nicht so viel aus. Er fand den Lärm von den Straßen der Stadt durch das Fenster irgendwie beruhigend, sogar besänftigend. Vor seinem Zimmer konnte er einen Polizisten sitzen sehen, der eine Zeitschrift las. Es war nicht wirklich notwendig. Der Polizist war hier, damit er nicht gestört wurde. Aber niemand glaubte wirklich, dass ein Reporter am Team der Polizisten unten vorbeikommen könnte.
Die Detectives Vega und Ellwood waren vor ein paar Stunden bei ihm gewesen und hatten mit einem kleinen Tonbandgerät seine Aussage aufgenommen. Teddy ging in Gedanken nochmals durch, was er zu ihnen gesagt hatte und hoffte, dass er nichts ausgelassen hatte. Er hatte ihnen erzählt, wie er die Leichen im See entdeckte und wie er herausfand, wo Eddie wohnte. Er sagte, er hätte wegen Rosemary nicht auf sie warten können. Er hatte das Gewehr, wusste wie man es benutzt und war quasi gezwungen gewesen alleine hineinzugehen. Beide Detectives stimmten zu, dass in einem Notfall die Situation die Regeln bestimmt, obwohl es verrückt war und er hätte getötet werden können – aber sie hätten wahrscheinlich auch so gehandelt. Als sie gingen, hatte Teddy sie gefragt, was sie mit Alan Andrews vorhatten. Ellwoods Gesicht leuchtete auf. Vega lächelte nur.
Teddy sah auf die Uhr an der Wand und hielt ein Gähnen zurück. Es war nach Mitternacht und er hatte Schwierigkeiten, wach zu bleiben. Aus Angst, dass ihm die Augen zufallen könnten, warf er seine Beine über die Seite des Bettes. Die Bilder, mit denen er in der letzten Woche konfrontiert worden war, waren immer noch sehr lebendig. Der Körper von Darlene Lewis, der auf einem Esszimmertisch ausgestreckt lag, die Gesichter, die ihn aus den Häusern am Grund des Sees anstarrten, Triscos Hautbild…
Als er seine nackten Füße auf den kühlen Linoleumboden setzte, wurde ihm bewusst, dass mit dem Gemälde ein Geruch verbunden war. Derselbe, den er im Leichenschauhaus wahrgenommen hatte. Es war der Geruch des Todes, der durch den Schellack drang. Er konnte es jetzt riechen; es so klar wahrnehmen, als ob er immer noch im Atelier des Wahnsinnigen stünde. Er wollte nicht davon träumen, wollte in der Dunkelheit nicht alleine damit sein.
Nash betrat das Zimmer.
»Ich muss hier raus«, sagte Teddy.
»Dann lass uns gehen.«
Teddy zog seinen Kittel enger. Er nahm den Infusionsbeutel und rollte ihn durch die Tür in den Gang. Der Polizist sah von seiner Zeitschrift hoch.
»Wir gehen nach dort hinten«, sagte Teddy und zeigte auf die Intensivstation.
Der Polizist schien verärgert, nickte aber. Dann führte Teddy Nash den Gang hinunter.
»Ich habe schon nachgesehen«, sagte Nash. »Sie ist immer noch in einem kritischen Zustand, wird aber durchkommen. Sie in Eis zu packen, war der entscheidende Faktor. Der Arzt meint, Sie haben Rosemary das Leben gerettet.«
Teddy entdeckte den Ausgang und drückte die Tür auf. Kalte Luft kam ihnen entgegen, als sie hinaustraten. Auf dem Treppenabsatz stand ein Aschenbecher. Teddy schob das Infusionsgestell zur Seite, griff in seine Tasche nach der Packung Zigaretten, die der Ambulanzfahrer ihm gegeben hatte, und zündete sich eine an. »Was hat der Arzt über mich gesagt?«
Nash grinste beim Anblick, des mit einer Infusion im Arm Rauchenden. »Ihre Situation ist hoffnungslos«, sagte er.
Sie tauschten ein warmes Lächeln aus. Nash schnorrte sich eine Zigarette. Als Teddy ihm Feuer gab sah er dem Mann in die Augen: sie sahen so sanft aus, sogar traurig.
»Westbrook hat dreimal aus Washington angerufen«, sagte Nash. »Es hört sich so an, als ob man Ihnen ein Angebot machen wird.«
Teddy zog an der Zigarette. Er hatte kein Interesse, für das FBI zu arbeiten. »Was ist mit der Haut?«, fragte er.
Sie waren im sechzehnten Stockwerk. Nash drehte sich zur Aussicht auf die Stadt und lehnte sich gegen das Geländer. »Sie haben eine Sammlung von Tattoos im Kühlschrank gefunden. Sie waren in Folie eingewickelt, in einer Tupperdose.«
»Weiß man, wie viele Opfer es noch geben könnte?«
Nash schüttelte langsam den Kopf. »Noch nicht«, flüsterte er.
Teddy schaute auf den Gehsteig hinunter. Eine Frau stieg in ein Auto, mit einem Mann, der wie der Weihnachtsmann gekleidet war. Sie kicherten und küssten sich im Frieden ihrer eigenen Welt und fuhren nach Hause.
»Was glauben Sie, ab wann Andrews wusste, dass es Trisco war?«, wollte Teddy nach einer Weile wissen.
Nash zuckte die Achseln. »Ich vermute, dass die Staatsanwaltschaft den Tag, als Sie Valerie Kram im Fluss gefunden haben, als Anfangspunkt nehmen wird. Sie war eine Studentin an der Kunstakademie. Bei dem, was Andrews über Trisco wusste, müsste das etwas in seinem Kopf ausgelöst haben.«
»Wie konnte er erwarten damit durchzukommen?«
»Sagen Sie es mir«, forderte Nash ihn auf.
Teddy hatte schon mit dieser Frage gerungen, seit er die Tür aufgemacht hatte und den Staatsanwalt mit einer Waffe über Trisco stehen sah. Nach Trisco hätte Andrews Rosemary umbringen und ihre Leiche irgendwo ablegen müssen, um seinen Fehler geheim zu halten. Er wusste offensichtlich nicht, dass die übrigen Körper im See versteckt lagen und wenn sie je gefunden worden wären, dass sie sofort auf Trisco hingewiesen hätten. »Seine Welt ist über ihm zusammengebrochen«, sagte Teddy. »Er war verzweifelt, nicht mehr bei klarem Verstand. Vor ihm liegt ein Medienzirkus sondergleichen.«
»Das erwarte ich auch«, sagte Nash. »Ein Staatsanwalt angeklagt wegen Mordes an einem Serienmörder. Ich bin nicht sicher, ob es das schon mal gegeben hat. Aber ich nehme an, in dieser Welt gibt es für alles ein erstes Mal.«
Eine Weile verging und Teddy dachte an seine Rolle als Hauptzeuge der Anklage.
»Haben Sie mit Powell gesprochen?«, fragte Nash.
Teddy nickte.
»Wann kommt Holmes frei?«
»Morgen Nachmittag«, sagte Teddy. »Ich werde ihn nach Hause bringen.«
Nash wandte sich wieder der Aussicht zu. Dann schnippte er die Zigarette über das Geländer und sah zu, wie sie auf dem Gehsteig sechzehn Stockwerke tiefer landete.