FÜNFUNDSECHZIG
Der beißende Schmerz vom kalten Wasser fraß sich durch jede Pore seines Körpers. Teddy stieß sich aus dem Kofferraum heraus und folgte der Richtung seiner Füße, bis sie auf dem schlammigen Boden landeten und feststeckten. Er schaute an den Häusern vorbei, an den Gesichtern – Triscos geheimem Spielplatz – und versuchte sich zu orientieren. Über ihm glitzerte der eisbedeckte See in der Sonne. Er drehte sich herum, war aber nicht in der Lage die Stelle zu finden, wo sein Wagen eingebrochen war. Da sah er aber einen Schatten im Licht, ein dunkler Kreis oder ein Quadrat und erinnerte sich an die Fischerzelte, die auf dem Eis errichtet waren.
Teddy stieß sich vom Grund des Sees ab und schob seinen Körper nach oben. Er schlängelte sich durch das Wasser, schlug mit Armen und Beinen um sich, als ob die toten Körper ihn jagen und nach unten ziehen würden. Das Gewicht seiner Kleidung fühlte sich wie ein Anker an, der Schmerz in seiner Brust, als ob die Lungen aus Blei wären. Er war im Tunnel, wand sich in Richtung der Dunkelheit und hatte kaum noch Luft. Er dachte ertrinken zu müssen. Er hatte eine Heidenangst, dass sich sein Körper seinem Verstand widersetzen und den Fehler machen könnte, Luft zu holen. Er wusste, dass es so passieren würde: Wasser einzusaugen anstatt Luft.
Er biss die Zähne auf die Lippen und kam immer weiter nach oben. Der Schatten wurde dunkler, schließlich ganz schwarz. Er griff mit offener Hand danach, fühlte wie eine dünne Eisschicht über seinem Kopf zerbrach und er wieder ins Leben zurückkehrte. Sein Körper drückte nach oben, bis er endlich an die Oberfläche durchstieß und er hielt sich am Eis fest, kämpfte mit den Tränen und schnappte nach Luft. Er war in einem der Zelte und atmete in der Dunkelheit die frische Luft ein. Sein Blick prallte von einem Zwanzig-Liter-Eimer ab, der neben ein paar Stühlen aus Segeltuch stand. Er stemmte sich mit letzter Kraft aus dem Loch heraus und lag dann einfach nur da, keuchte, wimmerte und zitterte in der kalten Luft. Lange starrte er auf das Loch im Eis. Es kam ihm vor wie ein helles Fenster mitten in der Nacht.
Er riss sich zusammen, schaffte es, auf die Beine zu kommen, fand schließlich die Öffnung im Nylonzelt und stolperte ins Freie. Seine Schuhe waren schon lange weg. Er ignorierte das Gefühl seiner Socken auf dem mit Pulverschnee bedeckten Eis, hielt den Blick auf das Ufer gerichtet und bewegte sich wie ein betender Mönch in diese eine Richtung, ein schwankender Schritt nach dem anderen. Er dachte, dass jemand mit ihm ginge, als er die Bootsrampe erreichte und den Hügel hochging. Vielleicht Powell, die ihn küsste, ihn umarmte und wärmte, während er ihren Atem in seinem Ohr spürte.
Seine Augen waren auf die Bremsflüssigkeit fixiert und er folgte der Spur durch den Schnee. Als er die zweite Reihe von Fußspuren registrierte, behielt er sie im Gedächtnis und stieg die Verandastufen nach oben, bis er wie ein Zombie vor dem Fenster stand. Er stieß seinen Ellbogen in das Glas, griff von innen nach dem Schloss und schob den Rahmen hoch. Dann tauchte er durch das Loch ein und stieg mit seinen steifen Beinen über das zersplitterte Glas am Boden.
Die Zimmer fühlten sich wohlig warm an. Als er den Thermostat an der Wand entdeckte, machte er sich Sorgen, denn er zeigte nur sieben Grad. Er drehte die Skala auf 32 Grad hoch, hörte, wie die Heizung im Keller ansprang und suchte die Treppe. Er konnte sie nicht finden. Zimmer an Zimmer mit verschlossenen Türen führten in einem Kreis herum, bis er sich in einem Eingang vor der Küche befand und stehen blieb.
Die Kartons waren an der Wand gestapelt und er fragte sich, in welchem Haus er war. Sie sahen so aus wie die, die er mit Powell und Vega auf dem Anwesen der Triscos in Radnor gesehen hatte. Er zählte fünfzehn Stück. Er riss einen auf und dann noch einen. Die meisten enthielten Männerkleidung. In anderen waren Bilder, die immer noch in ihren Rahmen steckten, und verschiedener Krimskrams. Als er das Foto von Edward mit dem verwundeten Hund fand, jenes Bild, das er auf dem Kaminsims gesehen hatte, verstand Teddy, was hier vor sich ging: Teddys Eltern wollten die Beweise loswerden – aber nicht die der Verbrechen, nicht die der Entführungen oder gar der Morde. Sie versuchten, ihre Beziehung zu ihrem eigenen Sohn zu vertuschen! Er erschauerte, als er es begriff.
Nach einer Weile griff er in dem Karton nach der letzten Fotografie. Er konnte es erst nicht einordnen, sein Kopf war immer noch eisig und dumpf: Es war eine junge Frau mit blondem Haar. Eine Fotografie, die vor langer Zeit gemacht wurde. Dennoch erschien ihm ihr Gesicht so vertraut. Er starrte es an und zwang sich nachzudenken. Ihr Mund war wie der von Valerie Kramp geformt. Ihre Augen erinnerten ihn an das Bild, das er von Rosemary Gibb gesehen hatte …
Er ließ das Foto in die Kiste fallen, hob einen Armvoll trockener Kleidung vom Boden auf und betrat das Arbeitszimmer. Er leerte seine Taschen auf den Arbeitstisch aus, riss sich die nassen Kleider vom Leib und ging den Kleiderhaufen durch. Die Jeans, die er fand, waren eng, aber passten. Als er ein T-Shirt über den Kopf zog und einen Pullover fand, musste er unweigerlich daran denken, dass er gerade die Kleidung eines Killers anzog.
Er setzte sich darüber hinweg, dann fiel sein Blick auf das Telefon. Über dem Ziffernblock waren die Namen der Leute, die die Triscos öfters anriefen. Neben den Namen gab es zwölf Knöpfe, mit denen man die in das Telefon einprogrammierten Nummern aktivieren konnte. Was Teddy auffiel, war der Knopf Nummer Drei. Der Eintrag war leer. Als er sich näher darüber beugte, bemerkte er den schwachen Eindruck eines Namens, der ausradiert worden war.
Er schaute auf den Eingang und dachte über den Versuch der Triscos nach, die Erinnerungen an ihren einzigen Sohn in Kisten zu packen. Dann nahm er den Hörer auf und drückte auf den dritten Knopf. Die Nummer erschien auf dem Display, als das Telefon den Wahlvorgang startete. Er erkannte die Vorwahl aus seinen Tagen als Student an der Penn, es war die von West Philadelphia, einem heruntergekommenen Stadtteil.
Während er durch den Hörer auf das Klingelzeichen des Telefons horchte, öffnete Teddy die oberste Schreibtischschublade, fand einen Notizblock und nahm sich einen Stift. Er notierte sich die Nummer und dachte nach. Wie viele Menschen könnten die Triscos kennen, die in diesem Teil der Stadt lebten?
Nur einen.